Wer sind die Pornokonsumenten?
Rafael Santeria war Bereichsleiter der Hardcore-Produktion EROdays beim Fetisch- und Porno-Label Eronite. Für die AWM Pro beschreibt er seine ersten Eindrücke aus verschiedenen Bereichen des Erotik-Marketings und ‑Managements.
Flirten ist die beste Werbung. Es ist eine Sache, mit dem Geldschein zu wedeln oder gute Kontakte zu haben. Aber am wichtigsten ist das Vertrauensverhältnis. Ich bin 25, Pornoregisseur bei den Eronite Movie Productions und somit hauptberuflich damit beschäftigt, junge Frauen und Männer miteinander ins Bett zu bekommen, während ich zuschaue und ein bis zwei unserer Jungs eine Kamera draufhalten.
Wer kann das schon aus dem Stegreif? Die Frauen suchen nach meiner bisher überschaubaren Erfahrung vor allem jemanden, bei dem sie sich sicher, akzeptiert und bestätigt fühlen. Meine Aufgabe ist es, ihnen eine angenehmeAtmosphäre zu verschaffen, in der sie sich gut aufgehoben fühlen. Und das kann man besonders gut dann, wenn diese Atmosphäre echt ist: nicht gespielt, sondern wirklich authentisch. Frauen haben sehr sensible Antennen für Heuchlerei und reagieren darauf verständlicherweise mit Abwehr. Mein erster Schritt ist es also, Beziehung zu den Damen aufzubauen. Ich schaue sie mir an und erfasse ihre ganz persönliche Schönheit. Und schon kann ich kaum anders, als mit ihnen zu schäkern.
Das macht uns Spaß, so lange professionelle Distanz erhalten bleibt und führt uns näher zusammen. Wenn ich darüber hinaus technisches Know-How und eine gewisse strukturierende Strenge vermitteln kann, dann habe ich gute Chancen, einen Dreh unter Dach und Fach zu bekommen. Bei den Männern ist es einfacher: Bei Bewerbungsquoten von 300:1 zwischen Männern und Frauen kann – und muss – ich wesentlich strenger aussieben. Der Vorteil: Wir Männer verstehen uns untereinander. Wir wissen, welche zentrale Rolle Sex in unserer Psyche spielt. Das erleichtert die Kommunikation: „Mein Boy, haste über die Feiertage Zeit für'n Dreh? Weiß noch nichts genaues, halte dich auf dem Laufenden.“ „Ja, passt.“ Viel komplizierter ist es da nicht.
Mit wem dreht man einen Porno und wer kauft ihn eigentlich?
So viel zur Darstellerakquise. Schwieriger einzuschätzen ist die eigentliche Zielgruppe: Die vielen, vielen anonymen Männer – und Frauen – die unsere Produkte kaufen. Kaufen sollen. Wer würde das denken? Man findet leichter Menschen, die sich beim Vögeln filmen lassen als die, die einem das Endprodukt abkaufen. Die Leute sind eben nicht sichtbar. Ich habe, ehrlich gesagt, bloß eine sehr vage Vorstellung davon, wer unsere DVDs und Clips eigentlich erwirbt. Sind das die Herren mittleren Alters, die bei unsern Castings kolonnenartig auftauchen? Es werden doch nicht die Leute aus meiner Generation sein? Die kriegen doch Pornos aus dem Internet! Aber wer weiß? Ich bin immer wieder überrascht, wer so alles auf uns stößt. Ich stochere also gewissermaßen im Trüben.
Also vermarkte ich mich und unser Label einfach nach meinem eigenen Gefühl: Was fände ich selbst so geil und ansprechend, dass ich mich für eine bestimmte Produktionsfirma mehr interessieren würde? Ganz klar: Coolness und Flair sind gefragt, Vertrauenswürdigkeit, Style und Qualität. Ich möchte der „Generation Porno“ das geben, was sie auch bei anderen Produkten schätzt: Einen Lifestyle! Schnelle Autos, geile Klamotten, schöne Frauen, Weltuntergangsästhetik, aufwändige aber schlanke Designs, eine Philosophie, gute Musik, … Hipstertum der Pornographie sozusagen. Ich habe keine Ahnung, wie die alteingesessenen Kunden darauf reagieren werden. Aber letztendlich ist Marktwirtschaft eben doch immer ein Stück weit Glücksspiel. Wichtig scheint mir eine einfache Bedienbarkeit: Keiner will es beim Einkaufen kompliziert gemacht haben. Ein Klick, ein Like, alles muss leicht verständlich sein.
Ist sie womöglich viel zu fett, um für mich attraktiv zu sein, aber plötzlich reizt sie mich doch, weil sie's einfach so unfassbar nötig hat und außerdem deepthroated wie keine Zweite? Wenn eine Darstellerin gut in ihre Rolle passt, dann kompensiert das den Umstand, dass ihre Titten womöglich ein bisschen zu sehr hängen. Ihre Ausstrahlung bezaubert uns Männer dann einfach. Und für den Rest gibt es unsere zuckersüßen Visagistinnen.
Wenn ich die Kommentarleisten namhafter Tube-Portale, Zuschriften an uns, persönliche Gespräche und das bisschen relevante Statistik zu dem Thema richtig einschätze, dann konsumieren eigentlich die meisten Männer zwischen 16 und 40 mehr oder weniger regelmäßig Pornographie: Die Bandbreite reicht vom perversen Freak bis hin zum Lifestyle-Konsumenten. Auch meine Generation der späten 80er und frühen 90er Jahre bekennt sich mir gegenüber in aller Deutlichkeit zum Porno-Gucken. Aber: Die wenigsten von ihnen sehen es ein, dafür in Zeiten von Xhamster noch Geld zu bezahlen. Ich habe mit mir bekannten Webcam-Girls und aus einigen eigenen Beobachtungen folgende Vermutung entwickelt: Geld fließt bei enorm hoher Qualität und/oder Attraktivität oder dort, wo Mitmachen erlaubt ist und das Medium Porno an seine Grenzen gerät – die Männer rennen ran, wenn sie ihre Schwänze beim Fanfuck oder Porno-Casting in eins der Mädchen reinstecken dürfen.
Die weniger mutigen geben gerne Befehle im Webcam-Chat – gut und gerne für ein paar Euro die Minute. Und es bleibt noch ein kleiner Rest von Leuten, die es wirklich auf bestimmte Darstellerinnen abgesehen haben: Dort gehen dann gut und gerne mal ein paar dutzend Euro für eine DVD, ein Fan-Paket oder sonstigen Merch über den Ladentisch. Alles darüber hinaus gehende sind die echten Nischenprodukte, die es einfach nach wie vor nicht auf jedem zweiten Amateur-Portal zum Download gibt: Hier sind vor allem Scat und sehr spezielle Fetische wie Knochenbruch o.ä. zu nennen.
Ich verstehe wenig von den technischen Facetten der Werbebranche. Ich habe es nicht studiert und keine entsprechende Ausbildung genossen. Ein zweimonatiges Praktikum in einer renommierten (Nicht-Porno-)Werbeagentur hat mir vor allem eins beigebracht: Man muss probieren und sich von Rückschlägen nicht entmutigen lassen. Einfach weitermachen. Und Gefühl reinbringen. Das ersetzt viel theoretischen Input. In der Porno-Branche stehen viele Türen offen. Ich wünsche mir, mit vielen Leuten zusammen zu finden, die diese Türen in Freundschaft und mit gemeinsamen Zielen begehen wollen. Denn es ist bestimmt noch einiges rauszuholen!
Zuerst erschienen bei: AWM Pro Nr. 8 – Januar 2014