Das Buch: Nur 50 Näch­te – Lie­be als ein Projekt

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So­fie, ei­ne jun­ge Frau vol­ler Lust auf ver­sau­te Blowjobs

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Das Jahr klingt aus, un­se­re gu­ten Wün­sche an al­le un­se­re Le­se­rin­nen und Le­ser sind über­bracht, un­term Weih­nachts­baum lie­gen die Ge­schen­ke, die Ge­schäf­te sind ge­schlos­sen und al­les ist ein biss­chen be­sinn­li­cher. Auch Ta­ra-Fun und Ki­ki Ve­ga lie­gen spär­lich be­klei­det auf der Ca­sa Co­la­da un­term Tan­nen­baum und er­fül­len dem ein oder an­de­ren User noch ei­nen Wunsch.
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Deepthroat (DT)

Was ist was? Das Por­no­le­xi­kon bie­tet al­len In­ter­es­sier­ten aus­gie­bi­ge In­for­ma­tio­nen zu Be­grif­fen aus dem Ero­tik­be­reich. Ein­zel­ne Wör­ter, Ab­kür­zun­gen und Flos­keln wer­den an­schau­lich er­klärt. Mit dem Ero­tik­le­xi­kon kann je­der Ero­tik­fan den ei­ge­nen Wort­schatz um ein paar in­ter­es­san­te Aus­drü­cke erweitern.
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SEXBOMBE DES MONATS
Sexbombe des Monats: LolaLohse Pornos heizen ein

Sex­bom­be des Mo­nats: Lola­Loh­se Por­nos hei­zen ein

Nach ei­ge­ner Aus­sa­ge ist sie schüch­tern (nur nicht in den Lola­Loh­se Por­nos) und wird bei Ge­sprä­chen mit Män­nern sehr schnell ner­vös. Da­her fiel es ihr in der Ver­gan­gen­heit nicht leicht, neue Be­kannt­schaf­ten zu schlie­ßen. Doch mitt­ler­wei­le be­kommt die ge­lern­te Bä­cke­rin die Sa­che mit dem Sex bes­tens gebacken.

In­halts­ver­zeich­nis

Pro­log

50 Näch­te, ein hal­bes Jahr und ei­ne Ro­man­ze – so lau­te­te mein Plan. Ei­ne Ro­man­ze, die da­zu be­stimmt war, mir ei­ne Spra­che bei­zu­brin­gen; ei­ne Ro­man­ze auf Zeit, be­grenzt bis zum En­de des Som­mers, ei­ne Som­mer­lie­be mit Zweck. In­so­fern es sich zu ei­ner ent­wi­ckeln wür­de. Doch ge­nau das reiz­te mich und eben das wür­de ich nach Ab­lauf mei­ner Frist wissen.

Ist es mög­lich, ei­ne Be­zie­hung ein­zu­ge­hen, die nur den Sinn er­füllt, mir ei­ne Spra­che nä­her zu brin­gen und mich in all ih­re De­tails ein­tau­chen zu las­sen? Und die auf ge­nau die­sem Ver­trag be­ruht? Fin­det man ei­nen Part­ner, der so et­was mit­macht? Je­man­den, der weiß, dass sei­ne Zeit zu ei­nem be­stimm­ten Zeit­punkt ab­ge­lau­fen sein wird und der trotz­dem be­reit ist, sich auf die­se Be­zie­hung einzulassen?

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Al­les be­gann mit ei­nem Blog

Und mit zwei Män­nern so­wie ei­ner Wahr­heit, die sich schnel­ler ver­brei­te­te, als mir ei­gent­lich lieb war. Und mei­nem Wunsch, end­lich per­fek­tes Spa­nisch zu be­herr­schen. Es war der ers­te Tag im April, auf Mal­lor­ca wur­de es wär­mer, die Ta­ge wur­den län­ger und die Früh­lings­ge­füh­le er­wach­ten. Nach­dem ich ei­nen Groß­teil des Win­ters in Deutsch­land ver­bracht und Pro­jek­te dort ver­folgt hat­te, be­gann ich mei­ne Zeit wie­der mehr der In­sel zu wid­men – der In­sel und ih­ren Bewohnern.

Schon im­mer hat­te ich ei­ne Schwä­che für Män­ner und ins­be­son­de­re da­für, wie man sie um den Fin­ger zu wi­ckeln ver­mag. Eben­so ist es schon bei­na­he ei­ne Tra­di­ti­on in mei­nem Le­ben ge­wor­den, aus ei­ner Lei­den­schaft „mehr“ zu ma­chen. Und so ent­stand die Idee für das, was den Rest mei­nes Som­mers deut­lich prä­gen soll­te: ein Dating-Blog.

Di­rekt zum deut­schen Traum

Abend für Abend traf ich al­so Spa­ni­er, Mal­lor­qui­ner und hin und wie­der auch Tou­ris­ten, ließ mich auf im­mer wie­der die­sel­ben Ge­sprä­che ein, saß in den­sel­ben Ca­fés und er­zähl­te je­dem die­sel­ben Din­ge über mich: mein Na­me ist He­ra Del­ga­do, ich bin Bon­da­ge­künst­le­rin, le­be po­ly­amor – wei­ter kam ich sel­ten, denn für die meis­ten mei­ner Dates war das schon aben­teu­er­lich ge­nug; kaum je­mand war in sei­nem bis­he­ri­gen Le­ben mit ei­ner mei­ner Ein­stel­lun­gen kon­fron­tiert worden.

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Au­torin Ny­na Mateo

Für je­den Abend ver­ab­re­de­te ich mich mit ei­nem an­de­ren Mann

Über je­des Date ver­fass­te ich ein kur­zes Vi­deo, das ich on­line stell­te, doch zu­neh­mend be­kam ich den Ein­druck, tag­täg­lich das­sel­be zu er­zäh­len und be­gann mich zu lang­wei­len, woll­te mei­nen Blog so­gar bei­na­he schon auf­ge­ben – bis ich mein Date mit Pe­dro hatte.

Pe­dro war Mal­lor­qui­ner, jung, at­trak­tiv, sym­pa­thisch und mit ei­nem fes­ten ei­ge­nen Stand­punkt. Ken­nen­ge­lernt hat­te ich ihn über Tin­der. Wäh­rend vie­le der Män­ner, die mir auf mei­nem Bild­schirm er­schie­nen wa­ren, auch eben so schnell wie­der von ihm ver­schwan­den, blieb ich an dem Bild von ihm für Au­gen­bli­cke hän­gen. Ei­gent­lich ent­sprach er mit den brau­nen Haa­ren und den ha­sel­nuss­far­be­nen Au­gen so gar nicht mei­nem Typ, be­kann­te ich mich doch stets da­zu, hel­le Haa­re, Haut und Au­gen zu bevorzugen.

Trotz­dem war er un­be­streit­bar gut­aus­se­hend. Lei­der wuss­te ich sonst nicht viel mehr von ihm. Ich hübschte mich al­so auf, schmink­te mich, setz­te mich ins Au­to und freu­te mich auf un­ser Tref­fen. Er hat­te mich zu sich nach Hau­se zu ei­nem Kaf­fee ein­ge­la­den – am Ziel an­ge­kom­men stell­te ich mir wie so oft in Spa­ni­en die Fra­ge, wel­che der Buch­sta­ben- und Zah­len­kom­bi­na­tio­nen am Klin­gel­schild denn nun die sei­ne war. Wie auch im­mer, an­de­re Län­der, an­de­re Sit­ten sag­te ich mir…

Pe­dro war ein sehr zu­vor­kom­men­der und auf­merk­sa­mer Mensch

An der Tür be­grüß­te er mich, führ­te mich durch sei­ne Woh­nung zum So­fa, wo ich es mir mit ei­ner De­cke ge­müt­lich mach­te. Auch wenn es tags­über auf Mal­lor­ca ste­tig mil­der wur­de, so wa­ren die Näch­te doch noch recht kühl, so dass man abends selbst drin­nen noch fror. Mir war di­rekt auf­ge­fal­len, dass er ei­ne sehr schö­ne Woh­nung hat­te, al­les war ex­trem or­dent­lich und ich fühl­te mich durch­aus wohl. Den Abend ver­brach­ten wir mit in­ter­es­san­ten Ge­sprä­chen über die spa­ni­sche Kul­tur und Le­bens­wei­se. Ich führ­te gern sol­che Ge­sprä­che, in de­nen ich ei­nen Ein­blick in an­de­re Sit­ten und Bräu­che be­kam und nicht zu­letzt war auch dies ein Teil mei­nes Pro­jekts. Er er­fuhr al­so über mich, mei­nen Le­bens­stil und mei­ne Denk­wei­sen, wie auch die vie­len an­de­ren, die ich vor ihm ge­da­tet hat­te. Dar­über, dass ich es als Cha­rak­ter­schwä­che emp­fand, in ei­nem Land zu le­ben und des­sen Spra­che nicht zu be­herr­schen. Dass ich für mein Le­ben gern tauch­te und die Schwe­re­lo­sig­keit un­ter Was­ser genoss.

Di­rekt zum deut­schen Traum

Ich er­zähl­te ihm, wie sehr mich das Au­ßer­ge­wöhn­li­che be­geis­ter­te und ich ger­ne Men­schen mit an­de­ren Le­bens­kon­zep­ten um mich hat­te. Und eben­so wie die­je­ni­gen zu­vor re­agier­te auch er auf das The­ma Po­ly­amo­rie – ei­ne Be­zie­hungs­form, bei der meh­re­re Lie­bes­be­zie­hun­gen gleich­zei­tig ne­ben­ein­an­der exis­tie­ren – eher ab­wei­send und ver­stört, sein gan­zes Ver­hal­ten mir ge­gen­über an die­sem Abend war vor­ran­gig di­stan­zier­ter und küh­ler Na­tur, je­doch nicht auf un­an­ge­neh­me Art und Weise.

Es fiel mir ins­ge­samt schwer ein­zu­schät­zen, ob er an mir als Frau ge­ne­rell in­ter­es­siert war und das wie­der­um weck­te mein In­ter­es­se. Er ge­fiel mir mit sei­ner ent­schlos­se­nen und durch­set­zungs­star­ken Art, dem mar­kan­ten Kinn, des­sen Haut sich zu kräu­seln be­gann, so­bald er in­ten­siv nach­dach­te und ei­ner bren­nen­den Neu­gier auf al­les, was an­ders war als das, was er kann­te. Mit sei­ner Neu­gier auf mich. In ihm sah ich die Mög­lich­keit, je­man­den für mein Pro­jekt ge­fun­den zu ha­ben. Al­so wür­de ich mir ein biss­chen Mü­he ge­ben müs­sen, ich hat­te noch längst nicht al­le Re­gis­ter gezogen.

Ir­gend­wann funk­te es zwi­schen uns bei­den, wir moch­ten uns sehr

Wir tra­fen uns schluss­end­lich wie­der, ver­brach­ten Zeit mit­ein­an­der, ver­leb­ten ein paar ty­pi­sche ers­te Dates und ge­wöhn­ten uns an­ein­an­der. Un­se­re ge­gen­sei­ti­ge Sym­pa­thie wuchs.

Ei­ni­ge Ta­ge wa­ren ver­gan­gen, ich saß ge­ra­de ent­spannt bei ei­nem Kaf­fee al­lein in der Stadt, als ich plötz­lich ei­ne Nach­richt er­hielt: „Mal­lor­ca ist klein“.


Vie­len Dank an An­ne G. Sa­bos Buch­prä­sen­ta­ti­on „Af­ter Por­ni­fied – How wo­men are trans­forming por­no­gra­phy", die uns in­spi­riert hat.


Ab­sen­der die­ser Nach­richt war Ju­an, eben­falls ein Spa­ni­er, den ich im Rah­men mei­nes Blogs ge­trof­fen hat­te. Ich wun­der­te mich, war­um er mir jetzt ge­ra­de schrieb, denn er war kei­nes­wegs er­freut dar­über ge­we­sen, dass ich ihm nach un­se­rem Date ei­nen Link zu mei­nem Blog schick­te und we­nig spä­ter hat­te er na­he­zu den Kon­takt zu mir ab­ge­bro­chen. Da­bei war er mir als Ers­ter wirk­lich sym­pa­thisch ge­we­sen und sei­ne strah­lend grü­nen Au­gen, die all­zu oft von Lach­fält­chen um­ringt wa­ren, hat­ten ei­nen ganz be­son­de­ren Ein­druck bei mir hin­ter­las­sen. Ich lieb­te grü­ne Augen.

Di­rekt zum deut­schen Traum

Un­ge­fähr zeit­gleich er­hielt ich ei­ne Nach­richt von Pe­dro, in der er mir eben die Vor­wür­fe, die auch Ju­an mir schon ge­macht hat­te, nun sei­ner­seits ent­ge­gen schmet­ter­te und un­ser Date für den­sel­ben Abend ab­sag­te. Er nann­te mich un­ehr­lich, da ich ihm vor­ent­hal­ten hat­te, dass ich ein Vi­deo über un­ser Date auf­neh­men wür­de. Ich da­ge­gen such­te die au­then­ti­schen Re­ak­tio­nen, was es mir qua­si un­mög­lich mach­te, die Män­ner im Vor­feld dar­über auf­zu­klä­ren. Ich woll­te ihr Ver­hal­ten nicht verfälschen.

Be­drückt stimm­te ich Ju­an zu, dass Mal­lor­ca viel zu klein war und al­le über Drit­te – wie auch die­se bei­den Män­ner – ir­gend­wie mit­ein­an­der ver­netzt wa­ren, so dass es qua­si kei­ne Ge­heim­nis­se auf der In­sel gab.

Pe­dro und Ju­an – zwei Män­ner mit in­ter­es­san­ten Charakteren

Pe­dro hat­te durch ge­nau so ei­ne Ver­bin­dung von mei­nem Date mit Ju­an und mei­nem Blog er­fah­ren und war nun stink­sauer. Re­la­tiv ver­geb­lich ver­such­te ich, ihn zu be­ru­hi­gen – was mir kaum ge­lang, aber im­mer­hin konn­te ich ihn da­von über­zeu­gen, mich we­nigs­tens ein letz­tes Mal zu tref­fen. Ein Tref­fen, um mir die Chan­ce zu ge­ben, mich ihm zu er­klä­ren. Das war das Ein­zi­ge, was zu tun mir noch üb­rig blieb – er war mir zu sehr ans Herz ge­wach­sen, um ihn auf die­se Art und Wei­se zu ver­lie­ren: durch Ver­heim­li­chun­gen und un­aus­ge­spro­che­ne Vor­wür­fe. Ich woll­te zu­min­dest mit ihm ins Rei­ne kom­men, be­vor wir uns end­gül­tig aus den Au­gen ver­lie­ren wür­den. Noch nie hat­te ich es ge­mocht, Men­schen so aus mei­nem Le­ben ge­hen zu lassen.

Abends fuhr ich zu ihm. Wir dis­ku­tier­ten hit­zig, ich ver­such­te mich ihm zu er­klä­ren, leg­te ihm ver­zwei­felt mei­ne Grün­de da und er mach­te sei­ne Mei­nung nur all­zu deut­lich, wäh­rend sein Kinn vor Wut zu be­ben be­gann. Dar­an merk­te ich, dass er wirk­lich auf­ge­wühlt war. Ich lenk­te mehr­fach ein, hat­te tat­säch­lich Ver­ständ­nis für sei­ne Sicht der Din­ge und ein schlech­tes Ge­wis­sen. Durch­aus nicht un­be­ab­sich­tigt drück­te ich schließ­lich et­was mehr als wahr­schein­lich nö­tig ge­we­sen war auf die Trä­nen­drü­se – der Tag hat­te auch mich emo­tio­nal sehr ge­trof­fen – und mei­ne Trä­nen lie­ßen ihn er­wei­chen, so dass er mich schließ­lich in sei­ne Ar­me nahm.

Di­rekt zum deut­schen Traum

Er frag­te mich, was aus uns wer­den wür­de, ei­ne Fra­ge, die ich selbst dann, wenn ich es ge­konnt hät­te, nicht ge­willt ge­we­sen wä­re zu be­ant­wor­ten. Ich bin Be­zie­hungs­an­ar­chis­tin und eti­ket­tie­re kei­ne Be­zie­hun­gen. Zu schwer wä­re es, wo ei­ne Be­zie­hung an­fängt, bis wo es sich um rei­ne Freund­schaft han­delt und was ei­ne Be­zie­hung denn zu ei­ner sol­chen macht. Sex? Ge­füh­le? All­tag mit­ein­an­der? Ich für mich kann die­se Fra­ge auf je­den Fall nicht ein­deu­tig ge­nug be­ant­wor­ten und ha­be die­ses Kon­zept da­her hin­ter mir gelassen.

In punk­to se­xu­el­ler Kom­pa­ti­bi­li­tät la­gen wir mei­len­weit auseinander

Trotz al­lem, oder viel­leicht auch ge­ra­de we­gen all des­sen, was an die­sem Tag pas­siert war, fan­den wir uns in sei­nem Bett wie­der. Ob­wohl dies un­ter nor­ma­len Um­stän­den ver­mut­lich nie pas­siert wä­re, war es mir in die­sem Mo­ment den­noch gleich­gül­tig. Was ge­sche­hen war, wür­de ver­mut­lich so­wie­so ab jetzt zwi­schen uns ste­hen und ich woll­te die­sen letz­ten Au­gen­blick noch ge­nie­ßen. Nur lei­der konn­te ich nicht. Bild­lich ge­spro­chen war es, als sä­ße ich am Nord­pol und er am Süd­pol. Wir wa­ren se­xu­ell so weit wie ir­gend­wie nur mög­lich war von­ein­an­der ent­fernt – wenn ich ren­nen woll­te, blieb er ste­hen und wenn er aß, hat­te ich kei­nen Hun­ger. Wäh­rend er im­mer wei­ter nach rechts ging, rann­te ich im­mer schnel­ler nach links.

Ja, ver­mut­lich war das schlech­te Ge­fühl, das ich wäh­rend­des­sen be­kam, auch durch un­se­ren ko­mi­schen, vor­an­ge­gan­ge­nen Streit ver­schul­det, aber uns bei­den war nur all­zu be­wusst, dass wir in die­ser Hin­sicht ab­so­lut nicht zu­ein­an­der pass­ten und es wahr­schein­lich auch nie­mals tun wür­den. Doch er über­rasch­te mich, in­dem er sag­te: „Ja, es ist halt am An­fang im­mer schwie­rig, man muss sich ja auch erst mal auf­ein­an­der ein­stel­len“. Wäh­rend er mit zer­knirsch­tem Blick so un­ter sei­nen ver­wu­schel­ten Haa­ren von der an­de­ren Sei­te des Bet­tes zu mir her­über schau­te, keim­te in mir Hoff­nung auf.

Viel­leicht soll­te es vor­erst doch erst ein­mal nur ei­nen An­fang und kein En­de geben.

April

Da war sie al­so nun: die Be­zie­hung, nach der ich die gan­zen letz­ten Wo­chen über ge­sucht und die zu fin­den ich bei Pe­dro schon fast nicht mehr für mög­lich ge­hal­ten hat­te. Noch im­mer fiel es mir schwer ein­zu­schät­zen, wel­che Art von In­ter­es­se er denn an mir hat­te, ob­gleich ich mir mitt­ler­wei­le si­cher war, dass er In­ter­es­se hat­te. Bis­lang blie­ben mir sei­ne wah­ren Mo­ti­ve je­doch ein Rät­sel – ein Rät­sel, das zu er­grün­den ich mir zur Auf­ga­be mach­te. Schließ­lich war die Zeit reif; es war Mon­tag­abend, ein an­stren­gen­der Tag lag hin­ter mir und doch blick­te ich voll Neu­gier dem Rest des Ta­ges ent­ge­gen, mei­ner ers­ten Nacht bei Pe­dro. Et­was mul­mig war mir schon zu­mu­te, letzt­end­lich war ich mir des­sen, dass ich blei­ben wür­de doch nicht ganz ge­wiss, aber der Reiz des Neu­en und Un­be­kann­ten über­wäl­tig­te mich.

Als ich um 22 Uhr durch die Tür zu sei­ner Woh­nung trat, frag­te er mich, ob ich schon ge­ges­sen hat­te. Für ei­nen Spa­ni­er war dies si­cher­lich ei­ne ganz nor­ma­le und durch­aus be­rech­tig­te Fra­ge, ich mach­te ihm je­doch sehr schnell klar, dass ich es zum Es­sen mehr als nur ein biss­chen zu spät fand – trotz der Tat­sa­che, dass ich den gan­zen Tag über noch nicht so rich­tig viel in den Ma­gen be­kom­men hatte.

Di­rekt zum deut­schen Traum

Prü­fend schau­te er mich an, mus­ter­te mich mit ei­nem durch­drin­gen­den Blick und ver­schwand mit der knap­pen An­sa­ge „Wir es­sen jetzt“ in der Kü­che. In­ner­lich seufz­te ich auf und setz­te mich re­si­gniert auf ei­nen Stuhl am run­den Ess­tisch. Im­mer­hin be­fand ich mich in Spa­ni­en und dies wa­ren nun mal die für ei­nen Spa­ni­er gän­gi­gen Es­sens­zei­ten. Ab­ge­se­hen da­von wuss­te ich mich zu be­neh­men, wenn ich bei je­man­dem zu Be­such war.

Er wirk­te sehr be­stim­mend und das ge­fiel mir über­haupt nicht an ihm

Kur­ze Zeit spä­ter kam Pe­dro mit zwei Tel­lern Pas­ta aus der Kü­che zu­rück. Er wirk­te gut ge­launt und schien an mei­nem bis­he­ri­gen Ver­hal­ten nichts Un­ge­wöhn­li­ches ge­fun­den zu ha­ben. Ich bat ihn um ei­nen Li­kör zum Es­sen, er selbst öff­ne­te sich ei­ne Fla­sche Rot­wein. „Nein“, ant­wor­te­te er bloß, „das ist nichts zum Es­sen. Du kannst Was­ser ha­ben oder Wein, al­les an­de­re gibt es erst spä­ter.“ Jetzt war es an mir, ihn prü­fend an­zu­se­hen. Un­gläu­big dar­über, dass er das ge­ra­de tat­säch­lich ge­sagt hat­te, ent­schied ich mich für ein Was­ser. Un­zu­frie­den war ich allemal.

Plötz­lich trat er ne­ben mich, stell­te sein Wein­glas ne­ben mir auf dem Tisch ab und hielt mir ein Glas Was­ser hin. „Das hier ist mein Platz, du sitzt da drü­ben“, wies er mich an und zeig­te auf den Stuhl ge­gen­über. Miss­mu­tig stand ich auf, ging hin­über, setz­te mich und be­gann schwei­gend zu es­sen. Um ein Haar hät­te ich statt­des­sen di­rekt den Weg zu­rück zur Tür gewählt.

So hat­te ich mir das ganz und gar nicht vor­ge­stellt. In mei­nem In­ne­ren tob­te ich, be­wahr­te je­doch nach au­ßen mei­ne Ru­he. Seit Jah­ren hat­te es nie­mand ge­wagt, so mit mir zu spre­chen – er be­vor­mun­de­te mich wie ein Kind und das pass­te mir ab­so­lut nicht. Kein Mensch auf die­ser Welt hat­te das Recht, mir zu sa­gen, was ich tun und las­sen sollte.

Es muss­te ei­ne gan­ze Wei­le ver­gan­gen sein, als er mich schließ­lich frag­te, ob al­les in Ord­nung mit mir sei. Ent­schlos­sen schluck­te ich mei­nen Är­ger hin­un­ter, rang mit mir selbst und ant­wor­te­te ihm, dass es nicht so wich­tig sei.

Woll­te ich bei ihm blei­ben oder doch lie­ber Reiß­aus nehmen?

Ich hat­te die Zeit un­se­res Schwei­gens ge­nutzt, um für mich ei­ni­ge Din­ge zu klä­ren. Wie weit war ich be­reit zu ge­hen? War ich ent­schlos­sen ge­nug, um mei­ne ei­ge­ne Kom­fort­zo­ne zu ver­las­sen? Wenn ich die­ses Pro­jekt ein­ge­hen wür­de, dann ent­we­der ganz oder gar nicht: wenn, dann muss­te ich auch völ­lig in die spa­ni­sche Kul­tur ein­tau­chen – spä­tes Abend­essen, eke­li­ge So­brassa­da, Kaf­fee mit­ten in der Nacht und merk­wür­di­ges Frau­en­bild inklusive.

Di­rekt zum deut­schen Traum

Und ja, ich war es. Mein Ver­lan­gen da­nach, die­se Spra­che zu ler­nen, hat­te mich über­haupt erst zu die­sem Pro­jekt ge­bracht und auch die­se Wid­rig­kei­ten wür­den mich nicht zu­rück­hal­ten können.

Spä­ter am Abend, als ich ge­ra­de auf dem Weg ins Ba­de­zim­mer war, um mich bett­fer­tig zu ma­chen, be­merk­te ich, dass ich ver­ges­sen hat­te, mir ei­ne Zahn­bürs­te mit­zu­neh­men. Für mich war ja oh­ne­hin nicht wirk­lich klar ge­we­sen, ob ich nun bei ihm blei­ben wür­de oder nicht.

Aus ei­nem der Schrän­ke hol­te Pe­dro ei­ne neue, noch ver­pack­te Zahn­bürs­te für mich her­aus. Sie war leuch­tend grün, nicht ganz mei­ne Far­be, aber sie war nun für mich. Mit ge­putz­ten Zäh­nen ku­schel­te ich mich schließ­lich ins Bett, Pe­dro nah bei mir.

Ein we­nig un­be­hag­lich fühl­te ich mich da­mit schon, so kam es, dass ich die gan­ze Nacht über eher un­ru­hig schlief und am nächs­ten Mor­gen doch recht über­mü­det bei ihm auf­brach. Die grü­ne Zahn­bürs­te hat­te ich fein säu­ber­lich und kaum über­seh­bar auf sei­nem Wasch­be­cken lie­gen las­sen – noch ge­hör­te sie im­mer­hin ihm und nicht mir.

Sechs Mo­na­te Be­zie­hung la­gen noch vor uns, war er sich des­sen bewusst?

Mei­ne nächs­te Nacht mit Pe­dro ließ nicht lan­ge auf sich war­ten. Ei­ni­ge Ta­ge spä­ter schon fuhr ich von Zu­hau­se los in Rich­tung mei­nes liebs­ten Su­shi-La­dens. Wohl­wis­send, dass auch Pe­dro sehr gern Su­shi aß, hat­te ich ihm den Vor­schlag ge­macht, zu un­se­rem Tref­fen mit sei­nem Lieb­lings­es­sen zu kom­men – in der Hoff­nung, ihm da­durch ei­ne Freu­de zu ma­chen und stär­ke­re Bin­dun­gen zu mir zu ent­wi­ckeln. Ich woll­te die Be­zie­hung zu ihm fes­ti­gen, merk­te ich doch be­reits, dass ihm in un­se­rer Be­zie­hung et­was zu feh­len schien.

