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Mehr als nur ein Vergnügen
Seit dem Hype um Fifty Shades of Grey ist das Interesse an erotischer Literatur stark gestiegen. Selbst Menschen, die zuvor nur selten ein Buch in die Hand nahmen, suchen ein prickelndes Leseerlebnis. Glücklicherweise gibt es erotische Literatur nicht erst seit Erscheinen der Fifty-Shades-Trilogie von E.L. James. Das Genre ist so alt wie die Literatur selbst.
Schon immer haben Autoren die Schrift genutzt, um Geschehnisse aufzuschreiben, die ansonsten heimlich stattfinden. Dinge, die vor fremden Blicken verborgen bleiben und doch so reizvoll wie keine andere Sache sind. Grundsätzlich soll Literatur nützen und erfreuen. Diesen Grundsatz ("prodesse et delectare") hat einst der römische Dichter Horaz in seiner Ars Poetica beschrieben. Er gilt auch für die erotische Literatur. Gleichwohl legt jeder Schriftsteller mit seinem Werk einen eigenen Schwerpunkt. Worauf genau kann die erotische Literatur bedacht sein?
So vielseitig ist erotische Literatur
Mancher Autor – und es muss ja nicht gleich Heinrich Böll sein (der übrigens im Dezember 2017 stolze 100 Jahre alt geworden wäre) – legt es mit seinen Geschichten auf Unterhaltung an oder möchte die erotische Fantasie seiner Leserinnen und Leser beflügeln. Andere Verfasser wollen die Menschen vielleicht sogar dazu ermuntern, beim eigenen Liebesspiel neue Wege zu gehen. Manches Paar hat sich angeregt von Fifty Shades of Grey in den BDSM-Bereich vorgewagt. Es gab in der Geschichte auch immer wieder Autoren, die sich als erotische Aufklärer verstehen. In ihren erotischen Berichten legen sie dunkle, unbekannte oder triebhafte Seiten der Gesellschaft offen. Die Schriften des Marquis de Sade, von dessen Name sich der Begriff Sadismus ableitet, lassen sich so lesen.
Schließlich gibt es auch noch Werke über die Liebeskunst. Seit der Antike wurden immer wieder Bücher verfasst, die Menschen über verschiedene Stellungen beim Liebesspiel belehren wollten. Das um 300 vor Christi Geburt verfasste Kamasutra ist vielleicht das bekannteste Beispiel dieser Art. Während manche Bücher Lesern Kenntnis über Sexstellungen vermitteln, lehren wiederum andere die Kunst des Flirtens und Verführens.
Insgesamt bietet das Erotikgenre wesentlich vielseitigere Lektüreerlebnisse her als man im ersten Moment vermuten mag. Man kann Sexbücher zum Spaß lesen oder erotische Lektüre nutzen, um sich einen Erkenntnisgewinn zu verschaffen. Gibt es bei all dieser Vielfalt auch so etwas wie einen erotischen Kanon? Welche Werke sollte man unbedingt lesen?
Schreiben an der Grenze zum Skandal
Erotische Literatur wurde an gesellschaftlichen Grenzen entlanggeschrieben. Diese Orientierung sorgt dafür, dass Erotikromane einen eigenen Nervenkitzel für die Leser ihrer Zeit versprechen. Erotische Skandalromane ziehen ihre Leser oft bis heute noch in den Bann. Sie führen einen Fetisch vor oder präsentieren die Lust an Handlungen, die es im Alltag so nicht zu sehen gibt. Erotiklektüre verhandelt fest verteilte Rollen neu und gibt Menschen im Liebesspiel Handlungsmöglichkeiten, die mit einer neuen Lust verbunden sind.
Erotikautoren haben mit ihren Werken auf der gesellschaftlichen Ebene neu verhandelt, was eigentlich Normalität bedeutet. Sie geben dem Leser aber immer auch persönliche Möglichkeiten an die Hand. Romane können die erotische Begeisterung vervielfältigen und neue Fantasien entfachen. Sie ermuntern die Menschen dazu, sich auf neue erotische Rollen einzulassen und am Feuer der Literatur vormals unbekannte Lüste zu entfachen.
