Die Mul­ti­op­ti­ons­ge­sell­schaft – al­les unverbindlich?

Die Multioptionsgesellschaft – alles unverbindlich?
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Mul­ti­op­ti­ons­ge­sell­schaft – al­les wol­len, nichts müssen

Das Bes­se­re su­chen und Men­schen be­lie­big austauschen

Nichts ist un­mög­lich. Je­der kann al­les ha­ben und die meis­ten ge­ben sich mit nichts mehr zu­frie­den, die Er­war­tungs­hal­tung steigt. Die Mul­ti­op­ti­ons­ge­sell­schaft ist ein Phä­no­men der jün­ge­ren Zeit. Na­he­zu al­le Men­schen möch­ten dies rea­li­sie­ren und füh­len sich nicht mehr glück­lich. Denn je­der hat das Recht, die­ses Mehr und die­ses Bes­se­res ein­zu­for­dern. Den­noch: in die­ser schnell­le­bi­gen Zeit ver­lie­ren da­durch Freun­de, Fa­mi­lie so­wie di­ver­se Wer­te und Nor­men folg­lich an Wert.

Die­se (trü­ge­ri­sche) Frei­heit hat weit­rei­chen­de Fol­gen, die im Mo­ment noch nicht ab­zu­se­hen sind. Je­der Mensch ist auf sich fi­xiert und sich selbst der Nächs­te. Steu­ert un­se­re Ge­sell­schaft ge­ra­de auf den Su­per­gau zu? Wor­an liegt es je­doch, dass Sex, Lie­be und Freun­de in un­se­rer neu­en Mul­ti­op­ti­ons­ge­sell­schaft so schnell weg­ge­wor­fen und aus­ge­tauscht werden?

Die Multioptionsgesellschaft - alles wollen, nichts müssenWas ist ei­ne Multioptionsgesellschaft?

Bei dem Be­griff Mul­ti­op­ti­ons­ge­sell­schaft han­delt es sich um ei­nen Be­griff, der viel­fäl­ti­ge Mög­lich­kei­ten zur Le­bens­ge­stal­tung be­schreibt. Die­ser Be­griff trifft auf den größ­ten Teil der Men­schen zu. Al­ler­dings fin­det die In­di­vi­dua­li­sie­rung der Be­völ­ke­rung be­reits in den 1960er Jah­ren ih­ren Ur­sprung. Die in­dus­tri­el­le und tech­ni­sche Ent­wick­lung be­güns­tigt, dass Kon­sum­gü­ter, Wa­ren so­wie Dienst­leis­tun­gen in na­he­zu un­be­grenz­tem Ma­ße zur Ver­fü­gung ste­hen. Dies führt zu ei­ner Stei­ge­rung des Le­bens- und Ver­sor­gungs­stan­dards, von dem ge­ne­rell na­tür­lich erst ein­mal al­le Men­schen profitieren.

Drei zen­tra­le Ent­wick­lun­gen sind ur­säch­lich für die­sen Individualisierungsschub:

  • Wohl­stands­stei­ge­rung
  • Stei­ge­rung des Bildungsniveaus
  • Ver­kür­zung der Arbeitszeit

Der "Drang nach Mehr" stellt die ei­gent­li­che ge­sell­schaft­li­che Trieb­kraft dar. Die Mul­ti­op­ti­ons­ge­sell­schaft er­streckt sich na­he­zu auf das kom­plet­te Le­ben ei­nes Men­schen. So kann je­der be­lie­big oft sei­nen Job wech­seln. Wäh­rend noch vor we­ni­gen Jahr­zehn­ten das Er­ler­nen ei­nes zwei­ten Be­rufs na­he­zu ei­ne Aus­nah­me war, stel­len heut­zu­ta­ge die­je­ni­gen die Min­der­heit dar, die im er­lern­ten Be­ruf ihr Le­ben lang tä­tig sind. Der Trend geht im­mer mehr zur mul­ti­plen Option.

Ei­ne ge­schie­de­ne Ehe ist in der Ge­gen­wart eben­falls kei­ne Sel­ten­heit mehr. Häu­fig wech­seln­de Part­ner­schaf­ten, meh­re­re Kin­der mit ver­schie­de­nen Part­nern zu zeu­gen so­wie das Le­ben in Patch­work-Fa­mi­li­en sind die gän­gi­ge Rea­li­tät. Sich im­mer al­le Op­tio­nen of­fen hal­ten zu wol­len, bringt das En­de der klas­si­schen, in­dus­trie­ge­sell­schaft­lich ge­präg­ten "Nor­mal­bio­gra­phie" mit sich.