Di­rekt zum deut­schen Traum

Auch frag­te ich mich in­stink­tiv, ob auch ihm das schon be­wusst war. Ich hoff­te in­stän­dig, dass sich die­ses Ge­fühl bald ver­flüch­ti­gen wür­de. Schließ­lich lag noch fast ein hal­bes Jahr die­ser Be­zie­hung vor uns. Doch schon im Vor­feld gab es wie­der Dis­kus­sio­nen: er woll­te nur be­stimm­tes Su­shi aus sei­nem Lieb­lings­la­den, ich aber woll­te es dort kau­fen, wo es mir am bes­ten ge­fiel. Wie­der ein­mal wa­ren wir kurz da­vor an­ein­an­der zu ge­ra­ten und schon be­vor ich über­haupt wirk­lich bei ihm war, ver­schlech­ter­te sich mei­ne Stim­mung. Su­shi kauf­te ich trotz­dem dort, wo ich woll­te – ent­we­der wür­de er es es­sen oder eben nicht.

Ge­reizt und mit grim­mi­gem Blick öff­ne­te mir Pe­dro die Tür. Hin­ter ihm sah ich auf sei­nem sonst so or­dent­li­chen Ess­tisch ei­nen Hau­fen Pa­pie­re lie­gen, die ein heil­lo­ses Durch­ein­an­der in sei­ner Woh­nung ver­ur­sach­ten. Er selbst sah auf ei­ne nicht ganz greif­ba­re Art zer­wühlt aus, die Haa­re stan­den ihm zu Ber­ge, sein T‑Shirt war zer­knit­tert und sein Ge­sicht wirk­te ir­gend­wie faltig.

„Ist al­les okay mit dir?“, frag­te ich ihn tat­säch­lich ein we­nig be­sorgt. Di­rekt be­gann Pe­dro zu flu­chen und sich auf­zu­re­gen; er war mit­ten in sei­ner Steu­er­erklä­rung ge­we­sen, als ich ge­ra­de an­kam, den Kopf hat­te er noch vol­ler Zah­len und sei­ne Lau­ne war wirk­lich mies. Ich schluck­te, frag­te mich, was der Abend wohl noch be­reit hielt. Ein eher düs­te­rer Ge­dan­ke. Ich wür­de in die­ser Nacht noch vie­le Sei­ten an ihm ken­nen­ler­nen, von de­nen ich ge­hofft hät­te, sie wür­den mir eher ver­bor­gen bleiben.

Ich woll­te nicht un­ge­fragt in sei­ner Kü­che herumräumen

Recht ei­lig ver­kroch ich mich in die Kü­che, um das Su­shi vor­zu­be­rei­ten, mög­lichst dar­auf be­dacht, den im­mer noch mie­se­pe­tri­gen Spa­ni­er mit sei­nen Ge­dan­ken im Hier und Jetzt an­kom­men zu las­sen. Wahr­schein­lich wür­de er ein­fach erst mal ei­nen Mo­ment für sich brauchen.

Doch auch wäh­rend wir aßen, be­hielt Pe­dro sei­ne schlech­te Lau­ne bei, als klam­mer­te er sich dar­an fest; er er­zähl­te da­von, wie furcht­bar sei­ne Ar­beit ge­we­sen war und brach­te all sei­ne Pro­ble­me mit nach Hau­se. Ein we­nig ent­täuscht war ich dar­über schon. Ich war da­von aus­ge­gan­gen, dass mein Kom­men ihn aus sei­nem Loch ho­len und ei­ne nur all­zu will­kom­me­ne Ab­wechs­lung vom tris­ten All­tag für ihn sein soll­te. Er da­ge­gen ver­senk­te sich im­mer tie­fer in sein schlech­tes Ge­müt und es kos­te­te mich gro­ße Mü­he, bis er das ers­te Mal an die­sem Abend lächelte.

Als Pe­dro nach dem Es­sen be­gann auf­zu­räu­men, das Ge­schirr zu spü­len und sei­ne Steu­er­erklä­rung fer­tig zu ma­chen, frag­te ich ihn, ob ich noch ir­gend­et­was tun könn­te. Noch trau­te ich mich nicht, un­ge­fragt in sei­nem Haus­halt her­um­zu­räu­men, da­für war al­les zwi­schen uns noch zu frisch. Er wies mich an, das Bett zu machen.

Di­rekt zum deut­schen Traum

Ver­dutzt sah ich ihn an. „Was? War­um?“, frag­te ich. Es wür­de oh­ne­hin nur noch we­ni­ge Stun­den dau­ern, bis wir schla­fen gin­gen – und ein un­ge­mach­tes Bett am Abend be­deu­te­te auch nicht den Welt­un­ter­gang. „Na, weil es nicht schön aus­sieht“, gab er zu­rück, in­dem er an­fing das Bett zu ma­chen. Der Mann ist ein Pe­dant vor dem Herrn, wur­de mir in ge­nau die­sem Mo­ment klar und ich frag­te mich, wie mir das bis­her ent­gan­gen sein konn­te: stän­dig war er schlecht ge­launt, do­mi­nant im All­tag oder hielt nur aus Prin­zip an den nutz­lo­ses­ten Klei­nig­kei­ten fest. Und kaum et­was streng­te mich so sehr an wie sinn­lo­se Pedanterie.

Er woll­te im­mer nur Sex im Dun­keln, das war schon sehr merkwürdig

„Du hast dich trotz­dem für die­sen Mann ent­schie­den“, rief ich mir ins Ge­dächt­nis. Ich hat­te von vorn­her­ein ge­wusst, dass ich von Pro­ble­men nicht ver­schont blei­ben wür­de. Ich riss mich al­so zu­sam­men, folg­te ihm ins Wohn­zim­mer und mach­te es mir – auch wenn es mich ei­ni­ges an Über­win­dung kos­te­te – ne­ben ihm auf dem So­fa ge­müt­lich. Ge­mein­sam sa­hen wir ei­nen Film, die Stim­mung wur­de zu­se­hends ent­spann­ter und Pe­dros Lau­ne bes­ser­te sich so sehr, dass ich dar­über hin­aus auch mei­ne Ver­stim­mung vergaß.

„Hab ich noch ei­ne Zahn­bürs­te?“, rief ich ihm spä­ter aus dem Ba­de­zim­mer zu. Lä­chelnd er­schien Pe­dro in der Tür und zeig­te auf den Zahn­putz­be­cher, in dem mei­ne knall­grü­ne Zahn­bürs­te ne­ben sei­ner steck­te. „Aber na­tür­lich“, er­wi­der­te er.

Bei dem Ge­dan­ken, ei­ne ei­ge­ne Zahn­bürs­te bei ihm zu ha­ben, ging mir das Herz auf und ich fühl­te mich di­rekt ein biss­chen mehr zu­hau­se. Er war so süß in die­sem Mo­ment, dass ich bei­na­he ge­willt war, ihm sein Ver­hal­ten des gan­zen Abends zu ver­zei­hen. Bei­na­he – war­um nur konn­te er nicht öf­ter so sein; die Din­ge zwi­schen uns wä­ren dann so viel einfacher.

Im Bett an­ge­kom­men, mach­te ich ihm deut­li­cher als zu­vor, was ich von ihm woll­te und vie­les da­von er­schrak ihn und wi­der­te ihn an. Als er ein Kon­dom hol­te und wie­der das Licht aus­schal­ten woll­te, hielt ich ihn da­von ab. Dass er nur Sex im Dun­keln ha­ben konn­te, fand ich beim letz­ten Mal schon un­mög­lich; er fühl­te sich of­fen­sicht­lich un­wohl, wenn wir uns, wäh­rend wir mit­ein­an­der schlie­fen, in die Au­gen sa­hen, doch dar­auf konn­te ich jetzt kei­ne Rück­sicht neh­men, wenn wir uns je­mals an­ein­an­der ge­wöh­nen woll­ten. So war ich nun einmal.

Di­rekt zum deut­schen Traum

Der Sex die­ser Nacht war bes­ser, aber im­mer noch nicht gut. Wir be­weg­ten uns nur lang­sam auf­ein­an­der zu, die Rei­se war müh­se­lig und kei­ner von uns bei­den fand wirk­lich Ge­fal­len an ihr. Es war, als wür­de ein je­der von uns von sei­nem ei­ge­nen Pol aus ver­su­chen, im Eis­meer mit ei­nem Floß in See zu ste­chen: es war eis­kalt und un­be­hag­lich, es war be­schwer­lich, doch vor al­lem: es er­schien na­he­zu un­mög­lich, denn das Meer war gefroren.

Nach dem schlech­ten Sex hat­te ich kei­ne Lust mehr

„Nein, du kannst noch nicht ge­hen“, mur­mel­te er am nächs­ten Mor­gen, als ich auf­bre­chen woll­te. Pe­dro um­arm­te mich fest und zog mich an sich, wäh­rend ich tief ein­at­me­te. Noch ein­mal be­merk­te ich, was mir in der letz­ten Nacht schon auf­ge­fal­len war: ich konn­te die­sen Mann ein­fach nicht rie­chen, so sprich­wört­lich das in un­se­rem Fall auch an­mu­te­te. „Doch, ich muss“, ant­wor­te­te ich, gab ihm ei­nen Kuss auf die Stirn und ver­ließ ihn, ob­wohl er mit dem zer­knirsch­ten, ver­schla­fe­nen Blick sehr süß aus­sah und ich in die­sem Mo­ment gern noch bei ihm ge­blie­ben wä­re. Aber ich war über­an­strengt von dem gan­zen letz­ten Abend, dem schlech­ten Sex und sei­ner gan­zen selt­sa­men, pe­dan­ti­schen Art. Als ich durch die küh­le Mor­gen­luft zu mei­nem Au­to ging, at­me­te ich tief durch, fühl­te mich un­glaub­lich be­freit und be­gann, lei­se zu summen.

Es war Sonn­tag, die Son­ne schien, das Fleisch war ein­ge­legt und die Sa­la­te zu­be­rei­tet, lang­sam tru­del­ten die ers­ten Gäs­te ein: es war Zeit für ei­ne Grill­par­ty. Die Stim­mung war aus­ge­las­sen, es gab Al­ko­hol, für den ein oder an­de­ren von uns viel­leicht auch ein we­nig zu viel, und ich er­war­te­te heu­te ganz be­son­de­ren Be­such: Ju­an wür­de kommen.

Der Kon­flikt mit Pe­dro hat­te mich wie­der in Kon­takt mit ihm ge­bracht, wor­über ich trotz der dra­ma­ti­schen Si­tua­ti­on sehr froh ge­we­sen war. Ju­ans sym­pa­thi­sche, fröh­li­che Art und sein un­ge­wöhn­li­cher Hu­mor hat­ten mir auch da­mals schon sehr ge­fal­len. Da wir uns schon zu­lan­ge nicht ge­se­hen hat­ten, son­dern seit dem Eklat mit Pe­dro nur über Nach­rich­ten Kon­takt ge­hal­ten hat­ten, ent­schied ich, dass auch er bei mei­ner Par­ty nicht feh­len durf­te. Et­was an ihm zog mich un­be­streit­bar an.

Di­rekt zum deut­schen Traum

Um der Chan­cen­gleich­heit kei­nen Ab­bruch zu tun, lud ich selbst­ver­ständ­lich eben­falls Pe­dro ein; bei­de Män­ner wuss­ten von­ein­an­der, von mei­nem Blog und auch da­von, dass ich mich sel­ten auf nur ei­nen Mann be­schrän­ken würde.

Den Streit hat­te ich wirk­lich nicht mit Ab­sicht entfacht

Ge­spannt war­te­te ich auf ihr ers­tes Tref­fen, neu­gie­rig wie sie re­agie­ren wür­den. Sie ver­hiel­ten sich wie im­mer: Ju­an lach­te viel und Pe­dro stink­stie­fel­te vor sich hin und gab An­wei­sun­gen, was zu tun war. Auch für mich war es ein ganz neu­es Ge­fühl, die­se bei­den so un­ter­schied­li­chen Män­ner im di­rek­ten Ver­gleich mit­ein­an­der zu er­le­ben. Sie moch­ten sich nicht, das war of­fen­sicht­lich und trotz­dem wa­ren sie bei­de ge­zwun­gen Zeit mit­ein­an­der zu ver­brin­gen, wenn sie bei mir sein woll­ten. Ich ko­ket­tier­te mit bei­den, schenk­te mal dem ei­nen und mal dem an­de­ren mei­ne Gunst und Auf­merk­sam­keit und ver­teil­te nur sehr spar­sam zärt­li­che Gesten.

Was man von den bei­den An­de­ren nicht be­haup­ten konn­te: ih­re Kon­kur­renz zu­ein­an­der war so of­fen­kun­dig, im­mer ab­wech­selnd wäh­rend sie mit mir spra­chen, ver­such­ten sie mich zu be­rüh­ren: mei­ne Hand, mein Bein oder mei­nen Arm an­zu­fas­sen und mir da­bei in die Au­gen zu se­hen. Es war wie ein Spiel, es war schon bei­na­he zu über­trie­ben, um wirk­lich zu sein.

Am Abend ver­ab­schie­de­te ich sie bei­de, be­vor sie nach Hau­se fuh­ren, ließ sie je­doch in ih­rer Un­ge­wiss­heit. Na­tür­lich hat­te ich sie an­sta­cheln wol­len, den Kon­flikt nicht un­ab­sicht­lich an­ge­heizt. Noch woll­te ich kei­nen von ih­nen zu sehr in Si­cher­heit wie­gen. Und schließ­lich woll­te auch ich mei­nen Spaß am Ge­sche­hen ha­ben. Auch ich frag­te mich, wer mich letzt­end­lich wür­de über­zeu­gen können…

Auf­ge­kratzt pack­te ich ei­ni­ge mei­ner Sa­chen zu­sam­men, die ich mit zu Pe­dro neh­men wür­de, un­ter an­de­rem ein ei­ge­nes Schlaf­shirt von mir. Bis­lang hat­te ich im­mer in sei­nen Sa­chen ge­schla­fen, doch ich dach­te mir, es wä­re so lang­sam an der Zeit, et­was, was wirk­lich mir ge­hört, in sei­nem Haus­halt zu platzieren.

Soll­te ich das Pro­jekt jetzt trotz­dem weiterführen?

Ich war bes­ter Lau­ne, als ich im letz­ten Licht des Ta­ges den Weg von mei­nem Haus ent­lang­fuhr, ob­wohl ich wuss­te, dass uns heu­te ei­ni­ge schwer­wie­gen­de Ge­sprächs­the­men be­vor­stan­den. Am Tag zu­vor hat­te ich ihm ei­ne Nach­richt ge­schrie­ben und ver­sucht ihm mit­zu­tei­len, dass sein do­mi­nan­tes Ver­hal­ten mir ge­wal­tig ge­gen den Strich ging. Vol­ler Un­ver­ständ­nis hat­te er dar­auf nur mit „Er­klä­re dich“, ge­ant­wor­tet, was all­zu ty­pisch für ihn ge­we­sen war. Wir wür­den heu­te al­so hof­fent­lich ein klä­ren­des Ge­spräch über sei­ne Ver­hal­tens­wei­sen mir ge­gen­über ha­ben. Lei­der war ich we­nig op­ti­mis­tisch, dass die Aus­wir­kun­gen die­ser Un­ter­hal­tung tat­säch­lich et­was be­wir­ken wür­den. Al­ler­dings sah ich hier­in mei­ne ein­zi­ge Chan­ce, wür­de ich die­ses Pro­jekt auf­recht er­hal­ten wollen.

Di­rekt zum deut­schen Traum

Na­tür­lich war sei­ne ers­te Fra­ge, als ich an­kam, ob ich schon et­was ge­ges­sen hat­te. Ich be­jah­te. Er schau­te ein we­nig trau­rig dar­über drein und führ­te mich ins Wohn­zim­mer, wo sich auf dem Couch­tisch nebst Ker­zen und Wein ein paar Schnitt­chen wie­der­fan­den. Mich durch­ström­te ein war­mes Ge­fühl, so viel Mü­he hat­te er sich noch nie ge­ge­ben und of­fen­sicht­lich war auch er bes­ter Lau­ne heu­te, denn er strahl­te mich herz­lich an.

„Und er hat uns Abend­brot ge­macht!“, dach­te ich ge­rührt. Ge­mein­sam setz­ten wir uns, wäh­rend er aß und ich mich so­gar da­zu er­wei­chen ließ, we­nigs­tens ein­mal zu pro­bie­ren. Ech­tes mal­lor­qui­ni­sches Brot, wie mir auf­fiel. Sehr lecker.

Er war ein Pe­dant, er woll­te und konn­te al­les besser

Ne­ben­bei lief der Fern­se­her, Re­al Ma­drid spiel­te, Pe­dro fie­ber­te mit und ich ku­schel­te mich an ihn. Er freu­te sich über mei­ne An­schmieg­sam­keit, ich ge­noss das Ge­fühl von All­tag, das sich zwi­schen uns bei­den ein­stell­te – et­was was ten­den­zi­ell un­ge­wöhn­lich für mich war, da mir der stink­nor­ma­le All­tags­trott nor­ma­ler­wei­se stark miss­fiel – und auch er schien sich da­mit sehr wohl zu füh­len. Wir bei­de hat­ten ver­sucht, die Pha­se des Ken­nen­ler­nens mög­lichst schnell hin­ter uns zu las­sen, wes­we­gen wir ver­mut­lich auch recht schnell die Näch­te mit­ein­an­der verbrachten.

Plötz­lich – Re­al Ma­drid hat­te ge­ra­de ei­ne Tor­chan­ce – sprang Pe­dro flu­chend von der Sitz­flä­che auf und klet­ter­te auf den Ot­to­ma­nen. All­ge­mein war be­ein­dru­ckend, wie viel er das gan­ze Spiel über ge­flucht hat­te, Spa­ni­er schie­nen da grund­sätz­lich mit hin­rei­chen­der Be­ga­bung ge­seg­net zu sein. Et­was geis­tes­ab­we­send und voll­kom­men aufs Spiel fi­xiert er­klär­te er mir, sein plötz­li­cher Platz­wech­sel lä­ge al­lein dar­in be­grün­det, dass an ge­nau die­sem Punkt des Rau­mes die Ton­qua­li­tät sei­nes Dol­by Di­gi­tal Sur­round Sys­tems die Bes­te sei. Mir war klar, dass er für den Rest des Spiels in die­ser un­be­que­men Po­si­ti­on ho­cken blei­ben wür­de und ich ver­dreh­te die Au­gen, wohl­wis­send, dass es so­wie­so von ihm un­be­merkt blei­ben würde.

In der Halb­zeit­pau­se fing er an, mir Wein ein­zu­schen­ken und ob­wohl ich ihm sehr deut­lich sag­te, dass ich nach den Er­eig­nis­sen un­se­rer Grill­par­ty bis auf Wei­te­res kei­nen Al­ko­hol mehr trin­ken woll­te, be­stand er dar­auf, da die Fla­sche nun im­mer­hin schon ge­öff­net sei. Blö­der Pe­dant! Ich schüt­tel­te zwar den Kopf, er­gab mich aber in mein Schick­sal und wil­lig­te ein, die­ses ei­ne Glas zu trin­ken. Wir wür­den spä­ter schon noch dar­über sprechen.

Ich hat­te kei­ne Lust mehr, mich be­vor­mun­den zu lassen

Kurz dar­auf frag­te er mich, was ich denn mit mei­ner Nach­richt, er sei zu do­mi­nant, ge­meint hat­te. Ver­ständ­nis­los frag­te ich ihn: „Weißt du das wirk­lich nicht?“. Er sah mich ah­nungs­los an und zuck­te mit den Schul­tern. „Das hier mei­ne ich“, sag­te ich et­was lau­ter als be­ab­sich­tigt, zeig­te auf mein Wein­glas und re­de­te mich end­gül­tig in Ra­ge: „An­dau­ernd sagst du mir, was ich tun und las­sen soll und du be­vor­mun­dest mich am lau­fen­den Band. Das passt mir über­haupt gar nicht!“. Er be­gann sich zu er­klä­ren, ru­der­te zu­rück und ver­such­te mir klar­zu­ma­chen, dass das al­les nur wit­zig von ihm und kei­nes­wegs bö­se ge­meint war. So schnell ließ ich mich al­ler­dings nicht ab­spei­sen, er­klär­te ihm, dass sei­ne Wit­ze ab­so­lut nicht auf Ge­gen­lie­be stie­ßen und ich auf­grund der Sprach­bar­rie­re, die in sol­chen Fäl­len bis­lang noch zwi­schen uns stand, die­ses Ver­hal­ten sei­ner­seits auch nicht wirk­lich gut­hieß. Trotz sei­ner ab­weh­ren­den Re­ak­ti­on hoff­te ich, dass ich ihn nun in sei­ne Schran­ken ver­wie­sen hat­te und solch ein Be­neh­men nicht wei­ter entartete.

Di­rekt zum deut­schen Traum

Nach dem Fuß­ball­spiel gin­gen wir in die Kü­che, Pe­dro stell­te die Kaf­fee­ma­schi­ne an und ich setz­te mich auf die An­rich­te. Wir fin­gen an, über Sex zu re­den. So, wie das bis­lang mit uns lief, wür­de es für mich zwi­schen uns nicht wei­ter­ge­hen kön­nen, das mach­te ich ihm klar; ich stand nun mal auf die per­ver­sen Din­ge und trotz der Ta­bus, die er mir of­fen­bar­te, fan­den sich auch ei­ni­ge Sa­chen, die aus­zu­pro­bie­ren er sich be­reit­erklär­te und de­nen er auch nicht ganz oh­ne Neu­gier entgegenblickte.

Wir hol­ten al­so un­se­re Spitz­ha­cken her­vor, fin­gen an auf das uns um­ge­ben­de Eis ein­zu­schla­gen in der Hoff­nung, uns ei­nen Weg durch die Ki­lo­me­ter von Eis bah­nen zu kön­nen, die uns um­ga­ben. Wenn man sich je­mals vor­stellt, tat­säch­lich mit ei­nem Floß mit­ten im ark­ti­schen Eis­meer zu sein, sich durch das Eis schla­gen zu müs­sen und durch­ge­fro­ren in der Käl­te zu sit­zen, dann be­kommt man viel­leicht ei­ne Vor­stel­lung da­von, was für ei­ne lan­ge und mü­ßi­ge Ex­pe­di­ti­on man vor sich hat. Und wie nah man da­bei im­mer wie­der dem Auf­ge­ben kommt.

Exis­tier­te für ihn über­haupt noch ei­ne an­de­re Welt?

Zu­ge­ge­ben, das The­ma war kom­plex und mein Spa­nisch lan­ge noch nicht gut ge­nug für all die­se De­tails. Trotz­dem er­in­ner­te ich ihn dar­an, als er im­mer öf­ter und auch bei ein­fa­che­ren Sach­ver­hal­ten ins Eng­li­sche wech­sel­te, dar­an, dass wir ei­nen Deal mit­ein­an­der hat­ten: ich ver­brach­te Zeit mit ihm und er sprach da­für mit mir spa­nisch. Mei­ne For­de­rung war deut­lich: er soll­te sich an un­se­re Ab­ma­chung hal­ten, schließ­lich be­kam er auch et­was von mir. Doch auch er stell­te sei­ne Be­din­gun­gen an un­se­re Be­zie­hung noch ein­mal ganz klar: es ging ihm nicht in ers­ter Li­nie um Sex, das war auch mir mitt­ler­wei­le klar ge­wor­den. Für ihn war ich wie ein Fens­ter in ei­ne ganz neue, ei­ne aben­teu­er­li­che Welt, die er ken­nen­ler­nen wollte.

Auf mei­nen fra­gen­den Blick hin er­klär­te er mir, er sei wie ein Pferd, das sein gan­zes Le­ben in ei­nem Stall ver­bracht hat­te. Der Stall war schön, es gab im­mer ge­nug Fut­ter, es gab kei­ne Ge­fah­ren und er fühl­te sich dort sehr wohl. Der Stall war gleich­sam sei­ne Kom­fort­zo­ne. Er wuss­te nicht ein­mal, dass au­ßer­halb die­ses Stal­les noch ei­ne Welt drau­ßen existierte.

Ei­nes Ta­ges je­doch öff­ne­te je­mand das Fens­ter und er konn­te die Wie­se se­hen, die Blu­men, den blau­en Him­mel und die Son­ne und al­les da drau­ßen er­schien ihm so ver­lo­ckend und so an­zie­hend, dass er fort­wäh­rend nur noch in sei­nem Stall stand, an die Wie­se drau­ßen dach­te und wie es dort wohl sein möge.

Di­rekt zum deut­schen Traum

Er sehn­te sich nach dem Aben­teu­er, die Welt au­ßer­halb sei­nes Stalls zu er­kun­den und plötz­lich kam ich, nahm ihn an die Hand, mit dem Ver­spre­chen sie ihm zu zei­gen. Doch trotz der Neu­gier, die er ver­spür­te, lieb­te er sei­nen Stall, er war sein Zu­hau­se und er wür­de je­den Abend dort­hin zu­rück­keh­ren und sich nie­mals so weit von ihm ent­fer­nen, dass er au­ßer Sicht­wei­te kam. Er war nicht ei­nes von den Pfer­den, die so­bald sie den Stall ver­lie­ßen, los­rann­ten und nie wie­der zu­rück­blick­ten. Und er spür­te in sei­nem In­ne­ren, dass ich ge­nau solch ein Pferd war.

Kom­pli­men­te be­kam ich von ihm kei­ne, da­für Sex

Als ich mein Schlaf­shirt aus mei­ner Ta­sche hol­te, sah Pe­dro mich an und schlug die Bett­de­cke zu­rück. Dar­un­ter lag, or­dent­lich ge­fal­tet ne­ben sei­nem auch das Shirt von ihm, in dem ich die letz­ten Ma­le ge­schla­fen ha­be. „Ich hab dein T‑Shirt für dich auf­ge­ho­ben“, sag­te er et­was schüch­tern und es war ei­ner die­ser Mo­men­te, in de­nen ich ihn so un­glaub­lich gern hat­te für das, was er tat.

Ich war hin- und her­ge­ris­sen und wuss­te nicht, was ich von die­sem Mann im Gan­zen hal­ten soll­te. Da wa­ren Au­gen­bli­cke wie die­ser, in de­nen er so süß und lie­bens­wert war, aber dann gab es auch noch den Rest sei­ner Per­son, den all­täg­li­chen Pe­dro, der mich mehr und mehr ab­stieß. Und er war kei­nes­wegs ver­liebt in mich, des­sen war ich mir sicher.

Sei­ne Ge­füh­le für mich wa­ren höchs­tens so aus­ge­prägt wie mei­ne Ge­füh­le für ihn; er mach­te mir kei­ne Kom­pli­men­te, schrieb mir nicht von al­lein und dach­te of­fen­bar auch sonst sel­ten an mich – eben­so wie ich es auch mit ihm ge­tan hät­te, wä­re da nicht die­ses Pro­jekt ge­we­sen. Ich schlief mit mei­nem ei­ge­nen Shirt, aber ich brach­te es am nächs­ten Mor­gen nicht über mich, es bei ihm zu lassen.

Auch Ju­an ließ nach un­se­rer Grill­par­ty nicht lan­ge dar­auf war­ten, mich wie­der­se­hen zu wol­len. Zu­hau­se rühr­te ich Sa­lat­dres­sing an, Ju­an hat­te die rest­li­chen Zu­ta­ten schon be­sorgt und bei ihm war­te­ten ein Sa­lat­kopf, ei­ne Do­se Mais, Thun­fisch und Mu­scheln dar­auf, dass ich mei­nen Sa­lat von der Par­ty noch ein­mal zu­be­rei­ten würde.

