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Der schwule König Friedrich der Große
Der im Berliner Stadtschloss geborene Friedrich war einer der sieben Söhne von König Friedrich Wilhelm I. (1688−1740). Er wurde mit unerbittlicher Härte, streng religiös und autoritär erzogen. Die Beziehung zum Vater war konfliktbeladen. Heute richtet sich das Augenmerk der Historiker vielfach auf Friedrichs "private" Persönlichkeit. Er war ein Kunstverehrer und Schöngeist und – wie inzwischen belegt – schwuler König von Preußen.
Volkstümlich wurde Friedrich II. (1712−1786) der "Alte Fritz" genannt oder Friedrich der Große. Dieser entstammte der Hohenzollern-Dynastie und war ab 1740 zugleich Markgraf von Brandenburg und König von Preußen. Friedrich II. sagte von sich, er sei der "erste Diener des Staates". Er führte mehrere Kriege, setzte aber auch wichtige sozialpolitische Reformen durch. Unter seiner Regentschaft wurde die Folter abgeschafft und das Bildungssystem ausgebaut. In seiner Hinterlassenschaft befinden sich unzählige Briefe und Schriftstücke, die auf sein umfangreiches Wissen und sein Mitteilungsbedürfnis hinweisen. Bekannt ist ferner seine Affinität zu den Freimaurern und seine Zuneigung zu Hunden, bevorzugt Windspiele.
Der wohl wichtigste Vertraute des Königs
Einem Menschen vertraute der schwule König Friedrich II. ganz besonders: das war Michael Gabriel Fredersdorf, der offiziell das Amt eines geheimen Kämmerers bekleidete. Tatsächlich stand dieser Diener im Zentrum der Macht. Er verwaltete Friedrichs Vermögen und hatte die Kontrolle darüber, wer den König sehen durfte. Außerdem orderte er Kunstwerke und Kunstschaffende an den Hof. Die erste deutsche Spionageabwehr war ebenfalls Fredersdorf zuzuschreiben. Er galt als Mädchen für alles oder als "Das große Faktotum des Königs", wie der französische Philosoph Voltaire befand. Dass Fredersdorf quasi als heimlicher Premierminister fungierte, blieb in der historischen Fachliteratur lange unbeachtet. Dabei war dieser nach dem eigenen Bekenntnis Friedrichs II. einer der sechs von ihm am meisten geliebten Menschen.
In seinen Jugendjahren habe Fredersdorf dem zukünftigen Monarchen "in mehr als einer Weise zur Aufmunterung" gedient, wie es Voltaire ausdrückte. Der schwule König richtete sein Augenmerk später auf andere Männer, doch das änderte nichts an dem weiterhin engen Verhältnis zu seinem Vertrauten. Dieser erhielt von einem Biografen Friedrichs den Titel "preußische Pompadour", in Anlehnung an die mit großer Macht ausgestattete Mätresse Ludwigs XV. von Frankreich. Im Übrigen nahm man es im 18. Jahrhundert nicht ganz so genau mit einem sexuellen Umgang unter Männern, wovon der schwule König Fritz profitierte.
Als sei ein homosexueller König eine Schande fürs Land, verhalten sich bis heute manche Geschichtswissenschaftler. Sie vermeiden es, Friedrichs Vorliebe für das männliche Geschlecht zu thematisieren. Gehen sie etwas davon aus, seine Veranlagung könnte seine historische Bedeutung schmälern? Es scheint so, denn es gibt Behauptungen, dass es keine ernstzunehmende Hinweise auf Friedrichs Schwulsein gebe. Angeblich habe er sich nur gelegentlich entsprechend verhalten, um seine "wahre Achtung für den griechischen Geschmack in der Liebe" kundzutun.
Der Homo-König als deutscher Held
Im Jahr 2012 zum 300. Geburtstag des eigensinnigen Preußenkönigs erschienen diverse Publikationen. Er ist eine deutsche Heldenfigur, die als weitsichtiger und todesmutiger Feldherr in die Geschichte einging. Außerdem steht der Gay-König in dem Ruf des Toleranz predigenden aufgeklärten absolutistischen Herrschers. Ebenfalls berühmt ist seine künstlerische Seite: Friedrich II. spielte Flöte und schuf Kompositionen, schrieb Gedichte und verfasste philosophische Betrachtungen. Er unterhielt Korrespondenzen mit bedeutenden Persönlichkeiten und holte den Franzosen Voltaire, den wohl bedeutendsten Autor der Aufklärung, an sein Schloss Sanssouci in Potsdam.
Es ist nicht falsch zu behaupten, dass Friedrich der Große die Regierungsgeschäfte nicht ausschließlich erfolgreich führte. Er konnte zynisch sein und andere Personen mit Gemeinheiten traktieren. Dennoch wurde er als Vorbild verklärt und diente als Beweis für preußische und deutsche Überlegenheit. Kaiser Wilhelm II., der im Jahr 1918 abdanken musste, und sogar die Nationalsozialisten beriefen sich auf Friedrich II. Hinter all der Heldenverehrung blieb die Privatperson Friedrichs meistens unentdeckt. Denn in das heldenhafte Bild hätte der schwule König auch gar nicht gepasst.