Die drei Vor­aus­set­zun­gen des Individualisierungsprozesses

Da­mit sich die­ser In­di­vi­dua­li­sie­rungs­pro­zess voll­zie­hen kann, be­darf es eben­die­ser drei ge­nann­ten Ent­wick­lun­gen. Ei­ne Wohl­stands­stei­ge­rung in na­he­zu al­len Be­völ­ke­rungs­grup­pen, die bis in die 1980er Jah­re an­hielt, lös­ten den so­gen­tann­ten "Fahr­stuhl­ef­fekt" aus: kon­ti­nu­ier­lich konn­ten sich die Mit­glie­der der Ge­sell­schaft im­mer mehr leis­ten. Sei es ei­ne Fern­rei­se oder der zwei­te Fern­se­her im Schlafzimmer.

Die zwei­te Ent­wick­lung stellt die Ver­kür­zung der Ar­beits­zeit dar: den voll­erwerbs­tä­ti­gen Ge­sell­schafts­mit­glie­dern steht nun mehr Frei­zeit zur Ver­fü­gung. In die­ser kön­nen sie ih­ren ei­ge­nen In­ter­es­sen nach­ge­hen. Der An­teil der Ab­itu­ri­en­ten so­wie Stu­den­ten nimmt an­hal­tend zu. Ei­ne Viel­zahl von Men­schen hat ei­ne bes­se­re Chan­cen des so­zia­len Auf­stiegs über ei­ne be­ruf­li­che Kar­rie­re er­langt. Hö­he­re Bil­dung be­deu­tet in die­sem Fall al­ler­dings nicht nur bes­se­re Kar­rie­re­chan­cen, son­dern auch die Stei­ge­rung ko­gni­ti­ver Fä­hig­kei­ten. Dies führt wie­der­um da­zu, dass die Men­schen über das ei­ge­ne Le­ben und sich selbst nachdenken.

Wel­che Fol­gen hat die Multioptionsgesellschaft?

In ei­ner Ge­sell­schaft, in der nun je­der na­he­zu al­les be­kom­men und auch be­sit­zen kann, möch­te sich nie­mand mehr fest­le­gen. Der Kreis­lauf ist ex­trem zer­stö­re­risch und der Scha­den für die Zu­kunft  ist in der Ge­gen­wart noch nicht ab­zu­se­hen. Die Mul­ti­op­ti­ons­ge­sell­schaft stellt in je­dem Le­bens­be­reich Dut­zen­de, Hun­der­te oder so­gar Tau­sen­de von Op­tio­nen be­reit. Je­der ein­zel­ne muss ver­su­chen, die für sich pas­sen­de Va­ri­an­te zu fin­den. Je­doch im­mer wie­der mit der Ge­wiss­heit, dass es Al­ter­na­ti­ven gibt, die bes­ser als die ge­wähl­te Mög­lich­keit ge­we­sen wären.

Fol­gen der Mul­ti­op­ti­ons­ge­sell­schaft in Punc­to Partnerschaft

Die Part­ner­schaft bleibt selbst­ver­ständ­lich von die­sem Wan­del nicht ver­schont. Freund­schaf­ten, Part­ner­schaf­ten so­wie Fa­mi­lie – das kom­plet­te so­zia­le Um­feld ei­nes Men­schen wird durch den Wan­del der Mul­ti­op­ti­ons­ge­sell­schaft ge­prägt. In der Part­ner­schaft so­wie in der Lie­be ste­hen die meis­ten mitt­ler­wei­le vor ei­nem un­über­sicht­li­chen Cha­os. Ein Phä­no­men der Mul­ti­op­ti­ons­ge­sell­schaft ist, dass man lie­ber mit frem­den Men­schen über sei­ne Pro­ble­me spricht an­statt mit Freun­den, der Fa­mi­lie oder dem Partner.

In Part­ner­schaf­ten wird längst nicht mehr so viel kom­mu­ni­ziert wie noch vor der Mul­ti­op­ti­ons­ge­sell­schaft. Der Grund hier­für ist, dass je­der lie­ber den Weg des ge­rings­ten Wi­der­stands geht. In der Mul­ti­op­ti­ons­ge­sell­schaft ist es mitt­ler­wei­le na­he­zu an­ge­se­he­ner, ei­ner un­be­kann­ten Per­son Geld da­für zu be­zah­len, um bei un­se­rem See­len­heil zu hel­fen, an­statt sich im Krei­se der Fa­mi­lie oder Freun­de aus­zu­tau­schen. Sich mit Pro­ble­men aus­ein­an­der­zu­set­zen und die­se zu dis­ku­tie­ren, be­deu­tet Kraft­auf­wand. Da ist es tat­säch­lich für den Mo­ment an­ge­neh­mer, die­se zu ak­zep­tie­ren und ge­ge­be­nen­falls den Part­ner auszutauschen.