Ich hat­te bei Ju­an ein Déjà-vu

„Siehst du, an­de­re Leu­te kom­men mit ei­ner Fla­sche Al­ko­hol, ich komm mit ei­ner Fla­sche Es­sig und Öl“, be­grüß­te ich ihn als ich vor sei­ner Tür stand, wäh­rend er mich la­chend um­arm­te und auf bei­de Wan­gen küss­te. Di­rekt hin­ter ihm stürm­te sein Hund durch die Tür, ein knautsch­ge­sich­ti­ger Mops na­mens Jack, der schwanz­we­delnd an mir hoch­sprang und im­mer wie­der ver­such­te, mei­ne Auf­merk­sam­keit zu er­re­gen. „Zwei Mi­nu­ten“, lä­chel­te Ju­an ent­schul­di­gend, wäh­rend er kopf­schüt­telnd zu sei­nem Tier hinunterblickte.

Di­rekt zum deut­schen Traum

Beim Be­tre­ten sei­ner Woh­nung fiel mir di­rekt auf, wie arg es nach Hund stank, wo­mit ich ihn au­gen­blick­lich auf­zog. Al­ler­dings zum Leid­we­sen von Jack, der auf­grund des­sen den rest­li­chen Abend auf der Ter­ras­se ver­brin­gen muss­te – ge­nau ge­nom­men ver­brach­te er ihn mit vor­wurfs­vol­len Bli­cken vor der Ter­ras­sen­tür sit­zend bzw. blick­te mit trau­ri­gen Au­gen aus sei­nem Knautsch­ge­sicht zu uns her­ein. Ju­an führ­te mich in die Kü­che, wo ich al­les vor­fand, was ich für mei­nen Sa­lat be­nö­tig­te und mach­te mich so­fort ans Werk.

Wäh­rend­des­sen deck­te Ju­an den Tisch und stell­te mir die Fra­ge, was ich denn zum Es­sen gern trin­ken wür­de. „Ei­nen Kaf­fee“, lau­te­te mei­ne Ant­wort. Skep­tisch sah er mich an. „Das ist doch kein Ge­tränk zum Es­sen“, sag­te er. „Nicht schon wie­der“, dach­te ich bei mir, zuck­te mit den Schul­tern und er­wi­der­te: „Na und?“. Kopf­schüt­telnd be­gann er zu grin­sen, zwin­ker­te mir zu und mach­te sich dar­an, die Kaf­fee­ma­schi­ne anzustellen.

In mei­nem In­ne­ren voll­führ­te ich ei­nen Freu­den­tanz. „Na al­so, es geht doch“, dach­te ich bei mir im Ge­dan­ken an ei­nen an­de­ren Mann, der auf die­se Aus­sa­gen si­cher­lich an­der­wei­tig re­agiert hätte.

Mit Ju­an zu re­den war ein rei­nes Vergnügen

Die gan­ze Zeit über lach­te Ju­an, ver­schluck­te sich bei­na­he am Es­sen und strahl­te wie ge­wohnt so ei­ne gu­te Lau­ne aus, die mir wie­der ein­mal ins Ge­dächt­nis rief, wie toll ich ihn ei­gent­lich fand. Wäh­rend des Es­sens kam nicht ein ein­zi­ges Mal ein un­an­ge­neh­mes Schwei­gen oder ei­ne an­ge­streng­te Un­ter­hal­tung zu­stan­de so wie ich das von Pe­dro kann­te. Ich lieb­te die Ge­sprä­che mit ihm: sie wa­ren in­ter­es­sant, vol­ler Witz und Charme und es war so einfach.

Ich hät­te stun­den­lang mit ihm re­den kön­nen – wenn ich mehr ver­stan­den hät­te. Die Wahr­heit war, dass so gern ich mit ihm re­de­te, ich an die­sem Tag nicht die nö­ti­ge Kon­zen­tra­ti­on da­zu auf­brach­te. Ich war am Mor­gen tau­chen ge­we­sen und mein Ge­hirn im­mer noch von Stick­stoff blo­ckiert. Doch er nahm es mit Hu­mor und lach­te nur um­so mehr darüber.

Ob­wohl es mir sehr ge­gen den Strich ging, zück­te ich schließ­lich mein Han­dy und be­nutz­te mei­nen Über­set­zer – oder woll­te ihn viel­mehr be­nut­zen – was an der schlech­ten mo­bi­len In­ter­net­an­bin­dung in sei­nem Dorf schließ­lich schei­ter­te. Not­ge­drun­gen frag­te ich ihn al­so nach dem WLAN-Pass­wort, wel­ches er für je­den gut er­sicht­lich am Kühl­schrank plat­ziert hat­te. Er be­grün­de­te dies da­mit, dass je­der sei­ner Be­su­cher frü­her oder spä­ter da­nach fragte.

Ich ver­such­te al­so nach dem Es­sen mich in sein WLAN ein­zu­wäh­len, fand al­ler­dings das Netz nicht und so kam er, um mir be­hilf­lich zu sein. Er trat hin­ter mich, dicht an mich her­an und leg­te mir die Hän­de auf die Hüf­ten. Kühl­schrank? WLAN? Mein In­ter­es­se war in­ner­halb von Se­kun­den ver­schwun­den und ich konn­te mich nur noch auf sei­ne Hän­de an mei­nen Hüf­ten kon­zen­trie­ren. Tief at­me­te ich durch und ver­such­te, ei­nen küh­len Kopf zu be­wah­ren. Es fühl­te sich so gut und so rich­tig an, wie er mich an­fass­te und ich woll­te am liebs­ten, dass er mich gar nicht wie­der los­ließ. Je­doch ver­such­te ich, ihn das nicht di­rekt so stark spü­ren zu lassen.

Am liebs­ten hät­te ich mich in die­sem Mo­ment versteckt

Ent­spannt set­zen wir uns ei­ni­ge Mi­nu­ten spä­ter ge­mein­sam auf die Couch, ich ku­schel­te mich an ihn und es dau­er­te nicht lan­ge, bis er an­fing, mich zu küs­sen – und plötz­lich wur­de ich su­per schüch­tern, hät­te mich am liebs­ten un­ter ei­ner De­cke ver­kro­chen. Ich wur­de so­gar recht schweig­sam, ob­wohl ich nor­ma­ler­wei­se ein au­ßer­ge­wöhn­lich re­de­ge­wand­ter Mensch war. Doch plötz­lich war mein Mund tro­cken und ich be­kam kaum mehr ein Wort her­vor. Ei­nen kur­zen Mo­ment lang ver­spür­te ich so­gar das Ver­lan­gen, mich im Klei­der­schrank zu ver­ste­cken, so kin­disch das auch klang. Vor al­lem weil mir schon den gan­zen Tag über klar ge­we­sen war, was an die­sem Abend pas­sie­ren würde.

Was schließ­lich auch pas­sier­te – und der Sex war atem­be­rau­bend schön. Es war schön, wie er mich küss­te, es war schön wie er mich an­fass­te und es war schön, ihm da­bei in sei­ne grü­nen Au­gen zu se­hen. Ich muss­te ein­fach wis­sen, ob ich ihn rie­chen konn­te, schmieg­te mein Ge­sicht in sei­ne Hals­beu­ge und at­me­te tief ein. Er roch wahn­sin­nig gut! Wäh­rend ich Pe­dro ab­so­lut nicht rie­chen konn­te, ge­fiel mir Ju­ans Ge­ruch selbst nach dem Sex noch, als er ver­schwitzt und er­schöpft ne­ben mir lag.

Als ich frisch ge­duscht und an­ge­zo­gen wie­der auf dem So­fa Platz nahm, merk­te ich schon, dass es wie­der pas­sie­ren wür­de. Und das Mal da­nach eben­so, be­vor ich mich end­lich los­riss, um nach Hau­se zu fah­ren, im­mer­hin war es mitt­ler­wei­le spät ge­wor­den. Aber es war ge­wiss, dass ich das nächs­te Mal die Nacht bei ihm ver­brin­gen würde.

Sex mit dem ei­nen war to­tal an­ders als mit dem anderen

Wäh­rend der Sex mit Pe­dro ge­we­sen war, als be­fän­den wir uns an zwei ver­schie­de­nen Po­len, war es mit Ju­an als trä­fen wir uns zu­fäl­lig an der­sel­ben Stel­le der Sa­ha­ra. So als wä­ren wir die ein­zi­gen Men­schen am glei­chen Ort in ei­ner end­lo­sen Wüs­te. Es war wie ei­ne hei­ße Som­mer­nacht, ein Him­mel vol­ler Ster­ne, wie ein Sand­sturm und ein lang er­war­te­ter Re­gen. Als wür­den wir zu zweit der nächs­ten Fa­ta Mor­ga­na nach­ja­gen – im­mer wei­ter und wei­ter; Hand in Hand und mit dem­sel­ben Ziel.

„Ich möch­te wirk­lich nicht ge­hen“, flüs­ter­te ich ihm zu, als wir uns ver­ab­schie­de­ten. „Hey, hey, hey“, mur­mel­te er, „man kann doch nicht gleich al­les ha­ben am ers­ten Tag“. Er lä­chel­te mir zu. Wir hat­ten ei­nen ers­ten Tag.

Mit dem Mo­tor­rad hol­te ich Ju­an von der Ar­beit ab. Auf dem Weg dort­hin wur­de ich plötz­lich to­tal auf­ge­regt, ich war ner­vös, wie un­se­re ers­te ge­mein­sa­me Nacht mit­ein­an­der wer­den würde.

Ich stieg in sein Au­to, mein Mo­tor­rad ließ ich bis zum nächs­ten Tag ste­hen. „Lan­ge nicht ge­se­hen“, neck­te er mich. Un­ser letz­tes Tref­fen war ges­tern ge­we­sen, nach­dem wir uns zu­vor fünf Ta­ge nicht ge­se­hen hat­ten – es war mir schier end­los vor­ge­kom­men und ich hat­te ihm mehr­fach ver­si­chert, dass wir es ab so­fort ver­hin­dern wür­den, uns für ei­ne so lan­ge Zeit nicht zu se­hen. Und ich hat­te mein Wort gehalten.

Vie­le Frau­en hat­te Ju­an nicht vor mir – das merk­te ich

Ge­mein­sam mach­ten wir uns auf den Weg nach Pal­ma, wo wir spä­ter zu­sam­men Su­shi es­sen ge­hen wür­den. Vor­her je­doch un­ter­nah­men wir ei­nen aus­gie­bi­gen Spa­zier­gang am Strand – in­klu­si­ve ei­ni­ger in­ter­es­san­ter und pi­kan­ter Ge­sprächs­the­men. Wir spra­chen über Sex, dar­über, dass er mit nur we­ni­gen Frau­en er ge­schla­fen und wie vie­le Freun­din­nen er ge­habt hat­te, er frag­te mich nach mei­nen Vor­lie­ben und ich ge­stand ihm auf­rich­tig, dass sie ihn zu die­sem Zeit­punkt bloß ver­schre­cken würden.

Trotz­dem tas­te­te ich mich lang­sam vor und of­fen­bar­te ihm vor­sich­tig ei­ni­ge ers­te Din­ge, die ver­hält­nis­mä­ßig un­ver­fäng­lich wa­ren. Das Ge­spräch er­streck­te sich über die wei­te­ren, nach­fol­gen­den Stun­den: wäh­rend des Es­sens er­zähl­te ich ihm von Pe­dro, da­von dass er sich schon wie­der auf­reg­te, weil er von mir und Ju­an er­fah­ren hat­te, da­von, dass Pe­dro all­ge­mein ein Pro­blem mit mei­ner Le­bens­wei­se hat­te, mich als un­ehr­lich emp­fand und da­von, dass ich mir zum jet­zi­gen Zeit­punkt nicht si­cher war, ob wir uns über­haupt noch ein­mal wie­der­se­hen würden.

Aber um ehr­lich zu sein, stör­te ich mich dar­an auch kaum – ja ei­gent­lich war ich so­gar bei­na­he froh ihn los zu sein; wenn da­mit nicht au­to­ma­tisch Ju­an an sei­ne Stel­le nach­rü­cken wür­de und da­mit eben­so klar war, dass er der­je­ni­ge sein wür­de, mit dem ich die Be­zie­hung im Ok­to­ber wür­de be­en­den müs­sen. Denn so war nun ein­mal mein Pro­jekt. Erst viel spä­ter wür­de ich die wah­ren Grün­de für die­ses Ver­hal­ten Pe­dros er­fah­ren – so un­ver­ständ­lich es mir zu die­sem Zeit­punkt auch noch er­schei­nen mochte.

Ein­fach "tschüs" und al­les ist Vergangenheit?

„Du weißt, dass du ab nun mein Freund bist und wir bis En­de Ok­to­ber ei­ne Be­zie­hung mit­ein­an­der ha­ben wer­den oder?“ Ich lä­chel­te ihm zu. Wie es nun ein­mal so mei­ne Art war, stell­te ich ihn vor voll­ende­te Tat­sa­chen. Und schein­bar ging er dar­auf ein.

„Und dann, wenn die Zeit ge­kom­men ist, sagst du zu mir: ‚Dan­ke Ju­an, dass du mir Spa­nisch bei­gebracht hast, es war nett mit dir. Tschüss.’ Und al­les ist vorbei?“

Er sah mich bei­na­he ent­geis­tert an, er hat­te ge­nau ver­stan­den, wor­auf er sich ge­ra­de ein­ge­las­sen hatte.

Zu­hau­se an­ge­kom­men hat­ten wir Sex – wie­der ein­mal war es gran­di­os, doch trotz­dem ver­such­te ich lang­sam und spie­le­risch ihn in die Rich­tung zu len­ken, von der ich wuss­te, dass sie mir auch nach der Pha­se gro­ßer Ver­liebt­heit noch ge­fal­len würde.

Ich schlief schlecht in die­ser Nacht, Ju­an nah bei mir, der mich die gan­ze Zeit eng um­schlang. Al­ler­dings war ich das nicht ge­wohnt und ob­wohl es sich wun­der­schön und be­hag­lich an­fühl­te, wur­de ich im­mer wie­der wach und er­wach­te aus un­ru­hi­gen Träu­men. Stän­dig muss­te ich mich zu­rück­er­in­nern, wie be­geis­tert er ge­we­sen war, als ich ihm sag­te, ich sei ver­liebt in ihn; dar­an, wie er mir wäh­rend des Es­sens voll­kom­men das Ge­fühl gab, ver­stan­den zu ha­ben und auch zu ak­zep­tie­ren wie ich war; dar­an, wie er sich über je­des mei­ner Kom­pli­men­te freu­te. Ich fühl­te mich ein­fach wahn­sin­nig glück­lich mit ihm.

Im Nach­hin­ein war die Zeit mit Pe­dro ver­schwen­de­te Zeit

Mor­gens ver­ab­schie­de­te er mich mit den Wor­ten: „Nun kannst du die Stun­den zäh­len bis zu un­se­rem nächs­ten Wie­der­se­hen“. „Noch weiß ich ja nicht, wann wir uns wie­der­se­hen wer­den“, quit­tier­te ich ko­kett und frag­te mich ins­ge­heim, wann er sich wohl bei mir mel­den würde.

Der April war viel zu schnell ver­gan­gen und ei­nen viel zu gro­ßen Teil mei­ner Zeit hat­te ich da­bei an Pe­dro ver­schenkt. Ich war un­aus­sprech­lich froh dar­über, dass dies nun ein En­de hat­te; Zeit ver­geu­den wür­de ich ab jetzt nicht mehr. Im­mer wie­der und wie­der be­gan­nen mei­ne Ge­dan­ken nun um Ju­an zu krei­sen, ich ver­miss­te ihn, wenn er nicht bei mir war und wenn er da war, konn­te ich kaum ei­nen kla­ren Ge­dan­ken mehr fas­sen. Wir er­leb­ten in­ten­si­ve ge­mein­sa­me Stun­den, von de­nen wir bei­de kaum ge­nug be­kom­men konn­ten. Und es war per­fekt so wie es war. Es war der ab­so­lut per­fek­te Start in ei­ne Be­zie­hung, von der ich wuss­te, dass ihr En­de nicht an­nä­hernd so per­fekt sein wür­de und be­stän­dig nä­her rück­te. Je nä­her ich ihm kam und je mehr ich mich in ihn ver­lieb­te, des­to mehr wur­de ich mir des­sen be­wusst, dass die Uhr tick­te. Ich hoff­te sehr, dass ich die Zeit gut nut­zen wür­de – nein, ei­gent­lich glaub­te ich ganz fest dar­an. Was blie­be mir sonst für ei­ne an­de­re Wahl!?

Mai

Ju­an und ich tra­fen uns zum Es­sen, wie­der ein­mal in un­se­rem liebs­ten Su­shi-Re­stau­rant in Pal­ma. Welch Zu­fall, dass wir bei­de die­sel­be Lei­den­schaft für den­sel­ben La­den teil­ten. Es war mein Vor­schlag ge­we­sen, dort­hin zu ge­hen, denn ich lieb­te die­ses Re­stau­rant, und er fiel fast vom Glau­ben ab, denn es war auch sein Lieblings-Japaner.

Es war wie­der ein­mal zu viel Zeit seit un­se­rem letz­ten Tref­fen ver­gan­gen und glück­lich dar­über, ihn end­lich bei mir zu ha­ben, stürz­te ich mich in sei­ne Ar­me. Wir wa­ren aus­ge­las­sen, lach­ten mit­ein­an­der und er scherz­te auf sei­ne ihm so ei­ge­ne Art – zog mich auf wie er das im­mer tat. Es hät­te nicht schö­ner sein kön­nen, wä­re ich nicht gleich­zei­tig von ei­ner ganz ei­gen­ar­ti­gen Weh­mut über­rollt wor­den, die of­fen­sicht­lich auch er spürte.

Un­ser Ge­spräch wen­de­te sich, ver­lor an Fröh­lich­keit und um­kreis­te wie­der ein­mal das The­ma, über das ich ei­gent­lich nicht nach­den­ken woll­te. Das The­ma, mit dem er schon seit Ta­gen ver­such­te, sich ab­zu­fin­den und mit dem er trotz­dem kei­nen Frie­den schlie­ßen konnte.

Ein hal­bes Jahr mit­ein­an­der – ex­akt fünf­zig Nächte

„Wenn du wirk­lich in mich ver­liebt bist und mit mir zu­sam­men sein willst, war­um willst du dann im Ok­to­ber mit mir Schluss ma­chen?“ Ich sah ihm an, wie weh ihm die­se Fra­ge tat und es fiel mir so un­sag­bar schwer, ihm die Ant­wort dar­auf ge­ben zu müs­sen, von der ich mir selbst ge­schwo­ren hat­te, dass ich sie ihm wahr­heits­ge­mäß ge­ben wür­de. An der ich mich mit ei­ner Ver­zweif­lung fest­klam­mer­te, ob­wohl sie auch mir Schmer­zen zufügte.

„Weil ge­nau das mein Pro­jekt ist. Wir ha­ben ex­akt ein hal­bes Jahr mit­ein­an­der. 50 Näch­te“. Un­ter dem Tisch ver­schlang ich mei­ne Fin­ger mit­ein­an­der, press­te den Dau­men zwi­schen Zei­ge- und Mit­tel­fin­ger, hilf­los um Be­herr­schung rin­gend. „Aber es ist doch dumm, je­man­den nur aus Prin­zip zu ver­las­sen, den man liebt, nur we­gen ei­nes Pro­jek­tes“, wand­te Ju­an ein.

In mei­nem In­ne­ren schrie ei­ne Stim­me laut auf und gab ihm recht. Na­tür­lich stimm­te es, dass ich ihn nicht ver­las­sen woll­te und in mei­nem Kopf teer­te, fe­der­te und vier­teil­te ich mein blö­des Pro­jekt für das, was es mir neh­men wür­de. Nach au­ßen ant­wor­te­te ich ihm je­doch mit ru­hi­ger Stim­me: „Ich wer­de im Ok­to­ber mit dir Schluss ma­chen, weil ich es so will.“

Und auch das stimm­te ir­gend­wie. Ich, die Meis­te­rin der Selbst­dis­zi­plin, hat­te im­mer­hin ein Ziel vor Au­gen, und ich wuss­te, dass ich es er­rei­chen wür­de, kos­te­te es, was es wol­le und auch wenn es mir viel ab­ver­lan­gen wür­de. Denn das war ei­ne Gewissheit.

Ich hat­te Schmet­ter­lin­ge im Bauch bei den Ge­dan­ken an Juan

Den Rest un­se­res Es­sens und die Fahrt zu ihm ver­brach­ten wir bei­de in die­ser selt­sa­men Stim­mung. Ich wuss­te, dass er ver­letzt war; bei­de fühl­ten wir die­se selt­sa­me Me­lan­cho­lie und Be­klem­mung, die sich wei­ter zwi­schen uns breit­mach­te. Bei ihm zu­hau­se schließ­lich plat­ze al­le An­span­nung – wir er­leb­ten ei­ne wun­der­schö­ne Nacht mit­ein­an­der, ge­trie­ben von dem Wis­sen, dass all dies viel zu bald ein En­de ha­ben wür­de; ge­trie­ben von der Zeit, die viel zu schnell ver­strich und ge­gen uns ar­bei­te­te. Er­mat­tet von den trüb­sin­ni­gen Ge­dan­ken, die­ser Span­nung zwi­schen uns und den see­li­schen Stra­pa­zen un­se­res ge­mein­sa­men Abends schlief ich schließ­lich fest von sei­nen Ar­men um­schlun­gen ein.

Nach­denk­lich stand ich an mei­ner Gar­de­ro­be, un­si­cher was ich an­zie­hen soll­te. Ju­an und ich hat­ten uns für den spä­ten Nach­mit­tag am Strand ver­ab­re­det, be­vor wir die Nacht ge­mein­sam bei ihm ver­brin­gen wür­den. Mit viel Glück wä­re si­cher­lich auch noch ein Ab­ste­cher bei un­se­rem Lieb­lings­ja­pa­ner drin, so war mein Plan. Ich ent­schied mich al­so trotz des som­mer­li­chen Wet­ters auf der In­sel für ei­nen Pull­over, da es spä­ter mit Si­cher­heit noch kühl wer­den wür­de, kämm­te mir noch ein­mal die Haa­re und flocht mir ei­nen Zopf.

Mit dem Mo­tor­rad saus­te ich los, der Wind blies mir ins Ge­sicht und die tief­stehen­de Son­ne blen­de­te mich. Der Ge­dan­ke dar­an, Ju­an bald zu se­hen, er­füll­te mich mit Freu­de und ich spür­te ein klei­nes Krib­beln in der Ma­gen­ge­gend. Noch im­mer ver­setz­te die­ser Mann mich wirk­lich in Aufruhr.

Mein spa­ni­scher Freund küss­te mich in al­ler Öffentlichkeit

Ich war ein we­nig zu früh am ver­ein­bar­ten Treff­punkt, so dass ich mir den Pull­over aus­zog, die­sen aus­brei­te­te und mich dann auf ei­nem Fels­vor­sprung nie­der­ließ, den Kopf zu­rück­lehn­te und mir die letz­ten wär­men­den Son­nen­strah­len ins Ge­sicht schei­nen ließ.

Der Sand knirsch­te un­ter sei­nen Schu­hen und als ich ge­gen die Son­ne blin­zel­te, sah ich, wie Ju­an auf mich zu schlen­der­te. Fröh­lich ne­ben ihm trot­te­te Jack, ein drol­li­ger klei­ner Mops mit dem so ty­pi­schen, platt­ge­drück­ten Ge­sicht, der, so­bald er mich er­blick­te, fröh­lich an der Lei­ne zie­hend auf mich zu­wat­schel­te und sein Herr­chen zur Ei­le an­trieb. Doch Ju­an, der mich breit an­grins­te und dem An­trieb sei­nes Hünd­chens un­ein­ge­schränkt nach­gab, schien min­des­tens ge­nau­so schnell bei mir sein zu wol­len wie Jack, der nun, um Auf­merk­sam­keit be­müht, bel­lend an mei­nem Bein hoch­sprang, wäh­rend ich mei­nen Lieb­lings­s­pa­nier fest an mich zog.

Er leg­te mir die Hän­de auf die Hüf­ten und küss­te mich und bei­na­he ver­damm­te ich den öf­fent­li­chen Ort, an dem wir uns be­fan­den. Wie oft hat­te er mich schon be­rührt und an­ge­fasst, aber sei­ne Be­rüh­rung gab mir noch im­mer das sel­be elek­tri­sie­ren­de Gefühl.

Un­ser Mit­ein­an­der war so herz­lich, die Sze­ne­rie am Strand mit der un­ter­ge­hen­den Son­ne ver­ström­te bil­der­buch­haf­te Ro­man­tik und ich ku­schel­te mich an den Mann, der mir schon lan­ge nicht mehr nicht aus dem Kopf ging.

Er war tat­säch­lich Mit­glied ei­ner Hundegruppe

Ju­ans Te­le­fon surr­te, als er ei­ne Nach­richt be­kam, die er sich laut la­chend an­sah. Kurz dar­auf drück­te er mir sein Te­le­fon in die Hand, warf sich mit sei­nem Hund in den Sand, setz­te ihm sei­ne Son­nen­bril­le auf und ge­mein­sam po­sier­ten sie für ein lus­ti­ges Fo­to – wo­bei ich mich nicht an ein Fo­to des Hun­des er­in­nern konn­te, das nicht lus­tig ge­we­sen war; er schien prä­de­sti­niert da­für zu sein.

„Das schi­cke ich jetzt in un­se­re Mops-Grup­pe“, er­zähl­te er mir vol­ler Stolz. „Eu­re was?“, er­wi­der­te ich ver­ständ­nis­los, als es mir plötz­lich däm­mer­te. Oh nein! „Na un­se­re Mops-Grup­pe. Al­le in die­ser Grup­pe ha­ben ei­nen Mops und wir pos­ten da Bil­der von un­se­ren Hun­den. Hin und wie­der or­ga­ni­sie­ren wir so­gar ein Tref­fen, bei dem wir…“

Ich fing laut­hals an zu la­chen, die Trä­nen stie­gen mir in die Au­gen, wäh­rend ich ab­wech­selnd zwi­schen Jack und Ju­an hin- und her blick­te. „Du gehst ganz ernst­haft zu Mops-Tref­fen?“, frag­te ich ihn, noch im­mer atem­los und um Be­herr­schung rin­gend, doch ich konn­te mich ein­fach nicht be­ru­hi­gen. „Klar“, ant­wor­te­te Ju­an mit strah­len­der Mie­ne, „von dem letz­ten Tref­fen gibt’s so­gar ein Bild. Willst du’s se­hen? Da wa­ren echt vie­le Leute!“.

Die Gier der Frisch­ver­lieb­ten brach­te uns zusammen

La­chend nick­te ich, wäh­rend mir die Trä­nen wie­der übers Ge­sicht lie­fen, un­ent­schlos­sen, ob ich nun be­lus­tigt oder ent­setzt sein soll­te. Zwar war sei­ne Be­geis­te­rung für Hun­de auch vor­her schon un­über­seh­bar ge­we­sen, aber zum ers­ten Mal wur­de mir ge­ra­de das gan­ze Aus­maß klar: Mein Freund war ein Mops-Nerd! Und auch das hielt mich nicht da­von ab, voll­kom­men ver­rückt nach ihm zu sein.

Wir ver­brach­ten ei­nen Groß­teil des Mo­nats Mai mit­ein­an­der und selbst wenn ich nicht je­des Mal bei ihm schlief, so ver­such­ten wir doch mit der Gier der Frisch­ver­lieb­ten so viel vom an­de­ren zu be­kom­men wie nur mög­lich war.

