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- Eine oft gestellte Frage: Wann ist ein Mann ein Mann?
Eine oft gestellte Frage: Wann ist ein Mann ein Mann?
Deprogrammiere dein Gehirn, was auch immer das für dich bedeutet
Würdest du Buck Angel auf der Straße treffen und dich fragen, wann ein Mann ein Mann ist, könnte es passieren, dass du seinen tätowierten Oberarmen oder seinem Charme erliegst.
Solltest du das Glück haben, mit ihm im Bett zu landen, könnte es sein, dass du eine Überraschung erlebst. Denn wenn du bei dem Kerl, der in jeden Harley-Club einer beliebigen Stadt passen würde, einen stattlichen Schwanz und ein paar dementsprechende Eier erwartest, wirst du nicht auf deine Kosten kommen.
Es gibt nicht keinen Schwanz, sondern stattdessen eine Pussy
Buck Angel war eine Frau. Was du vielleicht wirklich erst bemerken würdest, wenn die letzte Hülle fällt.
Es reicht auch, einen seiner selbst gemachten Pornos zu sehen, und du wirst staunen. Ich jedenfalls staunte genug, um neugierig zu seinem Vortrag zu rennen und mich zu fragen, wann ein Mann ein Mann sei.
Dort erzählte er, dass es nicht nur mir so gegangen war. Extreme Reaktionen sind ihm bekannt. Als er mit seinen Pornos an die großen Pornofirmen in Amerika trat, waren diese völlig vor den Kopf gestoßen. Sie fragten ihn „was er für ein Freak sei“, und schickten ihn weg. Was – wie Buck treffend bemerkte – schon ein wenig verrückt war. Gab es nicht im Pornogeschäft jede erdenkliche Verrücktheit? „Und mich nannten sie Freak?“, fragte er ins Publikum. Später stellte sich heraus, dass sie so ablehnend gewesen waren, weil sie angenommen hatten, er hätte sich den Schwanz chirurgisch entfernen und durch eine Pussy ersetzen lassen. Buck lachte. „Es war so viel einfacher“. Er war eine Frau, wurde zum Mann – und hat seine Pussy behalten. Die Pornoindustrie musste bald einsehen, dass Buck etwas verkörperte, was so außergewöhnlich war, dass er schnell eine wachsende Fangemeinde fand.
Während Buck vor der Leinwand stand und redete, gab es keinen Zweifel, dass da ein Mann mit Charisma sprach. Wie er von seinem Leben erzählte und wie er zum Pornogeschäft kam, wie ihn Ablehnungen angespornt haben, sich mehr ins Zeug zu legen („to push harder“), bis zu seinen ersten Auszeichnungen und der Aufführung seiner Porn-Dokus auf Filmfestivals, die nicht auf Porno-Fans begrenzt waren. Moment um Moment wurden mehr Fragen aufgeworfen, je mehr Antworten er gab.
Die Grenzen beginnen im Kopf – Wann ist Mann ein Mann?
Wie unbegrenzt ist das Gehirn, und woher kommen eigentlich Grenzen? Inzwischen dürfte jede erdenkliche Spielform des Sex bebildert worden sein. Vielleicht sind geneigte Spanner schon über Filme von femininen Männern mit Titten gestoßen. Es ist noch mal etwas ganz Anderes, wenn da ein muskulöser Mann mit Pussy auftaucht. Da wird eins der hartnäckigsten Klischees der Menschheit zerlegt: Das Ideal vom Alpha-Männchen.
Wenn Männlichkeit, gerade von Männern, gerne über ihren Schwanz und ihre Potenz definiert wird, muss ein Erdbeben stattfinden, wenn ein potenter Kerl ohne Schwanz auftaucht.
Wo steht geschrieben, wann ein Mann ein Mann ist? Buck Angel fragte: „Würdest du als Mann durch einen Unfall deinen Schwanz verlieren, würdest du dich dann nicht immer noch als Mann fühlen?“ Hoffentlich. Oder ist an der Sage der Kastrationsangst von Männern wirklich was dran? Gäbe es wirklich Frauen oder Männer, die ihre Identität verlieren, sobald (von der Schulmedizin) (vor-)bestimmte Körperattribute wegfallen? Woher kommen die weitläufigen Vorstellungen und Schubladen von „Frau“ und „Mann“, die Fixierungen auf Äußerlichkeiten? Sind sie noch aktuell?
Buck Angel zeigte Ausschnitte aus seinen neuen Pornoproduktionen, in denen er andere Männer, oder genauer, jungeMänner mit Pussys, vorstellte. Jungs und Paare, die er fand, weil sie durch sein Vorbild den Mut gefunden haben, vor der Kamera ihre Geschichte zu erzählen, während auf einem Splitscreen zu sehen ist, wie der gleiche Junge/das Paar nackt Sex hat.