Die rei­ne Mo­no­ga­mie hat aus­ge­dient bei den Jüngeren

Noch nie wur­den so vie­le Ehen ge­schie­den wie heu­te in der Mul­ti­op­ti­ons­ge­sell­schaft. Das liegt eben auch dar­an, dass die Viel­zahl der Men­schen sich nicht mit dem zu­frie­den ge­ben kann, was sie hat. In der Mul­ti­op­ti­ons­ge­sell­schaft ist es kei­nes­wegs ver­pönt, mehr­mals hin­ter­ein­an­der zu hei­ra­ten oder häu­fig wech­seln­de Part­ner­schaf­ten zu füh­ren. So ist es doch ein Leich­tes, den Part­ner ein­fach ge­gen ei­nen "bes­se­ren" Part­ner aus­zu­tau­schen. Denn man hat in der Mul­ti­op­ti­ons­ge­sell­schaft im­mer wie­der das Ge­fühl, dass dies doch noch nicht al­les ge­we­sen sein kann und ein an­de­rer Part­ner, der noch bes­ser zu ei­nem passt, ir­gend­wo auf ei­nen war­tet. In frü­he­ren Ge­sell­schaf­ten durch­dran­gen so­zia­le Zwän­ge und Nor­men das ge­sell­schaft­li­che Le­ben noch mehr als heute.

Der Auf­fas­sung, dass Sex ein­zig und al­lein mit dem Part­ner statt­zu­fin­den hat, ist eben­falls ei­ni­ges ent­ge­gen­zu­set­zen. Ge­ra­de jün­ge­re Ge­ne­ra­tio­nen der Mul­ti­op­ti­ons­ge­sell­schaft le­ben nicht mehr in rei­ner Mo­no­ga­mie. Die Hemm­schwel­le zu Sei­ten­sprün­gen wird im­mer grö­ßer. So­zia­le Me­di­en, wie Face­book, In­sta­gram, Snap­chat, Whats­App oder auch di­ver­se In­ter­net­por­ta­le wie blau​kon​takt​.com, gold​kon​takt​.com und flirt​le​ben​.com schaf­fen hier ein leich­tes Spiel. Fremd­gän­gern sind kei­ne Gren­zen mehr ge­setzt. War­um soll man sich auf Sex mit dem Part­ner be­schrän­ken, wenn man ein we­nig Ab­wechs­lung ins Le­ben brin­gen und mit ei­ner an­de­ren (at­trak­ti­ve­ren) Per­son viel­leicht viel schö­ne­ren Sex ha­ben kann?

Hier setzt das Le­bens­mo­dell der Po­ly­amo­rie ei­nen neu­en Ak­zent: tra­di­tio­nel­le Wer­te, die wie frü­her ge­lebt wer­den, kom­bi­niert mit meh­re­ren Part­ner­schaf­ten. Kei­ne Po­ly­ga­mie, kein Hüp­fen von Bett zu Bett, son­dern ver­läss­li­che, ver­trau­ens­vol­le Bin­dun­gen, bei de­nen sich im Ide­al­fall al­le be­tei­lig­ten Part­ner ken­nen, mö­gen und vor al­lem auch schätzen.

Was die Mul­ti­op­ti­ons­ge­sell­schaft für Fa­mi­lie bedeutet

Das Sprich­wort "Blut ist di­cker als Was­ser" ist heu­te in der Mul­ti­op­ti­ons­ge­sell­schaft nicht mehr so zu­tref­fend wie noch vor we­ni­gen Ge­ne­ra­tio­nen. Fa­mi­li­en le­ben nicht mehr zu­sam­men un­ter ei­nem Dach. Denn je­de Ge­ne­ra­ti­on ent­schei­det für sich, wie und wo sie le­ben möch­te. Zwar han­delt es sich um Ge­schwis­ter und El­tern, aber auch die­se kann man auf Ab­stand hal­ten. Frei nach dem Mot­to "In der Zeit, die ich für die Fa­mi­lie in­ves­tie­re, könn­te ich an­de­re span­nen­de Din­ge ver­säu­men."  – Mit den El­tern oder Groß­el­tern am Sonn­tag­nach­mit­tag Kaf­fee zu trin­ken, kann doch nicht al­les ge­we­sen sein. An die­ser Stel­le soll­te man sich je­doch fra­gen, ob der im­mer wie­der­keh­ren­de Durst nach Mehr der Fak­tor sein soll, der das Le­ben der Mul­ti­op­ti­ons­ge­sell­schaft bestimmt.

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