Zu den bekanntesten erotischen Skandalromanen zählt der Roman "Lady Chatterleys Liebhaber" des englischen Schriftstellers D.H. Lawrence. In dem vielfach verfilmten Roman verstößt die Romanfigur Constance Chatterley gegen die moralischen Vorstellungen ihrer Zeit. Die Art, wie sie ihre Sexualität entfaltet, galt in der damaligen Zeit als Skandal. Der Roman lässt sich jedoch auch als Emanzipationsgeschichte lesen.
D.H. Lawrence hat noch weitere erotische Lektüren vorgelegt. Das Buch "Der Regenbogen" ist ein Beispiel dafür. Auch Vladimir Nabokovs umstrittener Roman Lolita hat seinerzeit einen Skandal ausgelöst. In Slash Fiction oder Sexualromanen wie diesen zeigen sich auch problematische Seiten der erotischen Literatur. Das Buch stellt eine Missbrauchsgeschichte zwischen einem alternden Literaturwissenschaftler und seiner Lolita dar.
Erotikliteratur jenseits moralischer Grenzen
Skandalträchtig sind nicht nur nur Erotikstorys beispielsweise aus der Evangelischen Akademie Wittenberg ("Das Schandbild muss weg! 2016 hatte der Theologe Richard Harvey eine Online-Petition zur Abnahme des Sandsteinreliefs "Judensau" von der Wittenberger Stadtkirche gefordert"), sondern bis heute ist auch das Werk des Marquis de Sade der Skandal schlechthin. Der französische Adlige verfasste seine gewaltpornographischen Romane im 18. Jahrhundert. Seine Sexromane lassen wenig sexuelle Spielarten aus und fühlen sich an keine moralischen Grenzen gebunden. Zu seinen bekanntesten Romanen zählen "Die Geschichte der Justine oder Die Nachteile der Tugend". Darin beschreibt de Sade die Geschichte einer Prostituierten, die sich auf den Pfad der Tugend begibt – und seither vom Pech verfolgt wird. Sein Buch "Die Philosophie im Boudoir" ist laut Untertitel "zur Erziehung junger Damen bestimmt". Es dreht sich um die anatomische Ausreizung des Lustmaximums.
Vielleicht am berühmtesten ist schließlich de Sades Episodenroman "Die 120 Tage von Sodom". Er wurde vom italienischen Regisseur Pier Paolo Pasolini verfilmt. Die Sexromane de Sades haben auch deshalb eine derartige Bedeutung erlangt, weil sie immer wieder von Philosophen interpretiert wurden. Vielen haben de Sade als eine Art dunklen Aufklärer gelesen.
Das masochistische Pendant zu de Sades Werke bilden die Bücher von Leopold Sacher-Masoch. Bekannt wurde der österreichische Schriftsteller durch seine 1870 verfasste Novelle "Venus im Pelz". In der Geschichte wird das Wechselspiel zwischen dem Erzähler in der Rolle des Sklaven und seiner Herrin "Wanda" beschrieben. Das Werk, das von eigenen Erlebnissen Sacher-Masochs inspiriert ist, wurde mehrfach verfilmt und auf vielen Theaterbühnen aufgeführt.
1967 hat die Band The Velvet Underground den gleichnamigen Song "Venus in Furs" veröffentlicht und damit etwas zur Bekanntheit des Erotikromans beigetragen. Der Name des österreichischen Schriftstellers hat den Begriff Masochismus hervorgebracht. Sacher-Masoch hat unzählige weitere erotische Romane und Kurzgeschichten veröffentlicht. Manche davon unter den Pseudonymen Zoë von Rodenbach und Charlotte Arand.
Erotische Biografien als authentische Erotika
Einen wichtigen Teil der erotischen Literatur nehmen auch erotische Biografien ein. Darin berichten Autoren von echten Erlebnissen oder fiktiven Biografien. Vor allem dann, wenn Erotikautoren ihre Werke als authentische Sexbücher präsentierten, verspricht dies einen besonderen Reiz. Erotische Literatur dieser Art bedient die geheimen Lüste des Voyeurs, die in jedem Leser stecken. Wenn etwa Charlotte Roche über Feuchtgebiete aussagt, dass das Buch zu 70% autobiografische Züge trage, macht das die erotische Lektüre nicht langweiliger. Es gibt aber auch Erotikbücher, die noch mehr Authentizität versprechen.