Es war ei­ne Zeit, die er­füllt war von gu­ten Ge­sprä­chen, Um­ar­mun­gen und Be­rüh­run­gen, von Sehn­sucht und dem Leid des Ver­mis­sens – ei­ne Zeit, in der Mi­nu­ten zu Stun­den und Stun­den zu Mi­nu­ten wer­den konn­ten, ei­ne Zeit mit ganz be­son­de­ren, ei­ge­nen Maß­ein­hei­ten, die sich auf­teil­ten in ge­trennt und zusammen.

Doch vor al­lem hat­ten wir je­de Men­ge Spaß: wir ska­te­ten zu­sam­men und lach­ten herz­haft über un­se­re Miss­ge­schi­cke, mut­maß­ten, wer von uns zu­erst ge­gen ei­ne der Stra­ßen­la­ter­nen oder in ei­nen über­vol­len Müll­ei­mer fah­ren würde.

„Lass uns ei­ne Mut­pro­be ma­chen“, schlug ich Ju­an ei­nes Ta­ges vor. „Wir su­chen uns das Eis­ca­fé mit den un­ge­wöhn­lichs­ten Eis­sor­ten in ganz Pal­ma her­aus und be­stel­len uns ge­gen­sei­tig zwei Ku­geln.“ Er lach­te. „Ab­ge­macht!“, stimm­te er zu.

Ju­an nahm mich mit zu dem lus­ti­gen Spektakel

Als der Tag ge­kom­men war und wir den La­den be­tra­ten, wuss­ten wir nicht, ob wir uns vor La­chen krin­geln oder vor Ekel schüt­teln soll­ten. Schluss­end­lich ver­lie­ßen wir den La­den je­doch bei­de wie ver­ab­re­det mit un­se­ren zwei Eis­ku­geln: ich mit Pe­ter­si­lie und Zie­gen­kä­se, Ju­an mit Cheese­bur­ger und Par­me­san­eis. Man­ches schmeck­te bes­ser als er­war­tet, trotz­dem schaff­te es kei­ner von uns bei­den, sein gan­zes Eis zu es­sen und wir be­schlos­sen, das Ex­pe­ri­ment zu wie­der­ho­len, die­ses Mal aber un­se­re Lieb­lings­sor­ten zu er­ra­ten; die von Ju­an, das wuss­te ich da­nach, wa­ren Va­nil­le und Stracciatella.

Dann kam der Tag, auf den ich seit An­fang Mai ge­war­tet hat­te – seit dem Tag, an dem ich er­fah­ren hat­te, dass mein Freund Mops-Tref­fen frön­te und ich ihn dar­um ge­be­ten hat­te, mich beim nächs­ten Mal mit­zu­neh­men. So ein Spek­ta­kel soll­te man ein­mal im Le­ben mit­ge­macht ha­ben, nahm ich mir da­mals vor. Es er­schien mir zu lus­tig, um es mir ent­ge­hen zu lassen.

Ge­dacht, ge­sagt, ge­macht: ich hol­te Ju­an und den klei­nen Jack an ei­nem schö­nen Sonn­tag­mor­gen mit dem Au­to ab. Der Mops war quietsch­fi­del und be­reits von Ju­an her­aus­ge­putzt wor­den. Als stol­zer Be­sit­zer ei­ner ne­on­gel­ben Hun­de­wes­te, die der Schrift­zug „Jack“ in Groß­buch­sta­ben zier­te, ge­hör­te es selbst­re­dend zum Pflicht­pro­gramm, das gu­te Stück an ei­nem be­son­de­ren Tag wie die­sem zu tragen.

Nur ei­ne Stun­de Zeit und den­noch 30 Mi­nu­ten zu spät

Am Treff­punkt an­ge­kom­men, wur­den wir di­rekt vom Ver­an­stal­ter in Emp­fang ge­nom­men, der al­le herz­lich mit Na­men be­grüß­te – und al­le ist in die­sem Fall ei­ne kla­re Un­ter­trei­bung. Der Mann kann­te nicht nur sämt­li­che Teil­neh­mer, son­dern auch die da­zu­ge­hö­ri­gen Möp­se. So wur­de die klei­ne Peg­gy eben­so ge­knud­delt wie der auf­ge­dreh­te Tom­my oder auch Mr. Pup­py, ein di­ckes, be­que­mes Kerl­chen, dem man zur Fei­er des Ta­ges ei­ne Kra­wat­te um­ge­bun­den hatte.

Da wir lei­der mit ei­ni­ger Ver­spä­tung erst an­ge­kom­men wa­ren, blieb uns nicht be­son­ders viel Zeit, bis der Auf­ruf kam, sich für das Grup­pen­fo­to zu po­si­tio­nie­ren. Ju­an, der chro­nisch im­mer die ob­li­ga­to­ri­sche, spa­ni­sche hal­be Stun­de zu spät kam, schien das auch nicht wei­ter zu stö­ren. Ich al­ler­dings wun­der­te mich schon et­was, dass man bei ei­ner ein­stün­di­gen Ver­an­stal­tung nicht zu­min­dest ver­sucht war, zur ver­ein­bar­ten Zeit zu erscheinen.

Wäh­rend ein heil­lo­ses Durch­ein­an­der herrsch­te und die Hun­de ein­ge­fan­gen wur­den, stell­te man sich nun al­so zum Fo­to auf. Die Möp­se wur­den in die Luft ge­ho­ben, auf den Arm ge­nom­men oder wahl­wei­se auch in vor­ders­ter Rei­he auf­ge­stellt. Wich­tig war, dass je­des Hünd­chen gut zur Gel­tung kam und – fast noch wich­ti­ger – von sei­ner Scho­ko­la­den­sei­te zu se­hen war.

Der Hund Jack be­nö­tig­te jetzt drin­gend ein Bad

Da­nach folg­ten die Ein­zel­fo­tos, bei de­nen sich je­des Pär­chen, be­stehend aus Hund und Mensch, zu­sam­men ab­lich­ten ließ. Mit Schre­cken stell­te Ju­an kurz be­vor er an der Rei­he war fest, dass der klei­ne Jack sich in sei­nen Hun­de­hau­fen ge­setzt hat­te und sein Ge­schäft ihm nun über­all am Po­po kleb­te. So konn­te er doch nicht aufs Fo­to! Hek­tisch um Scha­dens­be­gren­zung be­müht, wisch­te er sei­nem Hund mit ei­ni­gen her­um­lie­gen­den Blät­ter das un­lieb­sa­me Mal­heur so gut es eben ging weg. Doch im Grun­de ge­nom­men war es aus­sichts­los: Jack brauch­te ei­ne Badewanne.

Das Fo­to ließ Ju­an sich trotz­dem nicht neh­men und po­sier­te – of­fen­sicht­lich ver­schämt auf­grund des ver­schmutz­ten Hin­ter­teils – mit Jack auf sei­nem Arm für die Ka­me­ra. Ob­wohl er pein­lich dar­um be­müht war, nicht in Be­rüh­rung mit Jacks Ge­schäft zu kom­men, be­kam auch er et­was da­von ab und blick­te un­glück­lich drein. „Sieht so aus, als ob ich dich zu­hau­se viel­leicht auch ba­den müss­te“, raun­te ich Ju­an zu und sah wie sei­ne schlech­te Lau­ne im Nu verflog.

Wir nah­men Jack an die Lei­ne, den sein ver­dreck­ter Po­po nicht im Min­des­ten zu stö­ren schien. Fröh­lich pin­kel­te er auf dem Weg zu­rück zum Au­to an fünf Bäu­me und toll­te vor uns den Weg ent­lang. Sechs Bäu­me. Ich ver­dreh­te die Au­gen und hielt Ju­an die Au­to­tür auf, da­mit er Jack, der of­fen­kun­dig noch kei­ne Lust zu ge­hen hat­te, ins Au­to pa­cken konn­te. Zu­hau­se gönn­te ich ihm die ver­spro­che­ne Badewanne.

Trotz al­lem wür­de ich die Be­zie­hung be­en­den wollen

Trotz all der schö­nen Ta­ge, die wir mit­ein­an­der ver­brach­ten, lie­ßen sich man­che The­men je­doch nicht in den Hin­ter­grund drän­gen, wie et­wa die Tat­sa­che, dass Ju­an im­mer noch nicht ver­ste­hen konn­te, war­um ich mich im Ok­to­ber von ihm tren­nen woll­te und wür­de. Es tat mir weh zu se­hen, wie ihn das The­ma quäl­te, doch ich konn­te die­se Last nicht von ihm neh­men. Selbst mich quäl­te mei­ne ei­ge­ne Ent­schei­dung, trotz des Wis­sens, dass ich es so ge­wollt hat­te, noch im­mer. Zu die­sem Zeit­punkt schien es für mich das Un­denk­bars­te, was wir tun konn­ten, uns schon in ei­nem hal­ben Jahr zu trennen.

„Was wirst du ma­chen, wenn kei­ner von uns im Ok­to­ber die­se Tren­nung will?“, frag­te er mich wäh­rend ei­nes die­ser schier nicht en­den wol­len­den Gespräche.

„Ich wer­de trotz­dem mit dir Schluss ma­chen, das weißt du doch. Mei­ne Ein­stel­lung wird sich da nicht mehr än­dern, egal wie oft wir noch dar­über re­den. Ab­ge­se­hen da­von ha­be ich ab No­vem­ber auch schon ein neu­es Pro­jekt vor­ge­se­hen – dann ler­ne ich näm­lich mal­lor­quin.“ Mal­lor­quin war die Spra­che, die die Mal­lor­qui­ner haupt­säch­lich un­ter­ein­an­der spra­chen. Cas­tel­lano, das Hochspa­nisch, sprach er nur für mich.

Er hielt sich für den per­fek­ten Part­ner mei­nes Projekts

Er sah mich er­staunt an, konn­te sich schließ­lich je­doch trotz­dem zu ei­nem Lä­cheln durch­rin­gen. „Ha­be ich die rich­ti­ge Vor­stel­lung da­von wie die­ses Pro­jekt aus­se­hen wird? Es um­fasst nicht zu­fäl­lig sechs Mo­na­te und ei­nen Mal­lor­qui­ner oder?“ „Doch, rein zu­fäl­lig tut es das“, quit­tier­te ich mit ei­nem nicht ganz ernst ge­mein­ten Grin­sen. „Du weißt, dass ich ge­bür­ti­ger Mal­lor­qui­ner bin und so­mit auch für dein nächs­tes Pro­jekt der idea­le Pro­jekt­part­ner? Es tut mir ja bei­na­he leid, dir das sa­gen zu müs­sen, aber ich war oh­ne­hin schon über­zeugt, dass du dich im Ok­to­ber nicht von mir tren­nen kannst, aber jetzt wirst du ein­fach ein­se­hen müs­sen, dass ich der bes­te Leh­rer bin, den du fin­den wirst und du mich nicht ein­fach ge­hen las­sen kannst, weil es kei­nen ad­äqua­ten Er­satz für mich gibt.“ Breit und süf­fi­sant grins­te er mich an und ich hoff­te, er wür­de Recht behalten.

Ju­ni

Der letz­te Mo­nat war voll ro­man­ti­scher Zwei­sam­keit ge­we­sen, voll von den in­ten­si­ven Ge­füh­len der Ver­liebt­heit, die wir mit­ein­an­der teil­ten. Un­se­re Her­zen schlu­gen schnel­ler, die Welt dreh­te sich lang­sa­mer und un­se­re Bli­cke wa­ren vol­ler Froh­sinn und Glück; aus uns spru­del­te die Zu­frie­den­heit und Zu­ver­sicht de­rer, die sich ge­ra­de in ein fri­sches Lie­bes­glück stürz­ten, de­rer, die kei­nen Ge­dan­ken an den nächs­ten Tag ver­schwen­de­ten. Wir hat­ten uns und nur das zählte.

Mit der Zeit, die ver­ging – Zeit, in der wir uns nä­her ken­nen­lern­ten und lang­sam so et­was wie ein All­tag ein­kehr­te – lern­te ich ei­ni­ges über Ju­an und das Le­ben, das er führ­te; Din­ge, die er ger­ne tat und was er ver­ab­scheu­te. All­mäh­lich fand ich mich in sei­ne ganz ei­ge­ne Art zu le­ben ein; und in die der Spanier.

Ju­an und ich wa­ren am Frei­tag­abend ver­ab­re­det. Kurz ent­schlos­sen hat­te ich mich ent­schie­den, ihn di­rekt am Car­re­four – ei­ner in Spa­ni­en ver­brei­te­ten Su­per­markt­ket­te – zu tref­fen. Mir war da­nach, so viel Zeit wie nur mög­lich mit ihm zu ver­brin­gen und auch die Neu­gier trieb mich ein biss­chen an. Wir wür­den ge­mein­sam ein­kau­fen und was er aus­su­chen wür­de, in­ter­es­sier­te mich. Schließ­lich sa­gen so­wohl der In­halt ei­nes Kühl­schranks als auch das Zu­hau­se an sich deut­lich et­was über des­sen Be­sit­zer aus.

Ju­an kann­te als Ein­hei­mi­scher das Chaos

„Hal­lo, Hüb­sche“, grins­te er mich an, als er über den Park­platz auf mich zu ge­schlen­dert kam. „Hi.“ Ich grins­te zu­rück. Ju­an hielt mir den Arm hin und ich hak­te mich un­ter, ge­mein­sam mach­ten wir uns auf den Weg zum Ein­kauf. Wir pas­sier­ten ge­ra­de die Obst­ab­tei­lung und ich sah Ju­ans um­her­wan­dern­den Blick. „Was suchst du denn? Viel­leicht kann ich dir hel­fen.“ „Ich gu­cke, was ich brau­che“, ant­wor­te­te er und ver­schwand in ei­nem Gang zwi­schen Obst­kon­ser­ven und Nu­tel­la-Glä­sern. Die Sor­tie­rung spa­ni­scher Su­per­märk­te leuch­te­te mir auch nach Jah­ren noch kein biss­chen mehr ein als am An­fang. Als ich Ju­an dar­auf an­sprach, konn­te er das na­tür­lich über­haupt nicht nach­voll­zie­hen. Wie auch, er war im­mer­hin hier auf­ge­wach­sen und das Cha­os ge­wöhnt. Deut­sche Struk­tu­riert­heit und Ord­nung wür­den mir hier wohl nie begegnen.

„Na los, komm zu mir“, hör­te ich Ju­an aus dem nächs­ten Gang ru­fen. „Der Mais ist hier, du woll­test doch wel­chen ha­ben, um die­sen le­cke­ren Sa­lat zu ma­chen, oder?“

Mein lüs­ter­ner Blick sag­te al­les – und Ju­an war bereit

„Ja, wir brau­chen Mais“, rief ich ihm zu und bog um die nächs­te Ecke in sei­nen Gang ein. „Wir“ hat­te ich ge­ra­de ge­sagt. Ich lä­chel­te und in mei­nem Ma­gen brau­te sich die­ses alt­be­kann­te, flat­t­ri­ge Ge­fühl zu­sam­men. Vor Freu­de hät­te ich laut ju­beln und durch die Gän­ge hüp­fen kön­nen, aber trotz al­lem war ich im­mer noch ei­ne se­riö­se Da­me und kein pu­ber­tie­ren­des Mäd­chen mehr. Auch wenn ich mich zu­ge­ge­be­ner­ma­ßen in letz­ter Zeit des Öf­te­ren so fühl­te. „Hast du gar kei­ne Ein­kaufs­lis­te?“, fra­ge ich Ju­an ir­gend­wann, nach­dem wir im­mer wie­der durch die Gän­ge ge­lau­fen wa­ren und er wie zu­fäl­lig hier und dort mal et­was aus dem Re­gal ge­grif­fen hatte.

„Wo­zu denn?“, er­wi­der­te er. „Mir fällt schon ein, was ich brau­che, wenn ich es se­he.“ Ich brach in schal­len­des Ge­läch­ter aus, zog ihn an mich und küss­te ihn stür­misch. Er war so un­ge­wollt ko­misch und das er­hei­ter­te mich im­mer wie­der. „Kein Ein­kaufs­zet­tel al­so“, schloss ich. „Nun ja, auch gut. Lass uns wei­ter­ma­chen, schließ­lich ha­be ich heu­te Abend noch was mit dir vor.“ Er zog ei­ne Au­gen­braue hoch und ein lüs­ter­ner Blick trat in sei­ne Au­gen. Auch wenn das nicht mei­ne ei­gent­li­che In­ten­ti­on ge­we­sen war, so sag­te die­ser Blick doch al­les: mei­ne Plä­ne für den heu­ti­gen Abend wa­ren so eben ver­fei­nert worden.

Hun­de­haa­re – über­all wa­ren Hundehaare

Schon bald war un­ser ge­mein­sa­mer Frei­tags­ein­kauf zu ei­nem fes­ten Ri­tu­al ge­wor­den. Mir ga­ben Ri­tua­le so­wie­so schon im­mer et­was: ich glau­be sehr dar­an, dass es gut tut, be­stimm­te Din­ge im­mer mit­ein­an­der zu tei­len, ei­nen prä­gnan­ten ge­mein­sa­men All­tag zu ha­ben und – der wich­tigs­te Punkt – et­was zu ha­ben, auf dass man sich im­mer freu­en kann. Mit der Zeit ent­wi­ckel­ten wir im­mer mehr un­se­re ei­ge­nen Ri­tua­le: ei­ne Nach­richt mor­gens und abends und nach der Ar­beit, um dem an­de­ren zu zei­gen, dass man an ihn denkt und ihn ver­misst; dass er mir im­mer die schwar­zen Hand­tü­cher raus­leg­te, wenn ich bei ihm schlief, denn das war nun mal mein Stil. Ich weiß gar nicht, seit wie vie­len Jah­ren ich mich nur in schwarz klei­de, und dass Jack, so­bald ich kam, auf die Ter­ras­se ver­bannt wurde.

Den Ge­ruch von stin­ken­dem Hund konn­te ich bei al­ler Lie­be nicht an­dau­ernd er­tra­gen. Zu mei­nem gro­ßen Leid­we­sen war dies je­doch kein Dau­er­zu­stand, so dass sich auch ein an­de­res Ri­tu­al bei uns ein­schlich: das Neu­be­zie­hen des Bet­tes. Denn lei­der hat­te Ju­ans Lie­be zu sei­nem Hund nicht nur hu­mor­vol­le, lus­ti­ge Sei­ten, son­dern auch die läs­ti­ge An­ge­wohn­heit, den Hund in sei­nem Bett schla­fen zu las­sen, wenn ich nicht bei ihm war.

An sich hät­te ich dar­über hin­weg­se­hen kön­nen, wä­re da nicht das Pro­blem mit Jacks Fell ge­we­sen – er hat­te hell­brau­nes Fell, an man­chen Stel­len na­he­zu weiß – , wel­ches über­all wo er stand, bell­te und saß, kleb­te. Und zwar wirk­lich kleb­te. An­fangs ver­such­te ich noch, die Hun­de­haa­re ein­zeln von mei­nen schwar­zen Sa­chen zu ent­fer­nen, pro­bier­te es spä­ter so­wohl mit ei­ner Flu­sen­bürs­te als auch mit dem Trock­ner, doch nichts half. Die ein­zi­ge Lö­sung, die uns blieb, war al­so, je­des ein­zel­ne Mal, das ich bei ihm schlief, das Bett neu zu beziehen.

Doch es mach­te mir nichts aus – es hat­te sich zu ei­nem schö­nen Ri­tu­al zwi­schen uns ent­wi­ckelt. Es war das ers­te, was ich tat, nach­dem ich bei ihm an­kam: der Hund kam vor die Tür und das Bett wur­de neu be­zo­gen. Oft ge­nug blie­ben wir da­nach auch di­rekt im Schlaf­zim­mer und das frisch be­zo­ge­ne Bett wur­de di­rekt eingeweiht.

Der klei­ne Jack konn­te ziem­lich viel pinkeln

Die Son­ne ver­sank ge­ra­de hin­ter den Bäu­men, als Ju­an und ich ei­nen Spa­zier­gang mit Jack mach­ten. Mein Freund war zu­tiefst be­un­ru­higt, da sein Hund den gan­zen Tag über ein merk­wür­di­ges Ver­hal­ten ge­zeigt hat­te: er hat­te kaum ge­fres­sen, war ent­we­der ex­trem auf­ge­regt oder bei­na­he apa­thisch ge­we­sen und hat­te viel geschlafen.

Ob­wohl ich nor­ma­ler­wei­se kein gro­ßer Freund und Be­wun­de­rer die­ses Tie­res war, wand ich nichts da­ge­gen ein, ihn mit­zu­neh­men, ich wuss­te Ju­an wä­re sonst die gan­ze Zeit be­sorgt und geis­tes­ab­we­send ge­we­sen. Wir schlen­der­ten durch ei­nen Park, Jack wur­de mun­ter und pin­kel­te an na­he­zu je­den ein­zel­nen sich dort be­find­li­chen Baum. Es ent­zog sich kom­plett mei­ner Vor­stel­lungs­kraft, wie viel die­ser klei­ne Hund pin­keln konnte.

Glück­li­cher­wei­se sprach Ju­an mich in ge­nau die­sem Mo­ment an und hielt mich von wei­te­ren Mut­ma­ßun­gen über das Uri­nier­ver­hal­ten sei­nes Hun­des ab.

„Ist es in Ord­nung für dich, wenn wir heu­te Abend zu­hau­se blei­ben? Ich möch­te im Not­fall für Jack da sein kön­nen.“ Sein Blick bat um Verständnis.

„Klar doch“, sag­te ich. „Lass uns Na­chos kau­fen und ei­nen Film schauen.“

Dank­bar sah er mir nach, als ich in den nächst­ge­le­ge­nen Su­per­markt ging, um al­les Nö­ti­ge für den be­vor­ste­hen­den Abend zu be­sor­gen, wäh­rend er mit Jack Stöck­chen ho­len spielte.

Ju­an nann­te mich »cie­lo« – »Him­mel«

Mit ei­ner Tü­te vol­ler Na­chos und Scho­ko­la­de kehr­te ich schließ­lich kurz dar­auf zu­rück. Ju­an hat­te sich mitt­ler­wei­le auf ei­ner Bank nie­der­ge­las­sen, der er­schöpf­te Jack hat­te es sich zu sei­nen Fü­ßen be­quem ge­macht. Schwei­gend setz­te ich mich ne­ben ihn und leg­te den Kopf an sei­ne Schul­ter. Bei­na­he reg­los sa­ßen wir so noch ei­ne gan­ze Wei­le da, sa­hen zu, wie die Schat­ten län­ger wur­den und hin­gen un­se­ren Ge­dan­ken nach.

„Soll ich uns schnell ei­nen Sa­lat ma­chen, dann kannst du dich um Jack küm­mern?“, rief ich Ju­an aus der Kü­che zu.

„Oh, das ist ei­ne sehr gu­te Idee, cie­lo.“ Sei­ne Stim­me klang freudig.

„Cie­lo“, dach­te ich. Was für ein schö­ner Ko­se­na­me. Selbst mir, die nor­ma­ler­wei­se Ko­se­na­men nicht viel ab­ge­win­nen kann, ge­fiel die­se Be­zeich­nung. Sie war an­ders als die üb­li­chen, ver­staub­ten und über die Ma­ßen be­nutz­ten Ko­se­na­men – sie war das spa­ni­sche Wort für Him­mel. In mei­nem Bauch krib­bel­te das Glück und gut ge­launt mach­te ich mich ans Essenmachen.

Kurz nach mir kam auch Ju­an in die Kü­che und mit ei­nem lan­gen, lie­be­vol­len Blick sa­hen wir uns an, be­vor er an die Spü­le trat und den Was­ser­ko­cher befüllte.

„Was machst du?“, frag­te ich ihn.

„Jack geht es nicht gut und ich ko­che ihm ei­nen Ka­mil­len­tee, da­mit er sich be­ru­higt und bes­ser schla­fen kann.“ Er goss das Was­ser in ei­nen der zahl­rei­chen Hun­de­näp­fe und leg­te ei­nen Tee­beu­tel hin­ein. Ich ver­kniff mir jeg­li­chen Kom­men­tar, muss­te mir aber ein­ge­ste­hen, dass er da­mit ei­ne neue Di­men­si­on er­reicht hat­te. Von Leu­ten, die ih­ren Hun­den Jäck­chen mit ih­ren Na­men dar­auf an­zie­hen, hat­te ich zu­vor schon ge­hört, aber er war der Ers­te, der sei­nem Hund ei­nen Be­ru­hi­gungs­tee kochte.

Fast hät­te ich mei­nen Wein über den ar­men Hund geschüttet

Nach dem Es­sen räum­ten wir das schmut­zi­ge Ge­schirr ab. In der Kü­che war mitt­ler­wei­le ein rich­ti­ges Durch­ein­an­der ent­stan­den und über­all stan­den Tel­ler, Schüs­seln und Glä­ser her­um. Ich fühl­te mich nach wie vor be­hag­lich in Ju­ans Haus­halt und be­gann die Spül­ma­schi­ne ein­zu­räu­men. Für mich war es ei­ne Fra­ge der Höf­lich­keit und der gu­ten Ma­nie­ren, im Haus­halt mit­zu­hel­fen, wenn man so viel Zeit wie ich bei je­mand an­de­rem zu­hau­se ver­bringt. Ich woll­te schließ­lich ei­ne Be­rei­che­rung sein und kei­ne Bür­de. Al­so mach­te ich mich nütz­lich, räum­te Tas­sen und Ge­schirr ein und wisch­te den Tisch, bis er blitz­blank war. „Nun fängt der schöns­te Teil des Abends an“, dach­te ich mir, wäh­rend ich die Scho­ko­la­de aus der Tü­te hol­te und mich ne­ben Ju­an auf das So­fa ku­schel­te. „Möch­test du auch ei­nen Wein trin­ken, cie­lo?“, rief Ju­an mir aus der Kü­che zu.

Er hat­te es schon wie­der ge­sagt. Das Wort tru­del­te in mei­nen Ge­dan­ken hin und her und voll­führ­te Loo­pings in mei­nem Bauch.

„Ja, sehr gern“, flüs­ter­te ich ihm ins Ohr, als ich an ihn her­an­trat. Lang­sam dreh­te er sich zu mir um und gab mir ei­nen lan­gen Kuss auf den Mund. Ich war schon be­trun­ken, oh­ne den Wein über­haupt ge­kos­tet zu ha­ben. „Nimm den Wein mit ins Schlaf­zim­mer“, sag­te ich und zog ihn noch nä­her an mich her­an, wäh­rend ich be­gann, rück­wärts in Rich­tung der Tür zu tau­meln. Kein be­son­ders schlau­es Vor­ha­ben, denn um ein Haar hät­te ich mei­nen Wein über den schla­fen­den Jack ver­schüt­tet, der aus­nahms­wei­se ne­ben der Kü­chen­tür vor sich hin schnarchte.

Zwei Män­ner be­nutz­ten den glei­chen Ko­se­na­men für mich

Sei­ne Küs­se wur­den in­ni­ger und mei­ne Be­rüh­run­gen wur­den rau­er und här­ter, wäh­rend ich mich noch im­mer dicht an ihn dräng­te. Das Ver­lan­gen stand ihm in die Au­gen ge­schrie­ben. „Cie­lo!“, lach­te er prus­tend, wäh­rend ich ihn aufs Bett schubs­te und mich auf ihn stürz­te… Noch im­mer et­was er­schöpft la­gen wir auf dem Bett und ruh­ten uns aus; Ju­an kraul­te ab­we­send Jacks Kopf und ich über­flog mei­ne ver­pass­ten Nach­rich­ten. Plötz­lich blieb ich je­doch an ei­ner be­son­de­ren hän­gen. Was war denn heu­te nur los mit allen?