Doku-Porn – männlich und weiblich sind flexible Begriffe
Hier wurden nicht nur sexuelle Bedürfnisse befriedigt. Buck nennt es „Doku-Porn“. Die Filme zeigen Menschen mit Gefühlen. Sensible Männer, verwundbar, und selbstbewusst. Jeder der Ausschnitte, die grob betrachtet, in den Bereich „Casting“ passen könnten, war ein Manifest. Für die freie Wahl des Gender, des Geschlechts.
Zur Erinnerung: „Männlich und weiblich“ sind flexible Begriffe. Die naturgegebenen Genitalien sagen wenig darüber aus, wie sich ein Mensch fühlt, und zu welchem Gender er/sie sich zugehörig, oder von welchem Gender er/sie sich angezogen fühlt. (Es ist ohnehin höchste Zeit, das Wort „Ge(h)schlecht“ zu begraben, denn wie kann etwas „schlecht“ beinhalten, was soviel Leben bringen kann?)
Ein Mann wie Buck Angel hat in seiner Kindheit noch gelitten, weil er nicht sein durfte, was er fühlte, was er wirklich war. Weil es keine Rollenmodelle für ihn gab, an denen er sich orientieren hätte können oder die ihm Inspiration geschenkt hätten. Im Körper eines Mädchens sollte er Mädchenrollen erfüllen. Was ihn damals in tiefe Verzweiflung trieb. Hier ist einer seiner Beweggründe für seine Handlungen: Er weiß, dass in eben diesem Moment junge Leute in ihren Körpern unglücklich sind, weil sie die gesellschaftlich geforderten Vorgaben nicht erfüllen können oder wollen.
Woher stammen Geschmacksmuster und Beuteraster eigentlich?
Buck Angel hat einen langen Weg hinter sich. Es ist an seiner Präsenz heute zu spüren. Er beschränkt seinen Weg nicht auf die Produktion von Pornos. Er möchte sich nicht eines Tages als 80jähriger Pornstar sehen. Ein „DILF“, wie er scherzt. „Ein Daddy I Like to Fuck“.
Er ist das lebende Beispiel dafür, dass man sich vor der Kamera ausziehen und dennoch ein Motivator sein kann. Es ist ihm ein Bedürfnis zu allen zu sprechen, nicht nur zur Trans- oder Queergemeinschaft. Er hält Vorträge, auch an Schulen, wo er Jugendliche erreicht, und ihnen Mut macht, sich in ihren Körpern wohl zu fühlen, zu dem zu stehen, was sie für sich als richtig erkannt haben. Was auch immer das sein mag. An dem Abend wurde gelacht, es gab große Gefühle und noch mehr Inspiration. Es ist inspirierend zu hinterfragen, woher die „persönlichen“ Geschmacksmuster und Beuteraster stammen. Es ist inspirierend, wenn da Menschen Fragen aufwerfen, weshalb heutzutage überhaupt noch Schubladen aufgemacht werden, um Leute dort reinzustecken.
„Sie“ und „er“ sind mittlerweile nur noch Richtungsangaben. Möglichkeiten, um zu definieren, wann ein Mann ein Mann ist. Das primäre Ziel des 21. Jahrhunderts darf an dieser Stelle sein, von veralteten Konstrukten loszulassen oder diese Konstrukte nur noch zu leben, wenn sie wirklich Spaß machen. Wenn sie keinen Spaß machen, dürfen sie durch ein beliebiges Bild ersetzt werden. Das Bild, das für dich passt, existiert noch nicht? Dann schaffe es. Es wird ohnehin höchste Zeit, dass schicke Frauenschuhe nicht nur bis Größe 39 produziert werden. ;-)
Ein Hauptpunkt für alle, um in die Welt zu treten
Wenn dabei Verwirrung aufkommt, wann ein Mann ein Mann sei, könnte das womöglich daran liegen, dass es da ein sprachliches Problem gibt. Denn wenn „er“ und „sie „ nicht länger klar definiert sind – wozu dann noch Worte wie „er“ und „sie“ benutzen..?
Buck Angel ist ein Beispiel dafür, dass Porno weit mehr sein kann als ein billiges Mittel schnell einen Trieb abzureagieren. Seine Pornos, sein ganzes Sein, sind ein Statement. Einmal einen Film von Buck Angel gesehen – und sämtliche Rollenklischees erscheinen wie eine riesige Komödie.
Zusammengefasst brachte er es am Ende des Abends mit wenigen Sätzen auf den Punkt:
„Ich lernte, mich zu lieben. Ein Hauptpunkt für alle, um in die Welt zu treten und Teil der Welt zu sein. Deprogrammiere dein Gehirn, was auch immer das für dich bedeutet. Deprogrammiere dich, von dem was die Gesellschaft dich denken machte, wie dein Weg sein müsse. Sei wie du sein willst.“