Autobiografische Sexualromane wie "Josefine Mutzenbacher oder Die Geschichte einer Wienerischen Dirne von ihr selbst erzählt" sind ein Beispiel dafür. Erotiklektüre gibt explizite intime Einblicke in die Erlebnisse einer Prostituierten aus der Wiener Großstadt. Heute geht die Forschung davon aus, dass der 1906 veröffentlichte Bericht vom Autor Felix Salten verfasst wurde. Das hat dem Buch aber nichts von seinem Reiz genommen.
Ein neueres Beispiel für erotische Literatur dieser Art ist das unter dem Pseudonym Sonia Rossi 2008 veröffentlichte Buch "Fucking Berlin. Studentin und Teilzeithure". In dem Buch beschreibt die Autorin, deren bürgerlicher Name unbekannt ist, wie sie als Studentin beginnt als Prostituierte zu arbeiten. Der autobiografische Bestseller wurde in 8 Sprachen übersetzt, breit rezipiert und 2016 verfilmt.
Die Kunst von Flirt und Verführung
Erotische Lektüre kann mehr als nur unterhaltsame Einblicke in die privateste Nebensache der Welt bieten. So können Erotikromane und erotische Kurzgeschichten etwas über die Kunst der Verführung lehren. Tatsächlich sind erotische Skandalromane voll von großen Verführern. Manches Werk ist sogar explizit darauf ausgelegt, seine Leser darin zu schulen, wie man andere Menschen bezirzt. Das Wort bezirzen stammt bereits aus der Erzählung. Es ist vom Namen der Göttin Circe abgeleitet und spielt auf die berühmten Verführungskünste der Zauberin an. Die Göttin kommt in Homers Odyssee vor.
Eine moderne Neuerzählung des alten Mythos hat die Autorin Madeline Miller mit ihrem Roman "Ich bin Circe" geschaffen. Die bekannteste Figur unter den literarischen Verführern ist jedoch Giacomo Casanova. In seinen Memoiren mit dem Titel "Geschichte meines Lebens" beschreibt er seine Verführungen und erotischen Abenteuer. Was die erotische Literatur betrifft, ist dieses Buch bis heute ein Klassiker.
Kurzgeschichten und Gedichte schulen die erotische Sprache
Wer sich an erotische Literatur heranwagen will, muss nicht gleich große Romane lesen. Die Erotikliteratur bietet Lesern auch unzählige kurze Geschichten mit erotischem Feuer und faszinierende Gedicht. Von ihrer Lektüre haben Leser oft mehr als nur einen kurzen Spaß. Erotika dieser Art schulen die erotische Sprache und steigern so die Verführungsfähigkeiten ihrer Leser.
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Ein guter Sammelband mit kürzeren Geschichten ist etwa das von Anaïs Nin veröffentlichte Buch "Das Delta der Venus". Wer erotische Gedichte sucht, wird bei Heinrich Heine, Bertolt Brecht ebenso fündig wie in den Sonetten Shakespeares, den Gedichten Goethes und bei vielen anderen Schriftstellern. Aber auch das Werk der antiken Dichterin Sappho oder die Texte von Marceline Desbordes-Valmore versprechen eine sinnliche Lektüre.
Die Vielfalt sexueller Akrobatik kennenlernen
Erotikliteratur kann als erotische Kunst ("Ars Erotica") aber auch noch etwas Weiteres leisten. Sie kann einen Kanon von Sexstellungen zeigen. Die Beschäftigung mit solchen Werken vermittelt sehr konkrete Ideen zur Bereicherung des eigenen Liebeslebens. Eine der bekanntesten Sammlungen dieser Art bildet das Kamasutra.
Es ist im alten Indien erschienen und wurde auf Sanskrit veröffentlicht. Bis heute hat dieses Buch unzählige Neuauflagen erlebt. Es gibt jedoch noch viele ähnliche Erotikbücher. Das von Emily Nagoski veröffentlichte Buch "Komm, wie du willst" richtet sich explizit an Frauen. Erotische Literatur bietet damit auch sehr praktische Tipps für alle, die einmal etwas Neues im Bett ausprobieren wollen.