„Cie­lo, wie geht’s dir? Hast du Lust dem­nächst mal was trin­ken zu ge­hen?“, schrieb mir Xa­vier, ei­ner mei­ner bes­ten Freun­de. Er hat­te mir bei vie­len sprach­li­chen Un­stim­mig­kei­ten und Fra­gen schon wei­ter­ge­hol­fen und wür­de mir si­cher­lich auch die­se For­mu­lie­rung er­klä­ren kön­nen. Wie­so gab er mir ex­akt den­sel­ben Ko­se­na­men wie Ju­an nur ei­ni­ge Stun­den zuvor?

Was vor­her nur ei­ne Ah­nung, die mir sehr miss­fiel, ge­we­sen war, ent­pupp­te sich ei­ni­ge Mi­nu­ten spä­ter al­so als si­che­re Ge­wiss­heit: Cie­lo war ein ganz ge­wöhn­li­cher spa­ni­scher Ko­se­na­me wie auch Schatz oder Lieb­ling, nichts dar­an war be­son­ders oder hat­te im Spe­zi­el­len mit mir zu tun. Es war ei­ner die­ser Ko­se­na­men, die ich bis aufs Blut nicht aus­ste­hen konnte.

Ich ent­schied, das The­ma di­rekt bei Ju­an an­zu­spre­chen, ihm klar­zu­ma­chen, dass die­se Art von An­re­de für mich ab­so­lut un­er­träg­lich und in­dis­ku­ta­bel war. Sei­ne bei­na­he ver­schäm­te Re­ak­ti­on hin­ge­gen er­reg­te al­les an­de­re als mein Miss­fal­len und sei­ne Un­si­cher­heit in Be­zug auf mich weck­te das star­ke Be­dürf­nis, ihn zu füh­ren, wie ich das eben von mir kann­te – ihm neue Sicht­wei­sen zu er­öff­nen und ei­nen stär­ke­ren, selbst­be­wuss­te­ren Men­schen aus ihm zu formen.

Ich war die Sei­ne und er der Mei­ne – so­viel war klar

Ich hat­te mei­ne Po­si­ti­on klar­ge­macht, er hat­te sie ver­stan­den und so­mit war es an der Zeit, die­sen Na­men end­gül­tig der Ver­gan­gen­heit an­ge­dei­hen zu las­sen. Er saß auf der Bett­kan­te, blick­te zu mir auf und hat­te noch im­mer die­sen leicht ein­ge­schüch­ter­ten Aus­druck in den Au­gen, der so­fort mein Ver­lan­gen weck­te, mich er­neut über ihn her­zu­ma­chen. Spä­ter, als wir ein­an­der in den Ar­men in sei­nem Bett la­gen und den Ge­dan­ken an das Vor­ran­ge­gan­ge­ne nach­hin­gen, lehn­te er sich auf ein­mal zu mir her­über und flüs­ter­te in mein Ohr: „Eres mía“ – du bist meins.

Ich wand­te ihm den Blick zu, sah ihm fest in die Au­gen und ent­geg­ne­te: „Eres mío“ und gab ihm da­mit zu ver­ste­hen, dass er eben­falls mir gehörte.

Ju­li

Ich klet­ter­te auf den Fel­sen her­um, wäh­rend ich nach ei­ner ge­eig­ne­ten Stel­le such­te, um ins Was­ser zu ge­hen. Nach ei­ni­gen Er­ör­te­run­gen und meh­re­ren Rück­fra­gen hat­te Ju­an sich bei un­se­rem letz­ten Tref­fen da­zu durch­ge­run­gen, sich ei­ne neue Schnor­chel­mas­ke zu kau­fen. Ein­mal hat­te ich ihm vor­ge­schla­gen, ge­mein­sam tau­chen zu ge­hen, da ihn aber die Vor­stel­lung von Mil­lio­nen von Li­tern Was­ser über ihm so der­ma­ßen in Pa­nik ver­setz­te, war für ihn an Tau­chen über­haupt nicht zu den­ken, was scha­de war, denn das Tau­chen ist wohl ei­ne mei­ner größ­ten Lei­den­schaf­ten ne­ben den Männern.

Über­ra­schend po­si­tiv hat­te er da­ge­gen auf mei­ne Über­le­gung, ge­mein­sam zu schnor­cheln, re­agiert. Da er Pro­ble­me da­mit hat­te, durch sei­nen Mund zu at­men, hat­ten wir ihm al­so nun ei­ne mo­der­ne Schnor­chel­mas­ke ge­kauft, die den gan­zen Kopf um­schloss und so­mit das At­men durch die Na­se er­mög­lich­te. Er­fah­run­gen mit solch ei­nem Ge­rät hat­te al­ler­dings kei­ner von uns vorzuweisen.

Ich kehr­te zu Ju­an zu­rück, nach­dem ich in ei­ner klei­nen Ein­buch­tung ei­ne Ab­stiegs­hil­fe aus­fin­dig ge­macht hat­te. Wir wa­ren be­reits fer­tig be­klei­det: ich mit Bi­ki­ni und er in ei­ner eben­falls neu­en Ba­de­ho­se. Mit der Zeit hat­te ich be­merkt, dass es ei­ne sei­ner Ma­cken war, di­rekt Feu­er und Flam­me für et­was sein zu kön­nen, was er nicht lan­ge durch­hal­ten wür­de. Aber er glaub­te fest dar­an und konn­te sich selbst­ver­ständ­lich auch mei­ner Un­ter­stüt­zung si­cher sein.

Wir sa­hen ei­ne Mur­ä­ne, Kreb­se und an­de­re Tiere

Wir stie­gen die schma­le Lei­ter hin­ab ins mitt­ler­wei­le an­ge­nehm war­me Mit­tel­meer, zo­gen un­se­re Flos­sen an und setz­ten die Mas­ken auf. Ent­spannt ließ ich den Kopf ins Was­ser sin­ken und hol­te tief Luft – schon seit ich das ers­te Mal die Un­ter­was­ser­welt er­blickt hat­te, fes­sel­te, fas­zi­nier­te und be­tör­te sie mich; ein Grund da­für, war­um ich so ex­zes­siv tauch­te. Und ich fühl­te mich frei, ver­lor mich in der un­end­li­chen Schwe­re­lo­sig­keit und Wei­te der Mee­re. Am Ran­de mei­nes Sicht­fel­des tauch­te Ju­an ne­ben mir auf und form­te mit sei­nen Fin­gern das Zei­chen für OK. Ge­mein­sam schwam­men wir los und ent­deck­ten zu­sam­men die Schön­heit der Un­ter­was­ser­welt. Wir ge­rie­ten in ei­nen Schwarm klei­ner Fi­sche, sa­hen ei­nen Barsch und meh­re­re See­igel, zu­letzt so­gar ei­ne Mur­ä­ne, wäh­rend das Kli­cken der Kreb­se die Mu­sik des Mee­res in un­se­re Oh­ren spielte.

Zu­frie­den und noch im­mer nass mach­ten wir uns auf den Rück­weg, die Flos­sen in der ei­nen Hand, Mas­ke und Schnor­chel in der an­de­ren. Wir trock­ne­ten uns not­dürf­tig ab und fuh­ren auf dem schnells­ten Weg nach Hau­se, wo wir ge­mein­sam un­ter die Du­sche gingen.

„Das war ein un­glaub­li­ches Er­leb­nis. Ich hat­te schon ver­ges­sen, wie schön es un­ter Was­ser ist“, be­dank­te Ju­an sich noch wäh­rend wir duschten.

Ju­an hat­te es wirk­lich nicht leicht mit mir

Mei­ne nächs­te Wo­che war vol­ler Ar­beit. Auf der Tauch­ba­sis war Hoch­sai­son und ich steck­te meist den gan­zen Tag im Meer und at­me­te aus mei­nem Reg­ler. Es kam mir vor, als be­stehe mein Le­ben nur noch aus Neo­pren­an­zü­gen, Flos­sen, ge­ris­se­nen Mas­ken­bän­dern und Blei­ta­schen. Wir hat­ten ei­ni­ge Tauch­grup­pen da, so dass ich früh mor­gens auf­stand und wenn ich am spä­ten Nach­mit­tag zu­rück­kam, war mein Kopf vol­ler Stick­stoff, der mein Den­ken vernebelte.

Ju­an hat­te es wäh­rend die­ser Ta­ge nicht be­son­ders leicht mit mir, ich schlief viel und war oft­mals kaum in der La­ge, mich auf un­se­re Ge­sprä­che zu kon­zen­trie­ren. Trotz­dem spen­de­te mir sei­ne Nä­he ein Ge­fühl der Ru­he und des Wohl­be­ha­gens, das ich be­son­ders in die­ser an­stren­gen­den Zeit sehr schätz­te und genoss.

Kopf­schüt­telnd sah ich auf die Spül­ma­schi­ne hin­ab, als ich fest­stell­te, dass sie seit mei­nem letz­ten Be­such of­fen­sicht­lich noch nicht aus­ge­räumt wor­den war. Wir hat­ten ge­ra­de zu­sam­men ge­früh­stückt, spä­ter wür­de ich nach Pal­ma fah­ren, um noch ein paar Be­sor­gun­gen zu ma­chen. Ich brauch­te drin­gend neue Schu­he. Lie­bens­wer­ter­wei­se hat­te Ju­an sich an­ge­bo­ten, mich zu be­glei­ten, doch sol­che Din­ge mach­te ich von je­her lie­ber mit mir selbst aus.

Der Mann führ­te das reins­te Junggesellenleben

Ich seufz­te. Schlim­mer als das war je­doch sei­ne plan­lo­se Art, mit der ich mich, trotz der vie­len Zeit, die wir mitt­ler­wei­le mit­ein­an­der ver­bracht hat­ten, im­mer noch erst halb­her­zig ar­ran­gie­ren konn­te. Doch so war es eben mit ihm: er war Spa­ni­er mit Leib und See­le und ei­ne ge­wis­se Kon­for­mi­tät mit ab­ge­spro­che­nen Uhr­zei­ten und Plä­nen konn­te man sich da schließ­lich ein­fach nicht leisten.

„Bist du dir wirk­lich si­cher, dass du al­les hast?“ Die Ant­wort aus sei­nem Schlaf­zim­mer kam vol­ler In­brunst. „Klar, ich hab al­les da.“ „Su­per, gibst du mir noch ei­nen Kuss, ich muss los, sonst kom­me ich zu spät. Heu­te Nach­mit­tag ist kurz­fris­tig noch ein Tauch­gang an­ge­setzt wor­den, das heißt ich ha­be noch Arbeit.“

„Ar­beit“, sag­te er und zwin­ker­te mir zu. Ich wuss­te, dass er mei­ne Ar­beit nicht als rich­ti­ge Ar­beit an­sah, da sie mir da­für zu viel Spaß mach­te. Für ihn lau­te­te die kor­rek­te Be­zeich­nung Hob­by. Die­ses The­ma führ­te bei uns des Öf­te­ren zu Kon­tro­ver­sen: wäh­rend ich frei und un­kon­ven­tio­nell war und die Mei­nung ver­trat, je­der sol­le tun, was ihn glück­lich ma­che, glaub­te er noch tra­di­tio­nell an „ech­te“, har­te Ar­beit. Al­les, was gleich­zei­tig Spaß mach­te und das Le­ben mit Sinn füll­te, pass­te für ihn nicht in die­ses Schema.

Der Spa­ni­er und sei­ne Unfähigkeit

Ein letz­tes Mal prüf­te ich, ob al­les be­reit war: in mei­nem Kof­fer­raum be­fan­den sich ein Zelt, ein Kis­sen und zwei Schlaf­sä­cke so­wie mein Ruck­sack, in den ich ei­ni­ge grund­le­gen­de Sa­chen wie et­wa ei­nen war­men Schlaf­an­zug und di­cke So­cken ge­packt hat­te. Nach­dem ich mich ver­si­chert hat­te, nichts ver­ges­sen zu ha­ben, fuhr ich los, um Ju­an ab­zu­ho­len. „Wie du hast noch gar nicht ge­packt? Ich dach­te, wir wol­len jetzt los.“ Der Spa­ni­er und sei­ne Un­fä­hig­keit, sich an Plä­ne zu halten.

„War­te, hier ganz un­ten im Schrank ha­be ich noch di­cke De­cken. Und die Luft­ma­trat­zen su­che ich gleich.“ Ich ver­dreh­te die Au­gen. „Hier ist ja auch mein Schlaf­an­zug. Hm, den hät­te ich viel­leicht mal vor­her wa­schen sol­len.“ „Ich hab dich doch letz­te Wo­che so­gar noch dar­in er­in­nert, al­les vorzubereiten.“

„Ich bin ja auch schon fer­tig“, ent­geg­ne­te er selbst­si­cher. „Ging doch schnell, da muss ich mich nicht Ta­ge vor­her schon mit ab­mü­hen.“ Ich ließ ihm sei­nen Wil­len, lausch­te sei­nem Ge­plap­per über die Un­brauch­bar­keit von Plä­nen nur so viel wie nö­tig und ging vor­aus zum Au­to. Ju­an folg­te mir mit Sack und Pack.

Im Zelt woll­ten wir in sei­nen Ge­burts­tag hineinfeiern

Un­ser Aus­flug be­gann und vol­ler Vor­freu­de fuh­ren wir auf die Au­to­bahn. Sein En­de fand un­ser Weg an der Nord­küs­te Mal­lor­cas, am so­ge­nann­ten Ro­cky Beach, ei­nem wun­der­schö­nen Strand mit zer­klüf­te­ten Sand­stein­fel­sen. Die Sicht auf das Mit­tel­meer und die sich an den Klip­pen bre­chen­den Wel­len war atemberaubend.

Ehr­fürch­tig stan­den wir Sei­te an Sei­te auf dem Sand und be­trach­te­ten den Him­mel, den die un­ter­ge­hen­de Son­ne in ein schim­mern­des Spek­trum aus Rot und Oran­ge ein­tauch­te. Gischt spritz­te, als ei­ne be­son­ders ho­he Wel­le auf uns zu­roll­te und die fri­sche Mee­res­luft spiel­te mit mei­nem Haar, wäh­rend sich glü­hend am Him­mel die Son­ne ver­ab­schie­de­te. Heu­te Nacht wür­den wir hier zel­ten und in Ju­ans Ge­burts­tag hineinfeiern.

Doch erst ein­mal wa­ren wir zur Ei­le an­ge­hal­ten. Un­ser Zelt als auch un­ser Schlaf­platz soll­ten fer­tig sein, be­vor die Son­ne un­ter­ge­hen und das letz­te Licht des Ta­ges mit sich neh­men würde.

Ge­mein­sam spann­ten wir die Zelt­pla­ne und be­füll­ten Sand­säck­chen, um das Zelt am Bo­den zu be­fes­ti­gen. Es war an­stren­gend, denn trotz der spä­te­ren Stun­de war es schwül und die Hit­ze hat­te die In­sel mitt­ler­wei­le fest in ih­rem Griff, so dass wir als­bald zu schwit­zen be­gan­nen. Wäh­rend Ju­an sich um die Luft­ma­trat­zen küm­mer­te, zog ich rasch mei­ne Schu­he aus und ge­noss das Ge­fühl von Sand zwi­schen den Ze­hen. Da­nach half ich ihm das Zelt ein­zu­räu­men, die De­cken und Schlaf­sä­cke aus­zu­brei­ten und ei­ne Ta­schen­lam­pe zu be­fes­ti­gen, da­mit sie uns in der Nacht Licht spen­den würde.

Mü­cken und Mil­ben mach­ten uns ei­nen Strich durch die Rechnung

Es war dun­kel ge­wor­den, Ju­an und ich hat­ten uns mit Ker­zen im Sand nie­der­ge­las­sen, doch die Na­tur be­saß ih­re ganz ei­ge­nen Tü­cken: der Wind und die Gischt lösch­ten un­se­re Ker­zen­flam­men und die Dun­kel­heit brach­te un­ge­be­te­ne Gäs­te mit sich – Mü­cken. Wir ent­schie­den uns, den Rest des Abends im Schutz un­se­res Zel­tes zu ver­brin­gen, als uns bei­den Ar­me, Bei­ne und un­se­rem Ge­fühl nach zu ur­tei­len auch sämt­li­che an­de­re Kör­per­tei­le juck­ten. Schon kur­ze Zeit nach­dem wir es uns im Zelt ge­müt­lich ge­macht hat­ten, stan­den wir vor ei­nem ganz an­de­ren Pro­blem. Ju­ans Na­se lief und er be­kam kaum Luft, sei­ne Au­gen trän­ten und er muss­te an­dau­ernd nie­sen: sei­ne Milbenallergie.

Trotz der Tat­sa­che, dass die­se gan­ze Si­tua­ti­on ver­meid­bar ge­we­sen wä­re, wenn er sich ein­fach frü­her um sei­ne Sa­chen ge­küm­mert und sie ge­wa­schen hät­te, ver­such­te ich, ihm kei­ne Vor­wür­fe zu ma­chen. Sie nütz­ten in der Si­tua­ti­on so­wie­so nicht mehr, wür­den aber trotz­dem den Rest un­se­res Abends ruinieren.

Ei­ne Nacht vol­ler In­ti­mi­tät und Abenteuer

Ent­schlos­sen den Aus­flug zu ge­nie­ßen, mach­ten wir das Bes­te aus dem, was wir hat­ten – durch den Netz­stoff des Zelts lie­ßen wir ge­ra­de ge­nug Luft her­ein, oh­ne dass die läs­ti­gen Bies­ter, die nach un­se­rem Blut gier­ten, Zu­tritt hat­ten, Ju­an schnaub­te Ta­schen­tuch um Ta­schen­tuch voll und auf den un­glei­chen Luft­ma­trat­zen mach­ten wir es uns so be­quem wie mög­lich. An­ein­an­der ge­ku­schelt lausch­ten wir dem Wel­len­gang und der Stil­le der Na­tur und wis­per­ten Wor­te, so zart, dass der Wind sie ver­weh­te. Es war ei­ne schö­ne Nacht, vol­ler In­ti­mi­tät und dem Hauch ei­nes Abenteuers.

„Al­les Gu­te zum Ge­burts­tag“, flüs­ter­te ich ihm zu und um­arm­te ihn fest, als mein Han­dy Mit­ter­nacht anzeigte.

„Be­kom­me ich ei­nen Ge­burts­tags­kuss?“, frag­te Ju­an mit schel­mi­schem Blick und zog mich wäh­rend der Fra­ge schon an sich, um sei­ne Lip­pen auf mei­ne zu legen.

„Ich muss doch auf­pas­sen, dass mir heu­te Nacht nie­mand mei­ne mía klaut“, er­klär­te er und schlang sein Bein noch en­ger um mich. Zwar war es zu warm, um eng bei­ein­an­der zu schla­fen, doch dar­auf schien er tat­säch­lich nicht ver­zich­ten zu wol­len. Und ir­gend­wie be­rühr­te es mich tief in mei­nem In­ne­ren, dass er mich so be­schüt­zen woll­te und mei­ne Lie­be ström­te ihm nur so zu. Und ob­wohl ich nor­ma­ler­wei­se über­haupt kein Be­sitz­den­ken schät­ze, ge­fiel es mir, mich als „seins“ be­zeich­net zu hören.

Ju­an war die per­fek­te Sommerliebe

„Te quie­ro“, sag­te ich ihm – ich lie­be dich. „Ich dich auch“, mur­mel­te er zu­rück und wir bei­de san­ken in ei­nen un­ru­hi­gen Schlaf, aus dem uns früh am Mor­gen die ers­ten Son­nen­strah­len wachkitzelten.

Die Hit­ze mach­te uns trä­ge, oft­mals tra­fen wir uns abends, gin­gen zu un­se­rem Lieb­lings­ja­pa­ner, dem wir noch im­mer re­gel­mä­ßig treu wa­ren oder lie­ßen uns in ei­ner Bar von der Le­ben­dig­keit des Weins be­rau­schen. Wir ge­nos­sen un­se­re Zwei­sam­keit und die ge­mein­sa­men Stun­den, die wir vol­ler Lust und Zärt­lich­keit mit­ein­an­der ver­brach­ten, die lau­en Som­mer­aben­de, wäh­rend de­rer wir un­ter Pal­men und dem Ster­nen­dach zu le­ben schie­nen und kaum et­was an­de­res brauch­ten als uns.

Bis hier war es die per­fek­te Som­mer­lie­be ge­we­sen, ge­tränkt von Sand, der in den Schu­hen steck­te und die Fuß­soh­len kit­zel­te, von der Mee­res­bri­se und dem schumm­ri­gen Schein ein­zel­ner Ker­zen. Die Ta­ge zo­gen vor­bei wie im Flug, wäh­rend wir die im­mer glei­chen Din­ge ta­ten und der All­tags­trott sich un­be­merkt ein­schlich, um mit län­ger wer­den­den, grau­en Schat­ten nach dem Licht des Som­mers zu greifen.

Au­gust

Mei­ne Ge­dan­ken pass­ten sich dem schau­keln­den Rhyth­mus der Hän­ge­mat­te an, wäh­rend ich krampf­haft ver­such­te, mich zu ent­span­nen. Hin zu der Zeit, die wir mit­ein­an­der er­lebt hat­ten und wie­der zu­rück zu der Zeit, die uns noch blei­ben wür­de. Im­mer hin und her. Un­se­re Be­zie­hung hat­te ih­ren Ze­nit er­reicht, der Hö­he­punkt war über­schrit­ten und wir steu­er­ten un­auf­hör­lich dem En­de entgegen.

Mit je­dem wei­te­ren Tag, je­der wei­te­ren Nacht. Ge­nau 25 Näch­te blie­ben uns noch, am heu­ti­gen Abend stand uns die 26. Nacht be­vor. An die­sem so ent­schei­den­den Punkt er­laub­te ich mir, in den Er­in­ne­run­gen an die letz­ten drei Mo­na­te zu schwel­gen, sie zu ge­nie­ßen und in mein Ge­dächt­nis ein­zu­bren­nen – die Zeit, so un­ver­gess­lich wie sie ge­we­sen war, in mei­nem In­ne­ren zu archivieren.

Ich er­in­ner­te mich oft an die­se Zeit zu­rück im Au­gust, öf­ter als mir lieb ge­we­sen war und zu mei­nem Leid­we­sen auch nicht oh­ne Grund. Drei Mo­na­te hat­ten Ju­an und ich nun be­reits mit­ein­an­der ver­bracht und die Aus­wir­kun­gen wa­ren spür­bar: der glanz­vol­le Schim­mer, den die ro­sa­ro­te Bril­le der Ver­liebt­heit auf mei­ne Welt ge­zau­bert hat­te, ver­blass­te zu­se­hends. Zu­rück blieb nur der tris­te All­tag: Tau­chen, mehr tau­chen und mei­ne täg­li­chen Spanischlektionen.

Ju­an und ich ent­frem­de­ten uns mehr und mehr in Un­stim­mig­kei­ten, wäh­rend auch uns die Rea­li­tät grau­sam wie­der auf den Bo­den der Tat­sa­chen zu­rück­hol­te: all das, was wir in den ver­gan­ge­nen Mo­na­ten hin­ge­nom­men hat­ten, was uns am an­de­ren nicht ge­stört hat­te trotz all un­se­rer Un­ter­schied­lich­keit, be­gann uns nun Stück für Stück ein­zu­ho­len. Die stän­di­gen Dis­kus­sio­nen und Mei­nungs­ver­schie­den­hei­ten zerr­ten an mei­nen Ner­ven und all die klei­nen, lie­be­vol­len Ges­ten und Wor­te, die am An­fang so selbst­ver­ständ­lich von ihm ge­kom­men wa­ren, ver­schwan­den mehr und mehr.

Es war nicht mehr wie zu­vor; er sag­te mir nicht mehr, dass er mich ver­miss­te oder wie sehr er mich lieb­te, er freu­te sich nicht mehr mit der­sel­ben In­brunst auf mich und ich fühl­te mich nicht mehr so wert­ge­schätzt wie an­fangs – ganz im Ge­gen­teil: mitt­ler­wei­le gab mir sei­ne Zu­rück­hal­tung zu­wei­len so­gar eher ein Ge­fühl von Min­der­wer­tig­keit und Unzulänglichkeit.

Ir­gend­wie war ich ge­nervt und konn­te nichts genießen

Der Kü­chen­t­re­sen glänz­te be­reits, so­lan­ge schrubb­te ich schon. Ju­an und ich wa­ren ge­ra­de mit dem Es­sen fer­tig ge­wor­den und hat­ten uns wie üb­lich dar­an ge­macht, die Kü­che auf­zu­räu­men. Als ich das schmut­zi­ge Ge­schirr in die Spül­ma­schi­ne räu­men woll­te und wie so oft fest­stell­te, dass er sie seit mei­nem letz­ten Be­such nicht an­ge­rührt hat­te, be­schloss ich, die­se Auf­ga­be ihm zu­teil­wer­den zu las­sen und wid­me­te mich statt­des­sen dem Küchentresen.

Ich hör­te, wie die Kühl­schrank­tür sich öff­ne­te und Ju­an er­schien mit ei­nem Eis ne­ben mir. War­um frag­te er mich nicht, ob ich auch ei­nes woll­te? Schon war ich wie­der an­ge­fres­sen, ei­ne Stim­mung, die mo­men­tan des Öf­te­ren zwi­schen uns herrsch­te. Zwar ver­such­ten wir krampf­haft, den un­ge­zwun­ge­nen, glück­li­chen Schein auf­recht zu er­hal­ten, doch selbst wir merk­ten, dass un­se­re Zwei­sam­keit merk­lich abkühlte.

Kurz dar­auf setz­ten wir uns ne­ben­ein­an­der aufs So­fa, es war ein we­nig un­ge­müt­lich und Jack, der auf­ge­regt zwi­schen uns her­um tru­del­te, stör­te mich. Ir­gend­wie war ich ein­fach ge­nervt von al­lem und nichts schien mich mehr so mit Glück zu er­fül­len wie noch in den vor­an­ge­gan­ge­nen Mo­na­ten. Un­ru­hig rutsch­te ich hin und her, nahm mir ein Kis­sen und fand trotz­dem kei­ne be­que­me Po­si­ti­on, die mir be­hag­te. Ju­an schien da­von je­doch kei­ne No­tiz zu neh­men, er hat­te wie so oft nur Au­gen für sei­nen klei­nen Hund.

Ich wein­te hem­mungs­los und schluchz­te laut

„Ist ir­gend­was?“, frag­te er, wäh­rend er den Arm um mich leg­te. Ich schüt­tel­te ihn ab, denn ich er­trug sei­ne Nä­he ge­ra­de nicht und konn­te mich trotz der Un­sin­nig­keit mei­nes Ver­hal­tens nicht da­zu auf­raf­fen, es zu än­dern. Ver­hal­ten wis­per­te ich ein lei­ses „Nein, war­um?“ und merk­te so­gar selbst wie un­glaub­wür­dig das klang.

Er je­doch kauf­te mir das ab – ich hat­te es bei­na­he ver­ges­sen: er war im­mer­hin der Mann, der im In­ter­net die Be­deu­tung des­sen, was Frau­en mit ih­ren Aus­sa­gen wirk­lich mein­ten, goo­gel­te. Wie kli­schee­haft für ei­nen In­for­ma­ti­ker! Ich schiel­te zu ihm her­über und sah, dass er tat­säch­lich sein Han­dy ge­zückt hatte.