Vielmehr wurde dem Monarchen eine Geschlechtskrankheit angedichtet. Diese Mär hat angeblich sein Leibarzt Zimmermann in die Welt gesetzt. Damit wollte er gegen das Gerücht angehen, Friedrich hätte wie der altgriechische Philosoph Sokrates geliebt. In seiner Jugend sollte es auch Liebschaften mit Frauen gegeben habe. Doch dann hätte seine Lust abrupt geendet – aufgrund einer Krankheit, die einen gravierenden Schnitt im Intimbereich erforderte. Danach hielt sich Friedrich laut Zimmermann für zeugungsunfähig und entblößte sich nicht vor anderen. Welch durchsichtiges Manöver des Mediziners: Ein asexuelles oder homosexuelles deutsches Idol darf es nicht geben, aber ein sogenanntes galantes Leiden ist ihm zuzubilligen.
Wie der schwule König tatsächlich empfand
Friedrich der Große sorgte selbst dafür, dass Zimmermanns Täuschungsversuch misslang. In Briefen an seinen Vertrauten Fredersdorf offenbarte er völlig andere Facetten seiner Person. Da schrieb nicht der verklemmte und asketisch lebende "Philosophenkönig" geschweige denn, dass er aus seinen körperlichen Beschwerden ein Geheimnis machte. Offen klagte er über Hämorrhoiden und berichtete von Verstopfungen, die mit einem Klistier gelöst wurden. An einer Stelle bekannte er, dass er sich wie eine schwangere Frau mit "unordentlichen Lüsten" fühlte. Auch die Manneskraft war ein Punkt, über den sich die beiden Freunde austauschten. So riet der homosexuelle König zu einer Arznei, die nicht mit anderen vermischt werden dürfte. Sonst würde Fredersdorf schon vor dem Tod die Potenz geraubt.
Sein kaum ausgeprägtes Interesse an Frauen hatte Friedrich bereits als Heranwachsender festgestellt und einem Minister seines Vaters gebeichtet. Nur widerwillig ging er die Ehe mit Elisabeth Christine ein. Die beiden lebten in Rheinsberg nebeneinander her. Als der alte König starb, äußerte Friedrich gegenüber Fredersdorf, dass "die Posse" nunmehr beendet wäre. Als neuer Herrscher schob er die Gattin ab. Das Recht, das Schloss Sanssouci zu betreten, blieb ihr vorenthalten. Der Historiker Wolfgang Burgdorf bescheinigt Friedrich einen physischen Ekel vor dem weiblichen Geschlecht. Er hält ihn für unfähig, mit Frauen Sex zu haben.
Sein Traumschloss Sanssouci hielt der schwule König weitestgehend frauenfrei. Doch er korrespondierte angeregt mit seinen Schwestern oder der Gräfin Camas. Er soll bei einer Tischgesellschaft ausfällig geworden sein und über "garstige Weiber" gepoltert haben, die bereits auf zehn Meilen zu riechen wären. In den durchweg frauenfeindlichen Briefen zwischen Friedrich und Fredersdorf wurden Künstlerinnen durchweg als "Huren" bezeichnet.
Eine neue Darstellung des Alten Fritz
Der englische Historiker Tim Blanning hat eine offene Biografie über den verehrten Preußenkönig geschrieben. Er erweist sich als sehr bewandert, wie es politisch, militärisch und kulturell im Preußen des 18. Jahrhundert zuging. Blanning verschweigt auch nicht verschämt, welche sexuellen Praktiken Friedrich vermutlich bevorzugte. Allerdings muss manches Spekulation bleiben, weil beispielsweise unbekannt ist, ob der schwule König überhaupt zu einer Penetration fähig war. Doch Kritiker sehen es als wichtig an, dass es Blanning um mehr geht als erotische Neigungen und Praktiken. Er stellt die Homosexualität auch als eine geistige Lebensform dar, für die sich reife und reflektierte Menschen entscheiden.
Darüber hinaus porträtiert der Historiker Friedrich II. als Meister der Selbstdarstellung. Er beschreibt, wie sich der schwule König als "lebendes Kunstwerk" präsentierte und erkennt in ihm einen Vorläufer des Dandys. Der als knorrig dargestellte Alte Fritz war auch mal jung und strahlend. Insofern gehört der schwule König der Preußen in eine Reihe mit anderen homosexuellen Ikonen, ob es nun Literaten sind wie Oscar Wilde und Marcel Proust oder der Modezar Karl Lagerfeld.
Denn der schwule König, der sich seinen Untertanen gegenüber als Musterbeispiel soldatischer Disziplin zeigte und durch Leistung imponieren wollte, hatte eben auch eine ganz andere Seite. Wie ein typischer kultivierter Schwuler klatschte und tratschte er mit Gleichgesinnten, las und schrieb, machte Musik und komponierte. Das sind belegte Fakten, die nicht nur der drei Jahre zu Friedrichs Gefolgschaft gehörende Hetero Voltaire preisgab. Als Zeitzeuge fungierte zudem der ebenfalls schwule Graf von Lehndorff, der dem König als Kammerherr diente. So wird der schwule König Friedrich II. auch als Exzentriker geschildert, der sich in Samt und Seide kleidete, Frauen vom Hof fern hielt und gern den einen oder anderen Pagen vernaschte.