Schweig­sam ver­harr­te ich und kehr­te mich mei­nem In­ne­ren zu. Nach­dem wei­te­re Mi­nu­ten so ver­stri­chen wa­ren, leg­te Ju­an schließ­lich sein Han­dy zur Sei­te, sah mich an und frag­te er­neut, was los war. Un­schlüs­sig, ob ich ei­nen Tob­suchts­an­fall be­kom­men oder al­les her­un­ter­spie­len soll­te, blieb mei­ne Ant­wort mir in der Keh­le ste­cken und statt­des­sen stah­len sich Trä­nen in mei­ne Au­gen und flos­sen mei­ne Wan­gen her­ab. Ich wein­te. Hem­mungs­los und schluch­zend, wäh­rend sich der Kno­ten in mei­nem In­ne­ren lang­sam lös­te und das schlech­te Ge­fühl nach und nach von mir ab­fiel. „Was ist denn pas­siert?“ Ent­setzt blick­te Ju­an mich an. „Was ist mit dir?“

Ich schnief­te, zog die Na­se hoch und ver­such­te, ihm ei­ne Er­klä­rung zu lie­fern, die nicht den An­schein er­weck­te, ich sei geis­tes­krank oder chro­nisch an­häng­lich und auf der Su­che nach Auf­merk­sam­keit. Doch mir fehl­ten die Wor­te, um ihm klar­zu­ma­chen, dass selbst ich mein Ver­hal­ten ir­ra­tio­nal fand aber die­ses schlech­te Ge­fühl in mir trotz­dem da war und ich es nicht nie­der­kämp­fen konn­te, egal wie viel Mü­he ich mir auch gab.

Neue Pro­ble­me und da­zu schlech­ter Sex

„Ich… ich füh­le mich so schlecht“, setz­te ich an, wohl­wis­send dass es ei­ne mehr als un­zu­läng­li­che Er­klä­rung war. „War­um fragst du nicht, ob ich auch ein Eis möch­te, wenn du dir eins nimmst? Oder war­um ziehst du nicht von selbst das So­fa aus, wenn du weißt, dass ich es so un­be­quem fin­de? Ich muss dich im­mer um al­les bit­ten und das möch­te ich nicht.“

„Aber du hät­test mir doch ein­fach sa­gen kön­nen, was du möch­test“. Ver­zwei­felt und auch ei­ne Spur ver­ständ­nis­los sah er mich an. Na­tür­lich war mir klar, dass er Recht hat­te, aber auch was ich sag­te, war ein­deu­tig nicht un­wahr. „Ich zie­he jetzt das So­fa aus und da­nach ho­le ich dir ein Eis, ok? Aber hör bit­te auf zu wei­nen“, sag­te er, wäh­rend er mich an sich zog.

Nur all­zu deut­lich war mir be­wusst, dass er bloß die bes­ten Ab­sich­ten hat­te. Doch im sel­ben Mo­ment war mir eben­so klar, dass da­mit der An­fang vom En­de be­gon­nen hat­te und un­se­re Pro­ble­me mit die­sem Ver­hal­ten nicht bes­ser wer­den wür­den. Ein ech­tes, männ­li­ches Ver­hal­ten, wie es hier von­nö­ten ge­we­sen wä­re, hät­te mich zu­rück in mei­ne Schran­ken ver­wie­sen – ein Ver­hal­ten, das ge­zeigt hät­te, dass die­ser Mann ein wah­res Al­pha­tier ist, das kei­ne weib­li­chen Zi­cke­rei­en to­le­riert und sich schon gar nicht da­von be­ein­flus­sen lässt.

Auf mei­nen Un­mut ein­zu­ge­hen und ihn an­zu­er­ken­nen brach­te uns ei­ne gan­ze Men­ge neu­er Pro­ble­me ein – ein­schließ­lich schlech­te­rem Sex. Ich kann­te das be­reits von mir: so­bald ein Mann sich nicht klar durch­zu­set­zen ver­moch­te, ver­schwand mei­ne Lust auf ihn, oh­ne dass ich in der La­ge war, et­was da­ge­gen zu tun. Es war ei­ne rein in­stink­ti­ve, un­ter­be­wuss­te Reaktion.

Es folg­te die ers­te Nacht, in der wir kei­nen Sex hatten

Und das nach ei­ner gan­zen Rei­he von Näch­ten, in de­nen es im­mer schien, als könn­ten wir nicht ge­nug von­ein­an­der be­kom­men. Das Ge­fühl war er­nüch­ternd und ob­wohl mir mein Bauch­ge­fühl be­reits et­was an­de­res sag­te, hoff­te ich, dass es nur ei­ne Pha­se sein wür­de, die schnell vorüberging.

Dem war je­doch nicht so. Auf die vor­an­ge­gan­ge­nen, un­wich­ti­gen Dis­pu­te folg­ten wei­te­re, die Si­tua­ti­on fuhr sich im­mer mehr fest. Die im­mer glei­chen An­schul­di­gun­gen mei­ner­seits lös­ten im­mer ge­nerv­te­re Re­ak­tio­nen auf sei­ner Sei­te aus. Das Ge­fühl, nicht mehr ge­wollt und wert­ge­schätzt zu sein, ver­stärk­te sich, als ich im­mer grö­ße­re Ab­leh­nung durch ihn erfuhr.

Ich spiel­te mit dem Ge­dan­ken, das Pro­jekt zu be­en­den, fühl­te, dass wir bei­de im Grun­de un­se­res Her­zens ei­gent­lich nicht zu­sam­men­pass­ten, hielt mich aber je­des Mal, wenn ich kurz da­vor stand, al­les was bis­lang er­reicht war hin­zu­wer­fen, zu­rück. Im­mer wie­der er­in­ner­te ich mich selbst dar­an, dass dies das Be­stre­ben mei­nes gan­zen Pro­jek­tes ge­we­sen war: zu se­hen, wie sich ei­ne Be­zie­hung ent­wi­ckelt, wenn man sie kon­se­quent im Vor­aus auf ein hal­bes Jahr datiert.

Solch ei­ne Ent­wick­lung hat­te ich mir je­doch nicht er­träu­men las­sen – am An­fang un­se­rer Be­zie­hung hat­ten Ju­an und ich uns bei­de wie­der und wie­der die­sel­be Fra­ge ge­stellt: was wür­de pas­sie­ren, wenn kei­ner von uns im Ok­to­ber die­se Be­zie­hung wür­de be­en­den wol­len? Wie soll­ten wir re­agie­ren? Dar­über nach­ge­dacht, was ge­sche­hen wür­de, wenn kei­ner von uns die­se Be­zie­hung bis Ok­to­ber durch­hal­ten wür­de, hat­ten wir nicht ein ein­zi­ges Mal. Kei­nen Ge­dan­ken über­haupt dar­an ver­schwen­det, ob so et­was im Be­reich des Mög­li­chen lag.

Der an­de­re Mann war wie ei­ne Neu­auf­la­ge von Juan

An die­sem Punkt – was uns mit­ein­an­der ver­band, war nur noch ein Schat­ten des­sen, was ein­mal ge­we­sen war, mehr exis­tent in mei­ner Er­in­ne­rung als in der Rea­li­tät – lern­te ich Mi­guel kennen.

Mi­guel sah aus wie Ju­an: sein Haar war blond und kurz, er war klein und sei­ne Au­gen hat­ten die Far­be des Mee­res. Bei ihm fand ich die Wär­me und die Herz­lich­keit frü­he­rer Ta­ge mit Ju­an wie­der – er mach­te mir Kom­pli­men­te, schenk­te mir die we­ni­ge Zeit, die er in der tou­ris­ti­schen Hoch­sai­son als Koch er­üb­ri­gen konn­te und gab mir das Ge­fühl, rund­um ge­wollt zu sein. Er war Künst­ler, spiel­te Kla­vier und er­schien mir wie ei­ne Neu­auf­la­ge von Ju­an, ja fast wie ei­ne ver­bes­ser­te Form. Noch ge­schah nichts zwi­schen uns, aber ich dach­te viel an ihn und schloss ihn bald in mein Herz.

Von An­fang an hat­te ich Ju­an im­mer wie­der be­teu­ert, dass ge­nau die­ser Tag kom­men wür­de: der Tag, da ein neu­er Mann kom­men und mein Herz im Sturm er­obern wür­de. Je­mand, der mir aufs Neue be­stä­tig­te, wie ver­liebt ich ins Ver­liebt­sein war. Oh­ne Zwei­fel wür­de auch die­ser Mann ver­mut­lich auf Dau­er nicht an mei­ner Sei­te blei­ben, aber er wür­de ein Stück des We­ges mit mir ge­hen und für die Er­fah­run­gen, die wir ge­mein­sam teil­ten, wür­de ich ihm dank­bar sein. Je­de neue Lie­be lehr­te ei­nen im­mer ei­ne neue Le­bens­weis­heit, er­wei­ter­te die ei­ge­ne Sicht­wei­se um ein Dut­zend neu­er, klei­ner Mikrokosmen.

Wahr­heit und Schmerz wa­ren wie un­zer­trenn­li­che Brüder

Trotz­dem stell­te ich mir die Fra­ge, ob und wie ich Ju­an da­von er­zäh­len soll­te. Per­sön­lich emp­fand ich nichts be­schä­men­der als Un­auf­rich­tig­keit, ent­schied je­doch, dass ich zum jet­zi­gen Zeit­punkt noch nicht un­auf­rich­tig sein würde.

Schließ­lich war nichts pas­siert und nie­mals in un­se­rer Be­zie­hung hat­te ich ihm vor­ge­macht, dass es an­ders kom­men wür­de, dass ich nie­mals ei­nen an­de­ren Mann ne­ben ihm an mei­ner Sei­te ha­ben wür­de. Ge­nau die­ses Sze­na­rio hat­te ich ihm in un­se­ren ers­ten ge­mein­sa­men Wo­chen im­mer wie­der vor­ge­kaut, doch er hat­te nichts da­von hö­ren wol­len. Und ich wuss­te, dass die Wahr­heit ihn trotz al­lem schmer­zen würde.

Ge­gen­wär­tig hat­ten wir ge­nug drän­gen­de­re Pro­ble­me, die wir zu­erst zu über­ste­hen hatten.

Sep­tem­ber

„Ich ver­mis­se dich, mío.“ In freu­di­ger Er­war­tung auf un­ser Tref­fen heu­te Abend tipp­te ich Ju­an nach mei­nem letz­ten Tauch­gang die­se Nach­richt und schick­te nach dem Ab­schi­cken noch schnell ei­nen Kuss­mund hinterher.

Ich freu­te mich tat­säch­lich heu­te sehr auf ihn, was in letz­ter Zeit nicht un­be­dingt selbst­ver­ständ­lich ge­we­sen war. Zu oft wa­ren wir uns auf die Ner­ven ge­gan­gen und ich hat­te mich emo­tio­nal in an­de­re Be­kannt­schaf­ten ge­flüch­tet. Ich lern­te gern neue Leu­te ken­nen, be­son­ders wenn es mich von mei­nen an­de­ren Pro­ble­men ab­zu­len­ken vermochte.

Heu­te je­doch woll­te ich bei ihm sein, mit ihm im Ki­no aus der­sel­ben Pop­corn­tü­te es­sen und in sei­nen Ar­men einschlafen.

„Um halb acht vor dem Ki­no?“, kam sei­ne Ant­wort zurück.

Zur ver­ab­re­de­ten Zeit war von Ju­an selbst­ver­ständ­lich noch nichts zu se­hen. Nach wasch­ech­ter Spa­nier­ma­nier kam er zu spät und ich ent­schied mich, wäh­rend ich auf ihn war­te­te, schon ein­mal die Kar­ten zu besorgen.

Auf der In­sel kann­ten sich ir­gend­wie alle

Al­ler­dings er­war­te­te mich am Kar­ten­schal­ter ei­ne an­de­re, nicht min­der span­nen­de Be­geg­nung: Pe­dro, der Mann mei­nes al­ler­ers­ten spa­ni­schen Be­zie­hungs­ver­su­ches. Er stell­te sei­ne üb­li­che, eher di­stan­zier­te Mie­ne zur Schau und trug – eben­falls ty­pisch für ihn – Jeans und Hemd. Un­ser Wie­der­se­hen war nicht all­zu herz­lich, die Span­nung un­se­rer letz­ten Tref­fen war je­doch auch ver­flo­gen und ich nahm kei­nen Groll zwi­schen uns wahr. Wäh­rend wir war­te­ten, spra­chen wir über die Er­eig­nis­se, die zu un­se­rer Tren­nung ei­ni­ge Mo­na­te zu­vor ge­führt hat­ten und ich ge­wann er­staun­li­che Ein­bli­cke: Pe­dro hat­te durch ei­nen Ar­beits­kol­le­gen, ei­nen Freund Ju­ans, er­fah­ren, was an un­se­rem ers­ten Abend zwi­schen Ju­an und mir pas­siert war. Ei­nem Abend, an dem er mich tref­fen woll­te und ich ihn ver­trös­tet hatte.

Spä­ter zu er­fah­ren, was sei­ne Freun­din, oh­ne sein Wis­sen ge­tan hat­te und zu be­mer­ken, dass selbst die Ar­beits­kol­le­gen schon in­for­miert ge­we­sen wa­ren, wur­de ihm dann schließ­lich doch zu viel. Und da­für hat­te ich volls­tes Verständnis.

Ei­ne Stim­me in mei­nem Hin­ter­kopf merk­te je­doch trotz­dem an, wie es denn sein konn­te, dass die­ser Freund Ju­ans be­reits am nächs­ten Mor­gen jeg­li­che De­tails des­sen, was pas­siert war, kann­te und frag­te gleich­zei­tig, was die­ser Mann in der Zwi­schen­zeit wohl noch al­les er­fah­ren hat­te. Ich ent­schul­dig­te mich auf­rich­tig bei Pe­dro für die Er­eig­nis­se und ver­si­cher­te ihm, dass es nie­mals mei­ne Ab­sicht ge­we­sen war, ihn der­art bloßzustellen.

Wäh­rend ich mit ge­senk­tem Blick und noch voll­kom­men in Ge­dan­ken durch die Tür des Ki­nos her­aus­trat, in der ei­nen Hand mein Han­dy, auf dem ich ge­ra­de ei­ne Nach­richt an Ju­an ein­tipp­te, und in der an­de­ren un­se­re Ki­no­kar­ten, lief ich auf ein­mal fron­tal mit je­man­dem zu­sam­men, der mir, oh­ne dass ich ihn vor­her wahr­ge­nom­men hat­te, plötz­lich in den Weg ge­tre­ten war.

Ein Streit en­det bei mir erst mit gu­tem Sex

„Hal­lo“, sag­te er mit ei­nem Lä­cheln. Ich ant­wor­te­te dar­auf wie stets eben­falls mit ei­nem ko­ket­ten „hal­lo“ mei­ner­seits. Wir muss­ten bei­de lä­cheln. „Ich ha­be dich ver­misst“, sag­te ich in ei­nem An­flug von Sen­ti­men­ta­li­tät und drück­te ihn an mich.

„Weißt du, manch­mal ha­be ich das Ge­fühl, du liebst mich mehr als dir gut tut. Du soll­test mich nicht stän­dig ver­mis­sen, wenn du dich schlecht da­mit fühlst. “

Ich ver­dreh­te die Au­gen. „Na gut“, dach­te ich. „Dann wer­de ich dir eben nicht mehr zei­gen, was ich für dich emp­fin­de.“ Die stän­di­ge Un­zu­frie­den­heit über mei­ne Ge­fühls­äu­ße­run­gen, die er an den Tag leg­te, nerv­te mich eben­so wie dass kaum je et­was von ihm zu­rück­kam. Das The­ma hat­te in der letz­ten Wo­che ge­nug un­se­rer Zeit in An­spruch genommen.

„Du weißt, dass un­ser Streit noch nicht bei­gelegt ist, oder?“ Ich grins­te ihn an. „Bei mir en­det Streit ganz of­fi­zi­ell im­mer erst dann, wenn man Sex mit­ein­an­der hat­te. Dann erst ist man auch tat­säch­lich wie­der voll­kom­men mit­ein­an­der im Reinen.“

Er grins­te breit zu­rück, sag­te aber nichts wei­ter da­zu, er­griff je­doch mei­ne Hand.

„Lass uns rein­ge­hen, der Film be­ginnt gleich.“ Er zog mich mit sich. Schon kur­ze Zeit spä­ter mach­ten wir es uns – mit ei­ner Tü­te Pop­corn in un­se­rer Mit­te – in den Ki­no­ses­seln ge­müt­lich. Das Licht wur­de ge­dimmt und die Vor­stel­lung fing an. Wäh­rend die Wer­bung ge­zeigt wur­de, ka­men die letz­ten Zu­schau­er in den Saal. Selbst­ver­ständ­lich war es auch hier kein Pro­blem zu spät zu kom­men, eben­so wie es voll­kom­men un­pro­ble­ma­tisch war, dass sich nicht ei­ner der Ver­spä­te­ten ru­hig und mög­lichst un­auf­fäl­lig verhielt.

In der Dun­kel­heit des Ki­nos ka­men wir uns schnell näher

Ju­an und ich fass­ten gleich­zei­tig nach dem Pop­corn und bei­na­he stie­ßen wir da­bei die Tü­te her­un­ter. Ki­chernd fing ich sie auf und er beug­te sich zu mir her­über, gab mir ei­nen Kuss, nahm mei­ne Hand in sei­ne und zog mich nä­her an sich. Ich lehn­te mei­nen Kopf an sei­ne Schul­ter und ge­noss den Film, den Abend mit ihm und sei­ne Nä­he. Zu­hau­se an­ge­kom­men mach­te ich mei­ne An­kün­di­gung wahr. Bei­na­he noch wäh­rend wir über die Tür­schwel­le gin­gen, be­gann ich, ihn zu pro­vo­zie­ren. Er re­agier­te dar­auf in ähn­li­cher Wei­se, zog mich an sich, küss­te mich lei­den­schaft­lich und be­gann un­ver­züg­lich zu flu­chen, als ich ihn in die Lip­pe biss. Zwi­schen uns ent­wi­ckel­te sich ein rich­ti­ges Ge­fecht, wir fin­gen an, uns zu be­lei­di­gen, uns all das ge­gen­sei­tig an den Kopf zu wer­fen, was uns an dem an­de­ren auf die Ner­ven ging und was wir seit Ta­gen oder gar schon Wo­chen nicht rich­tig raus­ge­las­sen hatten.

Noch wäh­rend­des­sen fin­gen wir an, mit­ein­an­der zu schla­fen, lei­den­schaft­lich, mit ei­ner In­nig­keit und zu­gleich ei­ner Grob­heit, wie sie nur Leu­ten in­ne war, die tat­säch­lich noch nicht im Rei­nen mit­ein­an­der wa­ren. Wir fie­len über­ein­an­der her, wie­der und wie­der, bis wir end­lich er­schöpft und jen­seits je­den Grolls ne­ben­ein­an­der, Arm in Arm auf dem Bo­den la­gen und uns aneinanderkuschelten.

Ein Brat­hähn­chen zum Frühstück?!

„Jetzt sind wir wahr­haf­tig ver­söhnt“, brumm­te ich ihm mit ei­nem woh­li­gen Lä­cheln zu und leg­te den Kopf an sei­ne Brust. „Lass uns schla­fen gehen.“

„Ja, Jack, komm her zu Pa­pi!“ Ju­an rief nach sei­nem Hund, wäh­rend ich mich an den Kü­chen­tisch setzte.

Ju­an tät­schel­te sei­nem Hund, der ge­nüss­lich an­fing zu sab­bern, den Kopf und hol­te ein gro­ßes Stück Hähn­chen aus dem Kühl­schrank. Ge­ra­de als ich et­was dar­über sa­gen woll­te, wie ab­ar­tig Hähn­chen zum Früh­stück sei, be­griff ich, was er da­mit vor­hat­te und wuss­te nicht so recht, ob ich das nun als die bes­se­re oder noch schlim­me­re Va­ri­an­te des­sen emp­fand, das Hähn­chen selbst zum Früh­stück zu verspeisen.

Mit ei­nem lau­ten Platsch lan­de­te das Hähn­chen auf dem Bo­den und der Hund be­gann so­gleich, sich schwanz­we­delnd dar­über herzumachen.

Ich set­ze an, et­was zu sa­gen, wur­de je­doch von den lau­ten Schmatz­ge­räu­schen Jacks über­tönt. Ich un­ter­nahm ei­nen wei­te­ren Ver­such, doch die­ses Mal kam mir Ju­an in die Quere.

„Komm wir müs­sen los. Ich kom­me schon wie­der zu spät zur Arbeit.“

Ein schwa­cher Ab­klatsch, aber ein ganz schwacher

„Was hast du ge­macht in den letz­ten Ta­gen?“ Wir mach­ten ge­ra­de ei­nen Spa­zier­gang und Ju­an blick­te neu­gie­rig zu mir her­über. „Ach, na­ja ich bin viel ge­taucht, hab mei­ne Spa­nisch­stun­den in mei­nem On­line­kurs ab­ge­ar­bei­tet und ha­be mit ei­ner Freun­din ge­kocht. Und du?“ Den gest­ri­gen Abend the­ma­ti­sier­te ich ab­sicht­lich nicht. Noch im­mer er­füll­te die Er­in­ne­rung dar­an mich mit Un­glau­ben: Mi­guel und ich wa­ren in ei­nem neu­en Su­shi-Re­stau­rant im Aus­geh­vier­tel Pal­mas ge­we­sen; der Abend ver­lief gut und ich hat­te nicht ei­nen Ge­dan­ken an Ju­an ver­schwen­det, bis die­ser mir ur­plötz­lich sei­nen Stand­ort schickte.

Er war ge­nau drei Häu­ser wei­ter bei ei­nem Ita­lie­ner und war ge­ra­de eben an un­se­rem Re­stau­rant vor­bei­ge­kom­men. Ob­gleich ich nichts Ver­bo­te­nes ge­tan hat­te, dank­te ich dem Schick­sal, dass al­le Fens­ter­plät­ze be­legt ge­we­sen wa­ren, als wir an­ka­men. So sa­ßen wir in ei­nem Se­pa­ree, das von der Stra­ße aus un­ein­seh­bar ge­we­sen war.

Er er­zähl­te mir von sei­ner Ar­beit, dem Fei­er­abend­bier mit sei­nen Kum­pels und… dem Date, das er am vor­an­ge­gan­gen Abend ge­habt hat­te. Ich starr­te ihn un­gläu­big an. Na­tür­lich lag es nicht im Ent­fern­tes­ten im Be­reich mei­ner Mög­lich­kei­ten, mein Miss­fal­len dar­über aus­zu­drü­cken, zu­dem er sich auch noch als aus­ge­spro­chen ehr­lich er­wies, doch nie hät­te ich mir träu­men las­sen, dass er an ei­ner an­de­ren in­ter­es­siert sein könn­te. Nicht nach­dem er mir so oft be­teu­ert hat­te, dass er nur mich woll­te, dass ich ihm ge­nug sei, dass er mich nie wie­der ge­hen las­sen würde.

Doch mir schien als wä­re das in ei­ner an­de­ren, glück­li­che­ren Zeit ge­we­sen. Was üb­rig ge­blie­ben war, war nur noch ein schwa­cher Ab­klatsch des herr­li­chen Som­mers: die Hit­ze hat­te das Gras ver­sengt und ver­dor­ren las­sen und über­all man­gel­te es an dem Was­ser, was für al­les so le­bens­wich­tig war. Es fehl­te ein­fach an al­len Ecken und En­den. Und ich spür­te, dass auch uns ganz deut­lich et­was fehlte.

Er er­zähl­te mit Freu­den von der an­de­ren Frau

„Sie ist Ru­mä­nin“, er­zähl­te er fröh­lich. Ich sah ihm an, dass der Ge­dan­ke an sie ihn in Auf­re­gung ver­setz­te, wie ich es nicht mehr ver­moch­te. „Mei­ne Mut­ter hat den Kon­takt zwi­schen uns her­ge­stellt. Sie ist neu bei der Ar­beit. Und stell dir nur ein­mal vor, sie spricht per­fek­tes Spa­nisch und auch noch mal­lor­quin! Ih­re Fa­mi­lie ist hier­her­ge­kom­men, da war sie 16, sie hat ihr Ab­itur ge­macht und so­gar hier stu­diert. Üb­ri­gens ist sie In­for­ma­ti­ke­rin, ge­nau wie ich.“

„Wow“, dach­te ich. Die Frau hat­te es ihm ganz schön an­ge­tan. Der Ge­dan­ke, der je­doch viel mehr schmerz­te war, dass sie of­fen­sicht­lich die per­fek­te­re Ver­si­on von mir war: sie sprach spa­nisch, be­herrsch­te die lo­ka­le Spra­che noch da­zu und stu­diert hat­te sie auch, wäh­rend ich ge­ra­de bloß ein Psy­cho­lo­gie­fern­stu­di­um ab­sol­vier­te. Nicht zu ver­nach­läs­si­gen war da­bei die Tat­sa­che, dass auch sie Aus­län­de­rin war; und Ju­an stand sehr auf exo­ti­sche Frau­en. Das Ge­fühl, er­setzt zu wer­den, durch­ström­te mich heiß und form­te sich in mei­ner Keh­le zu ei­nem be­drän­gen­den Klum­pen. Wie­der ein­mal stand mir klar vor Au­gen, dass ich ihm nicht mehr gut ge­nug war, nicht mehr ausreichte.

„Ich ha­be ges­tern auch je­man­den ge­trof­fen“, er­klär­te ich und sah vol­ler Freu­de, dass sich auch auf sei­nem Ge­sicht Be­trof­fen­heit ab­zeich­ne­te. Auch wenn ich es ver­ach­te­te, gab es mir ein scha­den­fro­hes Ge­fühl, als ich merk­te, dass auch er ge­kränkt war. Er schien die­sel­ben Emp­fin­dun­gen zu durch­lau­fen wie ich: auch Ju­an er­kann­te in sei­nem Wi­der­sa­cher die bes­se­re Form sei­ner selbst.

Man­che sind ängst­lich – ich war es je­den­falls nicht

„Wirst du sie wie­der­se­hen?“, frag­te ich nach ei­ner Wei­le. „Ich den­ke schon.“ Sei­ne Ant­wort kam zö­ger­lich. „Sie könn­te ei­ne rich­ti­ge Freun­din für mich sein. Du weißt schon, je­mand, mit dem ei­ne nor­ma­le Be­zie­hung mög­lich ist. Je­mand, der mit mir zu­sam­men alt wer­den wür­de. Ich möch­te nicht, wenn ich alt und grau bin, al­lein in mei­nem Schau­kel­stuhl zu­hau­se sit­zen, ver­stehst du mich?“ „Ja.“ Mei­ne Ant­wort klang stark und klar, stär­ker als ich mich in die­sem Mo­ment fühl­te. Doch es stimm­te, ich ver­stand ihn tat­säch­lich. Nur teil­te ich die­se Angst nicht. Ich war zu­ver­sicht­lich, dass es im­mer Men­schen in mei­nem Le­ben ge­ben wür­de, denn ich ver­trau­te auf das Universum.

Schwei­gend blick­te ich auf mein Han­dy. Mei­ne Nach­richt war vor 20 Mi­nu­ten ver­schickt wor­den, ins­ge­samt war­te­te ich schon seit fast 40 Mi­nu­ten auf ei­ne Ant­wort und Ju­an hat­te noch kei­ne mei­ner drei Nach­rich­ten be­ant­wor­tet. Ge­schwei­ge denn ge­le­sen, ob­wohl er im­mer wie­der on­line ge­we­sen war. Al­so steck­te ich mir die Kopf­hö­rer in die Oh­ren, leg­te mich in die Son­ne, be­gann ein Hör­buch zu hö­ren und ver­such­te, mich zu ent­span­nen. Dem Spa­ni­er war mit sei­nem Zeit­ma­nage­ment so­wie­so nicht bei­zu­kom­men! Und schließ­lich war ich kei­ne die­ser su­per­ner­vi­gen Freun­din­nen, die al­le zwei Mi­nu­ten ei­ne Nach­richt an ih­ren Freund schreibt, auch wenn er of­fen­sicht­lich ge­ra­de nicht ant­wor­ten wollte.

Die spa­ni­sche Spra­che war Aus­lö­ser und Antreiber

Doch heu­te ließ er sich wirk­lich Zeit und lang­sam aber si­cher wur­de ich un­ge­dul­dig. Es war be­reits kurz nach fünf und er hat­te im­mer noch nicht auf mei­ne Fra­ge, ob er mich um sechs ab­ho­len woll­te, ge­ant­wor­tet. Schließ­lich frag­te ich ihn: „Hast du über­haupt Lust, mit mir auf die Par­ty zu ge­hen?“. Wir wa­ren bei mei­ner Freun­din, Tan­ja, zum Gril­len ein­ge­la­den wor­den. Kom­men wür­den nur Leu­te, die sehr gu­tes Spa­nisch spra­chen oder aber eben selbst Spa­ni­er wa­ren und so hat­te sie mir an­ge­bo­ten, Ju­an mit­zu­brin­gen, wor­auf­hin ich freu­dig ein­ge­wil­ligt hatte.

Plötz­lich summ­te mein Han­dy und end­lich hat­te ich ei­ne Ant­wort von Ju­an: „Ja. Fah­re jetzt los.“ Was war denn nur los mit ihm? „Ist ir­gend­was?“, ant­wor­te­te ich. Doch na­tür­lich kam kei­ne Ant­wort. Ich mach­te mich al­so fer­tig, ver­such­te, die ge­nerv­te Stim­mung zu ver­trei­ben, wohl­wis­send, dass es mal wie­der an mir sein wür­de, ihm mit ei­nem Lä­cheln gegenüberzutreten.

Mit ei­nem freund­li­chen „Hal­lo, mío“, stieg ich in sein Au­to ein und drück­te ihm ei­nen di­cken Kuss auf die Wan­ge. Sei­ne Mie­ne war reg­los und er blick­te mich starr an. „Hal­lo“, sag­te er. Mehr nicht. In­ner­lich seufz­te ich und sehn­te mich zu­rück zu den gu­ten, al­ten Zei­ten, schwelg­te in Er­in­ne­run­gen dar­an, wie es ein­mal ge­we­sen war und ver­such­te, mich da­von ab­zu­hal­ten, dass mei­ne Ge­dan­ken un­will­kür­lich zu ei­nem an­de­ren husch­ten – ei­nem, des­sen Ge­sicht zu strah­len be­gann, wenn er mich sah.

Stress und Vor­wür­fe wa­ren kei­ne Lö­sung in un­se­rem Streitgespräch

Ei­ni­ge Mi­nu­ten lang schwie­gen wir uns an und die Stil­le zwi­schen uns wur­de im­mer drü­cken­der. „Was ist denn los?“, frag­te ich ihn er­neut, auf­rich­tig dar­um be­müht, die Si­tua­ti­on ir­gend­wie zu ret­ten und das un­er­träg­li­che Schwei­gen, das uns ein­an­der ent­frem­de­te, zu ban­nen. „Was los ist?“, platz­te er auf ein­mal her­aus und ich be­kam schon bei die­ser kur­zen Fra­ge ein schlech­tes Ge­wis­sen – ob­wohl ich nicht ein­mal et­was ge­tan hat­te. Er klang so vor­wurfs­voll. „Ich ha­be den gan­zen Tag ge­ar­bei­tet, bin dann zu mei­ner Oma zum Mit­tag­essen ge­fah­ren, ha­be schnell 10 Mi­nu­ten mit mei­ner Mut­ter ge­spro­chen, ha­be aus der bes­ten Bä­cke­rei des Vier­tels Nach­tisch für die Par­ty heu­te Abend ge­holt und muss­te dann nach Hau­se het­zen, um zu du­schen, be­vor ich dich tref­fe. Und in der gan­zen Zeit hast du nichts Bes­se­res zu tun, als rum­zu­stres­sen und mir Vor­wür­fe zu ma­chen und mir dann auch noch vor­zu­wer­fen, dass ich gar nicht mehr hin­ge­hen möch­te, nur weil ich zu be­schäf­tigt war, um zu antworten?“

Ent­setzt schluck­te ich. Und noch ein­mal. Wäh­rend das säu­er­li­che Ge­fühl ei­nes er­neu­ten Streits in mir auf­kam. „Im­mer wie­der, je­den Tag aufs Neue“, schoss es mir durch den Kopf. Be­dacht at­me­te ich durch. „So ha­be ich das doch gar nicht ge­meint“, er­wi­der­te ich. „Ich woll­te le­dig­lich wis­sen, ob du noch Lust hast hin­zu­ge­hen. Das war nicht bö­se ge­meint. Du musst bei sol­chen Din­gen et­was Nach­sicht mit mir haben.

Die ganz fei­nen Nu­an­cen der Spra­che be­herr­sche ich eben nicht so wie du. Aber das weißt du doch.“ Wie­der ein­mal war mir schmerz­lich be­wusst, dass ich noch nicht an dem Punkt an­ge­langt war, an dem ich sein woll­te, falls ich ihn denn je­mals er­rei­chen wür­de. Und lei­der kris­tal­li­sier­te sich auch ge­nau die­ser fei­ne Un­ter­schied im­mer wie­der zu ei­nem ech­ten Pro­blem her­aus. Wie oft es doch im­mer an den klei­nen Din­gen schei­ter­te. Nicht nur in der Spra­che, son­dern auch im Leben.

Mit Ei­fer­sucht konn­te ich noch nie gut umgehen

„Lass gut sein“, sag­te Ju­an, der mir nun schein­bar auch mei­ne be­drück­te Mie­ne an­sah. „Wo geht’s lang zu Tanja?“

Die Par­ty war schon in vol­lem Gan­ge, als wir an­ka­men. Im­mer­hin hat­ten wir uns auf­grund des gan­zen Tru­bels auch nicht un­we­sent­lich ver­spä­tet und wa­ren an­dert­halb Stun­den nach der ge­plan­ten Zeit an­ge­kom­men. Kaum wa­ren wir aus dem Au­to aus­ge­stie­gen, da lief uns die Gast­ge­be­rin auch schon in der für sie so ty­pi­schen quir­li­gen Art und Wei­se ent­ge­gen. Ich moch­te Tan­ja sehr. Im Ge­gen­satz zu den meis­ten an­de­ren Men­schen in mei­nem Um­feld ver­stand sie mei­ne Le­bens­wei­se nicht nur vor­treff­lich, ja sie teil­te so­gar vie­le mei­ner Pro­ble­me und Sor­gen. Auch sie steck­te im­mer wie­der in der ver­zwick­ten Si­tua­ti­on, ei­nem Mann be­greif­lich zu ma­chen, dass er nicht auf ewig der Ein­zi­ge blei­ben wür­de, kann­te die An­schul­di­gun­gen und Vor­wür­fe, die Ei­fer­sucht mit sich brach­te. Auf die­se Wei­se wa­ren wir uns sehr na­he und bei­na­he zu so et­was wie Ver­bün­de­ten ge­wor­den; wir teil­ten qua­si das Le­ben der je­weils an­de­ren. Ja, wir wa­ren die, die au­ßer­halb der Ma­trix lebten.

Wir ge­sell­ten uns zu den an­de­ren Gäs­ten und dank Tan­jas au­ßer­or­dent­li­chem Ge­schick, Leu­te mit­ein­an­der ins Ge­spräch zu brin­gen, kann­ten wir bald die gan­ze Ge­sell­schaft. Mit fast je­dem der An­we­sen­den trank ich ein Gläs­chen, hör­te mir lus­ti­ge Ge­schich­ten aus der spa­ni­schen Com­mu­ni­ty an und er­freu­te mich an den neu­en Be­kann­ten. Je spä­ter es wur­de, des­to lus­ti­ger wur­den die Wit­ze und des­to hei­te­rer die Stim­mung. Es wur­de ge­flir­tet, man fand sich zu Grüpp­chen zu­sam­men und die Hei­ters­ten un­ter uns ta­ten das, was Be­trun­ke­ne eben so tun.

Ju­an hat­te nach­ge­dacht und Re­de­be­darf angemeldet

„Mit wem bist du noch­mal hier?“, frag­te mich der Spa­ni­er, mit dem ich mich ge­ra­de un­ter­hielt. Wie ich war er Tau­cher und wir wa­ren ge­ra­de in­mit­ten ei­ner an­ge­reg­ten Dis­kus­si­on über die bes­ten Tauch­plät­ze Mal­lor­cas. Su­chend blick­te ich mich um. „Mit mei­nem Freund“, ant­wor­te­te ich, „ich soll­te mal schau­en, wo er ist. Wir se­hen uns nach­her si­cher noch­mal“. Ich stand auf und merk­te, dass das letz­te Glas Wein mein Gleich­ge­wicht doch et­was an­ge­schla­gen hat­te und ki­cher­te in mich hin­ein. Leicht schwan­kend be­gab ich mich auf die Su­che nach Ju­an und fand ihn schließ­lich auf ei­nem Ses­sel et­was ab­seits der anderen.

„Hal­lo mío, hier bist du ja“, sag­te ich gut ge­launt, ließ mich in den Ses­sel ne­ben ihm plump­sen und lehn­te mich ge­gen ihn. Er rühr­te sich kaum, wand­te mir schließ­lich doch den Kopf zu und sah mich mit ei­nem me­lan­cho­li­schen, nach­denk­li­chen Blick an, der auf ei­nen Schlag na­he­zu all mei­ne Schwin­del­ge­füh­le und auch mei­ne be­seel­te Stim­mung vertrieb.

„Ich ha­be nach­ge­dacht“, mur­mel­te er, „dar­über, was wohl aus uns wird.“

„Du weißt ge­nau, was ich möch­te“, ent­geg­ne­te ich entschlossen.

In­ner­lich zer­ris­sen fühl­te ich mich schon jetzt

„Ja und ge­nau das ist mein Pro­blem. Du und ich sind grund­ver­schie­den. Ich brau­che kla­re Struk­tu­ren. Je­man­den, der mir Ge­wiss­heit ge­ben kann, dar­über wer ich bin und was ich ihm be­deu­te. Der al­lein zu mir ge­hört. Und der nur mich liebt.“

Den letz­ten Satz sprach er so lei­se, dass ich mir nicht si­cher war, ob er über­haupt da­für be­stimmt ge­we­sen war, dass ich ihn hör­te. In mir kroch wie­der die­ses ko­mi­sche, be­klem­men­de Ge­fühl hoch, dass wir schon da­bei wa­ren, uns von­ein­an­der zu ent­fer­nen, ob­wohl un­se­re Zeit noch gar nicht ab­ge­lau­fen war. Und das trieb mir ur­plötz­lich die Trä­nen in die Au­gen, ent­fach­te in mir ein so star­kes Ge­fühl in­ner­li­cher Zer­ris­sen­heit, dass ich nicht an­ders konn­te, als auf sei­nen Schoß zu klet­tern und mich in sei­ne Ar­me zu ku­scheln, mein Ge­sicht an sei­nen Hals zu schmie­gen und sei­nen Ge­ruch tief ein­zu­at­men, wäh­rend ich lei­se vor mich hin wein­te und er mir den Rü­cken streichelte.

So sa­ßen wir dort ei­ne gan­ze Wei­le, bald schon tru­del­ten an­de­re Gäs­ten mit ih­ren Sekt­glä­ser und Frucht­gum­mis bei uns ein und hol­ten uns aus un­se­rer ei­ge­nen, klei­nen Welt zu­rück, doch ich moch­te mich noch nicht von ihm lö­sen – konn­te es nicht.

„Hey He­ra, trink noch ei­nen Sekt mit mir.“ Tan­ja stand ne­ben mir, lä­chel­te mich an und ich kam von Ju­ans Schoß her­un­ter, setz­te mich ne­ben ihn und lang­sam ge­hör­te ich wie­der zum Par­ty­ge­sche­hen. Ich scherz­te, ich trank und ich lach­te auch. Was pas­siert war, ver­gaß ich vor­erst. Ich woll­te nicht dar­über nachdenken.

Ei­ne Ver­ab­schie­dung oh­ne zärt­li­che Berührungen

Ju­an hielt vor dem Weg zu mei­nem Haus, stell­te den Mo­tor ab und sah mich an.

„Dann al­so gu­te Nacht“, sag­te er, sah mich ei­nen Mo­ment lang an, lehn­te dann den Kopf zu­rück an die Stüt­ze und schloss die Au­gen. Er woll­te of­fen­kun­dig, dass ich nun ausstieg.

„Gu­te Nacht“, mur­mel­te ich lei­se, stieg aus und ging oh­ne ein wei­te­res Wort und oh­ne zu­rück­zu­schau­en in Rich­tung Haus. Er ließ den Mo­tor an und das Ge­räusch er­klang laut in der Stille.

Ich ver­krampf­te mich, blieb vor der Haus­tür ste­hen und lausch­te, wie der röh­ren­de Mo­tor lang­sam ver­klang, wäh­rend das Au­to auf die Stra­ße fuhr und sich ent­fern­te. So hat­ten wir uns noch nie von­ein­an­der ver­ab­schie­det – so kühl, oh­ne Zärt­lich­keit und be­reits mei­len­weit von­ein­an­der ent­fernt; wenn auch nur in un­se­ren Köpfen.

Ich zog mein Te­le­fon aus der Ho­sen­ta­sche. Mei­ne Fin­ger zit­ter­ten et­was und mit fah­ri­gen Be­we­gung ent­sperr­te ich es und tipp­te Ju­ans Num­mer ein. Es klin­gel­te vier­mal be­vor er abnahm.

„Komm zu­rück. Es fühlt sich falsch an, so aus­ein­an­der­zu­ge­hen. Die­se Art von Ab­schied möch­te ich mit dir nicht ha­ben – niemals.“

Ju­an drück­te mich fest an sich

Ich konn­te nicht ver­hin­dern, dass mir beim letz­ten Satz die Stim­me ein we­nig zu zit­tern be­gann und wä­re ich nicht so auf­ge­wühlt ge­we­sen, hät­te ich mich ver­mut­lich dar­über ge­är­gert, mich so we­nig im Griff zu ha­ben. „Ja, ich kom­me zu­rück“, war sei­ne knap­pe Ant­wort und er leg­te auf.

Als er wie­der die Auf­fahrt ent­lang ge­fah­ren kam, stand ich be­reits dort und er­war­te­te ihn. Er schal­te­te den Mo­tor ab, öff­ne­te sei­ne Tür und kam lang­sam auf mich zu. Ir­gend­et­was an der Art wie er mir ent­ge­gen­ging be­rei­te­te mir Un­be­ha­gen und das Ge­fühl, dass et­was nicht in Ord­nung war, ließ sich ein­fach nicht ver­trei­ben. Sei­ne Mie­ne war un­durch­dring­lich als er mich in den Arm nahm. Ich drück­te mich an ihn und ver­such­te, in die­ser Um­ar­mung et­was von ih­rer frü­he­ren Wär­me wie­der­zu­fin­den. Doch Ju­an leg­te nur sei­ne Ar­me um mich, schmieg­te sei­nen Kopf an mei­nen und lös­te sich gleich wie­der von mir.

„Du soll­test schla­fen ge­hen. Du siehst mü­de aus.“ Er tät­schel­te mir den Rü­cken und gab mir ei­nen Kuss, dann wand­te er sich zum Ge­hen und stieg wie­der in sein Au­to. Er schloss die Tür, star­te­te den Mo­tor und hob ei­ne Hand zum Gruß. Ich sah ihm nach, wie er wen­de­te und die Stra­ße ent­lang weg­fuhr. Ei­ni­ge Mi­nu­ten blieb ich ste­hen und blick­te dort­hin, wo sein Au­to ver­schwun­den war, wäh­rend ich kei­nen kla­ren Ge­dan­ken fas­sen und nur die­sem un­gu­ten Ge­fühl in mei­nem Ma­gen nach­spü­ren konn­te, das sich zu ei­nem im­mer di­cke­ren Kloß verdichtete.

Ich hat­te ei­nen Kloß im Hals, ei­nen echt fetten

Schweiß­ge­ba­det wach­te ich auf. Ein Blick auf den We­cker ver­riet mir, dass es erst 3.14 Uhr war. Ich hat­te al­so ge­ra­de mal zwei Stun­den ge­schla­fen – das Ein­schla­fen war mir na­he­zu un­mög­lich er­schie­nen, die gan­ze Zeit hat­te ich an Ju­an und sein merk­wür­di­ges Ver­hal­ten den­ken müs­sen, mich ge­fragt, ob ich nun schon viel zu früh al­les ka­putt ge­macht hat­te und Angst ge­habt, ihn zu ver­lie­ren. Ei­ne Angst, die mich auch jetzt nicht los­ließ. Ich spür­te, wo sie saß, tief in mei­nem Kör­per, un­ter mei­nem Brust­bein. Sie schnür­te mir den Brust­korb zu, er­schwer­te mir das At­men und er­füll­te mich kon­ti­nu­ier­lich mit ei­ner un­bän­di­gen, sich im­mer wei­ter aus­brei­ten­den Be­klem­mung. Sie be­rei­te­te mir ei­nen kör­per­li­chen Schmerz, ein be­stän­di­ges Ste­chen, sie ver­fes­tig­te den Kloß in mei­nem Bauch, so dass er mir wie ein Stein im Ma­gen lag.

Mein ers­ter Griff ging zu mei­nem Te­le­fon. Kei­ne neue Nach­richt von Ju­an. Was hat­te ich auch an­de­res er­war­tet? Er hat­te sich nicht mehr ge­mel­det, seit er mich nach Hau­se ge­fah­ren hat­te. Ich tipp­te ei­ne Nach­richt ein, bat ihn dar­um, dass wir uns am nächs­ten Tag di­rekt se­hen konn­ten. Et­was stimm­te nicht, das spür­te ich. Mein gan­zer Kör­per wuss­te es. Und ich wür­de nicht eher Ru­he fin­den, be­vor ich wuss­te, dass al­les wie­der gut wer­den wür­de, nicht be­vor ich wuss­te, dass er im­mer noch mein war.

Er woll­te mich se­hen und ich ihn – 's pass­te also!

Ich stand auf, lief rast­los um­her und trank schließ­lich ein Glas Was­ser. Ich ver­such­te, ru­hig und kon­trol­liert zu at­men, den Schmerz, der in mir war, wie­der auf­zu­lö­sen und mich zu be­ru­hi­gen. Un­ru­hig wälz­te ich mich in den La­ken und hin und wie­der dös­te ich ein, nur um kurz dar­auf wie­der zu er­wa­chen. Die Angst trieb mich, sie hielt mich wach und sie er­mat­te­te mich, doch gna­den­los ver­sag­te sie mir den Schlaf. Im­mer wie­der schau­te ich auf mein Te­le­fon, war­te­te un­ge­dul­dig auf sei­ne Ant­wort. Die Er­lö­sung kam früh mor­gens um halb sechs und für mich doch ei­gent­lich viel zu spät.

„Si“, schrieb er mir, als Ant­wort auf die Fra­ge, ob wir uns se­hen könn­ten. Es war ge­ra­de mal halb acht, doch ich pack­te im Hand­um­dre­hen ei­ni­ge wich­ti­ge Sa­chen ein, setz­te mich ins Au­to und fuhr los. Ich war mir nicht si­cher, ob ich für das, was mich er­war­te­te, ge­wapp­net sein würde.

Voll­kom­men kon­fus kam ich bei ihm an. Ich war bei­na­he im Lauf­schritt die paar Me­ter von mei­nem Au­to bis zur Haus­tür ge­lau­fen, doch nun hielt ich plötz­lich in­ne. In dem ver­geb­li­chen Ver­such mich zu be­ru­hi­gen, at­me­te ich tief durch. Dann drück­te ich auf den klei­nen Knopf ne­ben sei­nem Klingelschild.

Ei­ne ge­fühl­te Ewig­keit war­te­te ich, wäh­rend die Mi­nu­ten ver­ran­nen und al­les still blieb. „Oh bit­te, mach schon end­lich auf“, dach­te ich.

Ju­an war über­rascht ob der frü­hen Stunde

Kur­ze Zeit spä­ter er­tön­te ein schlur­fen­des Ge­räusch, das so ver­traut nach ihm klang, im Haus­flur. Ein mü­de aus­se­hen­der und ein­deu­tig ge­ra­de aus dem Bett auf­ge­stan­de­ner Ju­an stand mir ge­nau gegenüber.

Er blin­zel­te mich durch sei­ne noch halb ge­schlos­se­nen Au­gen an und war of­fen­kun­dig über­rascht, mich schon so früh vor sei­ner Haus­tür zu sehen.

Kurz drück­te er mich an sich, noch im­mer voll­kom­men schlaf­trun­ken. Auch ich spür­te die Last der letz­ten, schlaf­lo­sen Nacht im­mer schwe­rer wer­den, spür­te, wie sie sich auf mei­ne Li­der senk­te und mei­nen Blick zu­neh­mend ver­schlei­er­te. Ich schob mich an ihm vor­bei, wank­te in sein Bett und ließ mich hin­ein sin­ken. Die De­cke zog ich mir hoch bis ans Kinn, ku­schel­te mich tief in die Kis­sen und nahm nur noch am Ran­de mei­nes Be­wusst­seins wahr, wie Ju­an sich vor­sich­tig wie­der ne­ben mich leg­te. Ich schmieg­te mich eng an ihn, sag­te „bit­te lass mich an dei­ner Sei­te schla­fen“. Dann schlief ich ein.

Drei Stun­den spä­ter wur­de ich von ei­nem schar­ren­den Ge­räusch an der Schlaf­zim­mer­tür wach. Doch jetzt ge­ra­de stör­te mich nicht ein­mal der ner­vi­ge Hund, so sehr be­schäf­tig­ten mich die Ängs­te der vor­an­ge­gan­ge­nen Nacht. Nach­dem ich mich nun ei­ni­ge Stun­den hat­te aus­ru­hen kön­nen, fühl­te ich mich zu­min­dest ein biss­chen er­frischt und be­reit, dem Un­heil entgegenzutreten.

Ich muss­te drin­gend mit Ju­an reden

Ich blieb noch ei­nen Mo­ment lie­gen, sam­mel­te mei­ne Ge­dan­ken, dann schließ­lich stand ich auf und be­gab mich zu Ju­an ins Wohn­zim­mer. Er hat­te sich aufs So­fa ge­setzt und Jack ne­ben sich. Ab­we­send tät­schel­te er ihm den Kopf, wäh­rend er auf sei­nem Han­dy tipp­te. Als er mich hör­te, hob er den Kopf. „Gu­ten Mor­gen, mía. Geht’s dir bes­ser?“, frag­te er. Ein Lä­cheln stahl sich auf mein Ge­sicht, wäh­rend er mich bei die­sem Ko­se­na­men nann­te und für ei­nen Mo­ment schien die Welt bei­na­he wie­der in Ord­nung zu sein. Doch eben nur beinahe.

„Ja, lass uns et­was früh­stü­cken ge­hen“. Ne­ben­bei be­gann ich, mir Schu­he und Ja­cke an­zu­zie­hen und be­dach­te ihn mit ei­nem auf­for­dern­den Blick. Wir muss­ten re­den, das wuss­te ich. Und ich woll­te es so schnell wie mög­lich hin­ter mich brin­gen und das Grau­en, das sich in mir an­ge­staut hat­te, auf dem schnells­ten Weg wie­der loswerden.

Wir sa­ßen in ei­ner Bar in Pal­ma, in der wir schon des Öf­te­ren zum Früh­stü­cken ge­we­sen wa­ren. Das Es­sen hier war gut, doch heu­te war mir, ob­wohl ich hung­rig war und mein Ma­gen ru­mor­te, nicht da­nach zu­mu­te, viel zu mir zu neh­men. Ich ent­schied mich al­so für das Ein­zi­ge, von dem ich glaub­te es her­un­ter krie­gen zu kön­nen: ein Ba­guette mit Mar­me­la­de und den schier un­ver­meid­ba­ren ca­fé con le­che – mei­ne Ner­ven brauch­ten ge­ra­de den heu­te besonders.

An mir ent­deck­te ich ei­ne un­si­che­re, neue Seite

Schwei­gend aßen wir, nur hin und wie­der gab ei­ner von uns ei­ne Be­mer­kung von sich, aber die Un­ter­hal­tung düm­pel­te ober­fläch­lich vor sich hin. Mit ei­nem Fin­ger sam­mel­te ich die letz­ten Krü­mel auf und leck­te sie ab, starr­te un­ru­hig auf mei­nen Tel­ler und wuss­te nicht so rich­tig, wie ich das Ge­spräch, das wir nun füh­ren muss­ten, be­gin­nen soll­te. „Ju­an, ich hab mir lan­ge Ge­dan­ken ge­macht letz­te Nacht. Über das, was du ges­tern Abend zu mir ge­sagt hast“, be­gann ich zö­ger­lich, wäh­rend ich mir ner­vös ei­ne Rock­fal­te glatt­strich. Ich at­me­te tief durch, in dem Ver­such, mich selbst zu be­ru­hi­gen, leg­te mei­ne ge­fal­te­ten Hän­de in den Schoß und blick­te ihm fest in die Au­gen. Die­se Art von Un­si­cher­heit und Be­küm­mer­nis war mir an mir selbst voll­kom­men fremd.

„Hör zu, wenn es dir so wich­tig ist, und wenn es dir so viel be­deu­tet, dann wirst du wei­ter­hin mein Freund blei­ben. Ich ge­be dir die­se De­fi­ni­ti­on, wenn du sie denn so drin­gend brauchst. Mir be­deu­tet es nichts. Ich se­he dich im­mer so, wie ich dich jetzt auch se­he – als dich. Egal, wie wir es nen­nen werden.“

Sein Blick ver­fins­ter­te sich und ein Aus­druck der Frus­tra­ti­on und des Be­dau­erns zuck­te um sei­ne Mund­win­kel, um­spiel­te sei­ne Mie­ne und grub tie­fe Fur­chen in sein Gesicht.

Wenn man sich liebt, gibt es im­mer ei­nen Weg

„Ich glau­be, du hast mich nicht ver­stan­den. Was ich dir sag­te, ist, dass ich nicht an ei­ne Zu­kunft mit dir glau­ben kann. All das, was ich brau­che, was ich mir viel­leicht ir­gend­wann wün­schen wer­de, kann ich bei dir nicht fin­den. Nur dich, mich und… ein Kind. So et­was wer­den wir nie ha­ben.“ Er sah mich ernst an. Ich er­kann­te die Trau­rig­keit in sei­nen Ge­sichts­zü­gen, sie spie­gel­te die mei­ne wie­der, denn trotz al­lem hat­te ich Ver­ständ­nis für das, was er sag­te. Es war die Wahrheit.

„Aber das Ei­ne schließt das An­de­re doch nicht aus“, ver­such­te ich ihn zu über­zeu­gen. „War­um sol­len wir denn et­was weg­wer­fen, das gut funk­tio­niert, weil wir ei­ne be­stimm­te Sa­che nicht mit­ein­an­der tei­len kön­nen? Das ist doch Wahn­sinn. Wir lie­ben uns, und es wird sich si­cher­lich ein Weg fin­den, wie al­les pas­sen wird. So le­be ich schon mein gan­zes Le­ben lang.“

Schon wäh­rend ich sprach, sah ich, dass mei­ne Über­zeu­gung, mein Glau­be und mei­ne auf­kei­men­de Hoff­nung ihn nicht er­reich­ten, sah, dass es ver­ge­bens war. Er teil­te mei­ne Wer­te nicht.

„Ich bin tra­di­tio­nell, He­ra. Du nicht. Wir funk­tio­nie­ren nicht gut und ha­ben es auch noch nie ge­tan“, sag­te er ernst. „Be­lüg dich doch nicht selbst. Du und ich sind grund­ver­schie­den, wa­ren es schon im­mer und wer­den es auch im­mer sein. Dar­an ist nicht zu rüt­teln. Du wuss­test es im­mer und es war dir egal. Für dich war ich doch so­wie­so nur ein Pro­jekt, das nach ei­ner be­stimm­ten Zeit ab­lau­fen würde.“

So­dann fing ich an bit­ter­lich zu weinen

„Das ist nicht wahr“, ent­geg­net ich ihm hit­zig. Wut über­kam mich. „Du weißt ge­nau, dass das nicht stimmt.“ Ei­lig sprach ich wei­ter, kam sei­nem Ein­wand zu­vor. „Nur weil wir als Pro­jekt be­gon­nen ha­ben, nur weil ich ein Pro­jekt mit dir tei­le, heißt das doch nicht, dass DU ein Pro­jekt für mich bist! Das ha­be ich nie ge­sagt. Du bist doch kein Ding, son­dern ein Mensch, den ich lie­be. Wenn es dich so stört, dann be­en­den wir das Pro­jekt hier di­rekt auf der Stel­le – jetzt gleich. Du wirst da­nach im­mer noch mein Freund sein und nichts wird sich ge­än­dert ha­ben. Ge­nügt dir das?“

Ich spür­te, wie mir die Trä­nen in die Au­gen stie­gen, wie ich sie nicht mehr zu­rück­hal­ten konn­te und sie an­fin­gen, in ei­nem ste­ti­gen Fluss über mei­ne Wan­gen zu kul­lern, wo sie hei­ße Spu­ren hin­ter­lie­ßen. Ich wand­te den Blick ab und schau­te zu Boden.

„Es reicht mir nicht und das weißt du. Wir sind in­kom­pa­ti­bel. Weil ich nicht so le­ben kann wie du. Denn ich bin nicht du“, flüs­ter­te er leise.

Ich lieb­te ihn und er lieb­te mich? Wenn es so wäre…

Ich sah ihn an, sah, wie weh ihm sei­ne ei­ge­nen Wor­te ta­ten und dass auch ihm die Trä­nen in den Au­gen standen.

„Oh bit­te, es muss doch ei­nen Weg ge­ben“, dach­te ich bei mir, stand auf und er er­hob sich im sel­ben Mo­ment wie ich. Wie von­ein­an­der an­ge­zo­gen fie­len wir uns in die Ar­me, hiel­ten uns fest und such­ten Trost bei­ein­an­der. Wir wuss­ten bei­de, dass das Un­aus­weich­li­che kom­men wür­de, dass es be­vor­stand und dass wir uns jetzt in die­sem Mo­ment trotz­dem nicht da­mit be­fas­sen woll­ten. Jetzt in die­sem Mo­ment hat­ten wir uns.

„Te quie­ro“, flüs­ter­te ich ihm zu. „Te quie­ro“, ant­wor­te­te er.

Es dau­er­te zwei Ta­ge, bis wir uns wie­der­sa­hen. Die Stim­mung in die­ser Zeit war ko­misch, wir ent­fern­ten uns im­mer wei­ter von­ein­an­der und ich fühl­te mich macht­los da­ge­gen. Ich hat­te kei­ne Kraft mehr, da­ge­gen an­zu­kämp­fen, fühl­te mich, als hät­te er mich in un­se­rer Wüs­te mit­ten im Sand­sturm al­lein gelassen.

Ju­an ver­hielt sich kühl, mel­de­te sich kaum und ich ver­brach­te die meis­te Zeit da­mit, stumm mei­nen Ge­dan­ken nach­zu­hän­gen. Das Tau­chen er­füll­te mich nicht mit der sons­ti­gen Freu­de und die Welt schien ein biss­chen grau­er und trü­ber ge­wor­den zu sein. Ge­nau die­se Ge­füh­le wa­ren es ei­gent­lich, die ich hat­te mei­den wol­len durch mein Pro­jekt. Ich woll­te das Gu­te in Kopf und Her­zen be­wah­ren, all die schö­nen, wun­der­sa­men Er­in­ne­run­gen, oh­ne sie in Dreck und Schlamm meist un­schön ver­lau­fen­der Tren­nun­gen zu besudeln.

Wir grü­bel­ten über die Zu­kunft – un­se­re Zukunft

Doch sei es, wie es sei, ich woll­te ihn, ich woll­te die­ses Pro­jekt und ich wür­de es durch­zie­hen. Trüb­sal bla­sen konn­te ich da­nach im­mer noch. Wäh­rend ich mich al­so fer­tig mach­te – wir wür­den uns zum Abend­essen tref­fen und da­nach die Nacht mit­ein­an­der ver­brin­gen – ord­ne­te ich mich, ver­such­te mich frei zu ma­chen von der­lei ne­ga­ti­ven Ge­füh­len, um ei­nen glück­li­chen Abend mit ihm zu ver­brin­gen. Oder zu­min­dest das, was uns vom Glück ge­blie­ben war, mit ihm zu tei­len. Wir tra­fen uns zum Piz­za­es­sen, tra­fen un­se­re ge­wohn­te Wahl und schon bald er­schie­nen zwei duf­ten­de Piz­zen auf un­se­ren Tel­lern. Ich schnitt ein klei­nes Stück von mei­ner ab, pus­te­te vor­sich­tig und der hei­ße Dampf ver­flüch­tig­te sich in der Wei­te des Re­stau­rants. Ich ließ ihn zie­hen und blick­te ihm nach.

Wäh­rend ich mei­ne Thun­fisch­piz­za zer­kau­te, folg­ten mei­ne Ge­dan­ken ei­ner schnur­ge­ra­den Li­nie, de­ren En­de im­mer in Grü­be­lei­en über un­se­re Zu­kunft mün­de­te. Das The­ma ließ mich ein­fach nicht los.

„Ich ha­be im­mer noch et­was auf dem Her­zen, Ju­an“, be­gann ich schließ­lich ei­ne er­neu­te Aus­spra­che mit ihm.

„Das ist so ty­pisch für dich“, er­wi­der­te er. „Kannst du es nicht ein­fach mal gut sein las­sen? Es ist doch al­les gesagt.“

Er hat mich nie wirk­lich ge­liebt, der Schuft

„Ich ver­ste­he dich ein­fach nicht. War­um gibst du uns nicht ei­ne Chan­ce, wenn du mich liebst? Lass es uns doch auf ei­nen Ver­such an­kom­men las­sen. Dann weißt du im­mer­hin si­cher, wo­von du sprichst und wenn du es dann nicht willst, kön­nen wir im­mer noch ei­ne an­de­re Mög­lich­keit fin­den. Wir müs­sen uns die­se ge­sell­schaft­li­chen Nor­men doch nicht auf­er­le­gen, es ist un­se­re Ent­schei­dung. Wir sind frei in dem was wir tun, Ju­an.“ „Ich ha­be dich nie ge­liebt, He­ra“, war sei­ne ein­zi­ge Ant­wort. Nichts zu dem, was ich ihm ge­ra­de eben ver­sucht hat­te, be­greif­lich zu ma­chen, nicht ei­ne klit­ze­klei­ne An­nä­he­rung sei­ner­seits. Sei­ne Ant­wort war für mich wie ein Schlag ins Ge­sicht. Ich konn­te ihm gar nicht glau­ben – all sei­ne Bli­cke, sei­ne Ges­ten, was wir mit­ein­an­der ge­tan hat­ten, hat­ten Bän­de gesprochen.

„Aber du hast es mir so oft ge­sagt“, brach­te ich mit er­stick­ter Stim­me hervor.

Wir bei­de wa­ren nur ein Pro­jekt – mehr nicht

„Ich sag­te zu dir: Te quie­ro. Je­man­dem zu sa­gen, dass man ihn liebt, ist et­was ganz an­de­res. Ich hat­te Schwie­rig­kei­ten ei­nen kla­ren Ge­dan­ken zu fas­sen. „Aber te quie­ro heißt doch ich lie­be dich“, dach­te ich bei mir. „Te quie­ro be­deu­tet so viel wie Ich hab dich lieb, aber man sagt es zu fast je­dem: sei­nen Freun­den, sei­nen El­tern oder so­gar gu­ten Be­kann­ten. Und das ha­be ich auch wirk­lich, du bist mir teu­er und ich hab dich gern, aber wie hät­te ich dich je­mals lie­ben kön­nen? Nach­dem du mir im­mer wie­der ge­sagt hast, wir sei­en nur ein Pro­jekt, im­mer wie­der klar ge­macht hast, dass du mich ver­las­sen würdest?“

„Aber je­man­den zu ver­las­sen be­deu­tet für mich nicht das­sel­be wie für dich. Es än­dert über­haupt nichts zwi­schen uns und an mei­nen Ge­füh­len zu dir. Es gibt uns le­dig­lich die Frei­heit, uns nicht mehr de­fi­nie­ren zu müs­sen, son­dern ein­fach wir zu sein. In jed­we­der Konstellation.“

Er sah mich ein­fach nur an, sei­nen Blick starr auf mich ge­rich­tet, die grü­nen Au­gen kalt und undurchdringlich.

War es das, was er woll­te oder sehn­te er sich nach mehr?

„Und ge­nau das ist das Pro­blem. Ich ver­ste­he nicht, wie du denkst und dei­ne Le­bens­wei­se ist nicht die mei­ne. Auch mag ich tra­di­tio­nel­le Wer­te in mei­nem Le­ben; ich will gar nicht so le­ben wie du. Für ein zeit­wei­ses Pro­jekt war es span­nend, es war neu und auf­re­gend und ich woll­te mehr dar­über er­fah­ren, aber je län­ger ich dich ken­ne, des­to kla­rer steht mir vor Au­gen, wie sehr du mich auf Dau­er auf­hal­ten wür­dest. Mir wür­de ei­ne rich­ti­ge Part­ne­rin feh­len, ei­ne mit den­sel­ben Zie­len und Wünschen.

Ei­ne Be­zie­hung auf Zeit wie du es im­mer be­tont hast, war in Ord­nung für mich. Du woll­test nie mehr von mir und ich ver­ste­he dei­ne Sicht der Din­ge nicht. Und ich ha­be nicht ein­mal die Chan­ce, an­de­re Frau­en ken­nen­zu­ler­nen und mit nach Hau­se zu brin­gen, weil über­all dei­ne Sa­chen her­um­lie­gen. Wel­cher nor­ma­len Frau kann ich das er­klä­ren, oh­ne dass sie gleich vor mir wegrennt?“

Mir stie­gen Trä­nen in die Au­gen, in letz­ter Zeit war ich un­heim­lich nah am Was­ser ge­baut, mei­ne Ner­ven wa­ren über­reizt und ich ten­dier­te da­zu, über­trie­ben stark auf al­les zu re­agie­ren. Und da­zu ver­letz­ten sei­ne Wor­te mich tat­säch­lich. All die­se Frus­tra­ti­on, die sich in ihm auf­ge­baut zu ha­ben schien, kam in der un­glück­lichs­ten al­ler Si­tua­tio­nen aus ihm heraus.

„Und stän­dig heulst du.“ Nun wur­de er rich­tig är­ger­lich. „Neu­lich bei Tan­ja, als wir am Sams­tag früh­stü­cken wa­ren und nun schon wie­der. Du ver­dirbst al­len um dich her­um die Lau­ne, nur weil du dich nicht zu­sam­men­rei­ßen kannst.“

Er soll­te be­kom­men, was er ver­dien­te: ein Pro­jekt zu sein

Das war end­gül­tig zu viel für mich. Mit ei­nem äch­zen­den Ge­räusch schob ich den Stuhl zu­rück und er­hob mich. „Ich brauch ein biss­chen fri­sche Luft, ich kom­me gleich wie­der zurück“

Ich nahm mei­ne Ja­cke vom Stuhl, zog sie mir auf dem Weg zur Ter­ras­se des Re­stau­rants en­ger um die Schul­tern und kämpf­te ge­gen die Trä­nen an. Er hat­te ja Recht, aber wie er mich mo­men­tan be­han­del­te, war un­mög­lich. Ich stell­te mich an die Brüs­tung, ließ den Blick über die Ber­ge schwei­fen und at­me­te tief die fri­sche Nacht­luft ein, füll­te mei­ne Lun­gen bis in die letz­te Zel­le da­mit und be­frei­te mich lang­sam und Stück für Stück von der Trau­rig­keit, die zu­erst in Wut und all­mäh­lich in ei­ne fes­te Ent­schlos­sen­heit um­schlug. Wenn er so sehr dar­auf be­harr­te, nur ein Pro­jekt zu sein, dann soll­te er ge­nau das bekommen.

Als ich zu un­se­rem Tisch zu­rück­kehr­te, hielt ich mich auf­recht, das Kinn er­ho­ben und den Blick ent­schie­den auf ihn gerichtet.

Wir hat­ten ei­nen Ver­trag – und noch lief er

Mit der­sel­ben Ent­schie­den­heit setz­te ich mich. Ich sah ihm an, dass ei­ne merk­li­che Ver­än­de­rung an mir fest­zu­stel­len war. Aber so war es nun mal, wenn ich mir et­was in den Kopf ge­setzt hat­te. Und ich sah sei­ne Ver­wun­de­rung an­ge­sichts des­sen, dass plötz­lich wie­der ei­ne star­ke – wenn viel­leicht auch noch nicht ganz so stark wie vor­her – , ent­schlos­se­ne und ziel­stre­bi­ge Frau vor ihm saß. Ei­ne Frau, zwar ge­zeich­net von der Ent­täu­schung, dem Ver­lust und ih­ren ei­ge­nen Schwä­chen, je­doch auch ei­ne, die wie­der zu sich selbst ge­fun­den hat­te und sich nicht wür­de auf­hal­ten lassen.

„Du hast mir sechs Mo­na­te ver­spro­chen und noch läuft das Pro­jekt. Wir ha­ben ei­nen Ver­trag. Noch kannst du mich nicht ver­las­sen. Such dir ein Da­tum im Ok­to­ber aus und dann wer­den wir uns tren­nen. End­gül­tig – so wie du es woll­test. Aber vor­her musst du ein­hal­ten, was wir ab­ge­macht ha­ben.“ Sei­ne Mund­win­kel ver­zo­gen sich an­nä­he­rungs­wei­se zu ei­nem Lä­cheln. „In Ord­nung“, sag­te er. „Du hast Recht, ich ha­be es dir ver­spro­chen und wir wer­den es durch­zie­hen, wenn du dar­auf be­stehst. Und wie ich mer­ke, tust du das offenbar.“

Wir fuh­ren ge­mein­sam nach Hau­se, auch wenn ich kurz da­vor ge­we­sen war, die Nacht al­lein zu ver­brin­gen. Aber auch mich selbst hielt ich zu Dis­zi­plin an. Al­so ver­such­ten wir an die­sem Abend den An­schein von Nor­ma­li­tät zu wah­ren, das Ver­spre­chen, das wir ein­an­der ge­ge­ben hat­ten, nach all un­se­ren Mög­lich­kei­ten ein­zu­hal­ten. Ich schwor mir selbst ihn zu lie­ben, bis zum letz­ten Au­gen­blick, mit mei­nem gan­zen Her­zen, ver­sprach, dass ich mich nicht zu­vor von ihm zu­rück­zie­hen wür­de. Es kos­te­te mich viel An­stren­gung, denn noch im­mer spür­te ich Groll in mir, doch ich wür­de vor un­se­rem letz­ten Tag mein Herz an kei­nen an­de­ren binden.

Ok­to­ber

Es war ein war­mer Nach­mit­tag und die Spät­som­mer­son­ne stand leuch­tend gelb am Him­mel. Ich stand vor ei­ner Strand­bar und sog das Ge­fühl von Som­mer mit je­dem Atem­zug ein, nahm es tief in mein Herz auf. Ent­spannt schloss ich die Au­gen und ge­noss das wohl­tu­en­de Glü­hen und die Hit­ze in mei­nem Ge­sicht, es brach­te mir die Er­in­ne­rung an hei­ße Som­mer­ta­ge zu­rück. An glück­li­che Ta­ge, an ei­ne Som­mer­lie­be, von der ich nicht mehr glaub­te, dass sie den Win­ter über­ste­hen wür­de. Ei­ne Lie­be, ge­nährt von Licht und Son­nen­schein. Da­mals hat­ten wir die Rea­li­tät noch ver­drän­gen können.

Als ich Ju­an von Wei­tem auf mich zu­kom­men sah, spür­te ich ei­nen Hauch die­ses Som­mer­schim­mers in mir auf­kei­men und ein Lä­cheln mach­te sich auf mei­nem Ge­sicht breit. Nun, wir wür­den den Som­mer viel­leicht nicht zu­rück­be­kom­men, aber wir konn­ten aus die­sem letz­ten uns ver­blei­ben­den Mo­nat im­mer noch das Bes­te ma­chen. All die Pro­ble­me und den Streit hin­ter uns las­sen. Wir hat­ten uns für heu­te vor­ge­nom­men, et­was wirk­lich Schö­nes zu ma­chen. Es war wie die Krö­nung un­se­rer Ver­söh­nung und die Her­aus­for­de­rung war, trotz all dem, was ge­sche­hen war, wie­der dort an­zu­knüp­fen, wo wir auf­ge­hört hatten.

Auch wenn die Eis­wür­fel schmol­zen, es war fast wie immer

“Hay que vi­vir el mo­men­to“, dach­te ich mir im­mer wie­der und be­sann mich auf die Not­wen­dig­keit, das Hier und Jetzt zu ge­nie­ßen. – Le­be im Augenblick

Wir be­grüß­ten uns herz­lich, nah­men uns in den Arm und hiel­ten uns lan­ge an­ein­an­der fest, be­vor wir in die Bar gin­gen. Ju­an steu­er­te auf ei­nen Tisch di­rekt am Was­ser zu und wir set­zen uns. Kur­ze Zeit spä­ter kam der Kell­ner mit un­se­rer Be­stel­lung – zwei Pina­co­lo­das – zu­rück. Es war wun­der­voll: die Wel­len roll­ten der Küs­te ent­ge­gen und ich sah ih­nen beim Bre­chen zu, der ei­ne oder an­de­re Seg­ler war in der Fer­ne zu er­ken­nen, die Son­ne stand hell am Him­mel und all­zu bald wa­ren wir bei­de be­schwipst von den Cock­tails. Die Eis­wür­fel schmol­zen in den Glä­sern, wäh­rend die Zeit ver­rann und wir mit­ein­an­der lach­ten. Fast so, als wä­re al­les noch beim Alten.

Plötz­lich nahm Ju­an mei­ne Hand und drück­te sie fest. „Mia, ich bin ziem­lich be­schwipst, aber ich woll­te dir sa­gen, dass es mir leid­tut. Ich hat­te mir über­legt, heu­te et­was wirk­lich Tol­les mit dir zu ma­chen, et­was Ro­man­ti­sches so­gar. Ei­gent­lich soll­ten wir jetzt ge­mein­sam den Son­nen­un­ter­gang ge­nie­ßen, aber es ist noch viel zu früh und ich schon viel zu an­ge­trun­ken. Das hat­te ich ein­fach nicht be­dacht.“ Er hicks­te und ich brach in fröh­li­ches Ge­läch­ter aus. Ei­nen klei­nen Mo­ment lang starr­te er mich ver­blüfft an und stimm­te dann mit ein.

Al­les war an­ders als an den Aben­den im Sommer

„Komm, wir fah­ren nach Hau­se“, sag­te ich, wäh­rend ich auf­stand, um die Rech­nung zu be­zah­len. Lang­sam war es spät ge­wor­den, wir hat­ten es uns im Bett ge­müt­lich ge­macht und Jack ze­le­brier­te sein all­abend­li­ches Ge­jau­le, da man ihn aus dem Schlaf­zim­mer ver­bannt hat­te. Auch das un­ver­meid­li­che Wech­seln der Bett­wä­sche lag glück­li­cher­wei­se schon hin­ter mir. Ganz ge­wiss wür­de ich das nicht ver­mis­sen. Zum ers­ten Mal wur­de mir heu­te, viel­leicht ge­ra­de we­gen all des­sen, was in der letz­ten Wo­che pas­siert war, be­wusst, wie sehr die Din­ge sich ge­än­dert hatten.

Zwar war die­se Käl­te zwi­schen uns nicht mehr so ei­sig wie in den letz­ten Ta­gen und wir hat­ten mehr oder we­ni­ger zu un­se­rem All­tag zu­rück­ge­fun­den, doch war auch al­les an­ders als an un­se­ren Som­mer­aben­den. Das wur­de mir heu­te, da ich ei­nen An­flug die­ses Ge­fühls, oder viel­mehr ei­nen An­flug ei­ner Er­in­ne­rung an die­ses herr­li­che Som­mer­ge­fühl ge­habt hat­te, schmerz­lich bewusst.

Hat­te er Pro­ble­me mit sei­nem be­gin­nen­den Haarausfall?

Wäh­rend wir im Som­mer je­de freie Mi­nu­te mit­ein­an­der ver­bracht und uns nur ein­an­der ge­wid­met hat­ten, uns die Zeit zu­sam­men, so­bald wir ge­trennt wa­ren, her­bei­sehn­ten, so be­schäf­tig­ten wir uns nun ge­mein­sam ge­trennt. Je­der ging sei­nen ei­ge­nen In­ter­es­sen nach und so kam es, dass wir im sel­ben Bett la­gen und mit un­se­ren Han­dys im In­ter­net surf­ten. Ei­gent­lich ver­geu­de­ten wir mehr und mehr un­se­re ge­mein­sa­me Zeit. Ob­wohl sie oh­ne­hin schon be­grenzt war. Ich schau­te nach­denk­lich zu Ju­an hin­über und sah, dass er sich ge­ra­de Wer­be­an­zei­gen für An­ti­haar­aus­fall-Pro­duk­te an­sah. Un­si­cher, ob ich be­lus­tigt oder ge­nervt sein soll­te, zog ich ei­ne Au­gen­braue hoch, wohl­wis­send, dass er mich ge­ra­de nicht sah. War­um er stän­dig so auf Äu­ßer­lich­kei­ten fi­xiert war, blieb mir bis jetzt ein Rätsel.

Oft ge­nug hat­te ich ver­sucht, ihm klar­zu­ma­chen, dass es ei­ner Frau herz­lich egal war, ob ein Mann Haar­aus­fall hat­te oder nicht, so­lan­ge sei­ne At­trak­ti­vi­tät nicht un­ter feh­len­der Männ­lich­keit oder man­geln­dem Selbst­be­wusst­sein litt.

Ge­dan­ken­ver­lo­ren be­trach­te­te ich die Bett­de­cke und stell­te mir wie­der ein­mal die Fra­ge, ob und war­um er wohl so ein schlech­tes Bild von sich hat­te und wo­her die­se an­dau­ern­de Un­si­cher­heit in Be­zug auf sein Äu­ße­res kam.

Wie selbst­ver­ständ­lich zeig­te er mir Fo­tos an­de­rer Frauen

Ge­ra­de als ich mei­nen Blick von der De­cke lös­te, noch un­ent­schlos­sen, ob ich ihm et­was da­zu sa­gen woll­te oder nicht, be­merk­te ich, dass er sich längst an­de­rem zu­ge­wandt hat­te. Mit of­fen­sicht­lich noch grö­ße­rem In­ter­es­se als zu­vor die Wer­bung be­trach­te­te er nun spär­lich be­klei­de­te Frau­en in Un­ter­wä­sche, de­nen er of­fen­kun­dig auf In­sta­gram folgte.

Au­gen­ver­dre­hend be­schloss ich, ihn nicht wei­ter zu be­ach­ten, son­dern mir statt­des­sen an­zu­se­hen, was es bei mir Neu­es gab. Auf sei­ne halb­nack­ten Frau­en hat­te ich ge­ra­de wirk­lich kei­ne Lust.

„Hey, lass mich auch mal gu­cken.“ Ju­an schob sich ne­ben mich und starr­te auf mein Han­dy. Mein In­sta­gram­feed war voll mit spär­lich be­klei­de­ten Frau­en, de­nen ich schein­bar eben­falls folg­te. Auch wenn ein we­sent­li­cher An­teil die­ser kunst­voll ver­schnürt war.

„Wel­che ge­fällt dir am bes­ten? Al­so ich fin­de die­se ziem­lich heiß“, setz­te er an und ich be­gann zu lachen.

„Wel­che an­de­re Frau wird das je­mals mit­ma­chen“, dach­te ich bei mir. „Du wirst noch mer­ken, dass die Rea­li­tät ganz an­ders ist, als du dir das vor­stellst und mer­ken, was du an mir hattest."

Als ich Ju­an durch die Piz­ze­ria auf dem Weg zu un­se­rem Lieb­lings­platz folg­te, nahm ich hin­ter uns auf ein­mal ei­nen fürch­ter­li­chen Lärm wahr: Kindergeschrei.

Er sah mich an mit Ab­nei­gung und Resignation

Ge­ra­de als wir da­bei wa­ren uns hin­zu­set­zen, tru­del­ten die Kin­der ne­ben uns ein, kreisch­ten, lärm­ten, quietsch­ten und lach­ten. Es war ein Höl­len­lärm. Di­rekt ne­ben uns be­fand sich die Ge­burts­tags-Lounge; ein et­was se­pa­rier­ter Raum für An­läs­se ge­nau sol­cher Art. Ei­ne Mut­ter ver­such­te der Be­treue­rin des Re­stau­rants da­bei zu hel­fen, die Kin­der zu sor­tie­ren und für Ord­nung zu sor­gen, so­wie den Ge­räusch­pe­gel zu dämpfen.

Ju­an sah mich mit ei­ner Mi­schung aus Ab­nei­gung und Re­si­gna­ti­on an.

„Ge­hen wir wo­an­ders hin? Ich glau­be, da­hin­ten ist noch ein Tisch frei“, sag­te er schon halb im Gehen.

Bei­na­he ein we­nig scha­den­froh grins­te ich in mich hin­ein und dach­te bei mir, wie sehr er sich noch um­schau­en würde.

„Ja, mein Lie­ber. Das ist ge­nau das, wes­we­gen du mich ver­las­sen willst. Das, was du dir wünschst. Und das und noch viel mehr wird dann auf dich zu­kom­men.“ Ich frag­te mich, wie es wohl tat­säch­lich mit ihm wei­ter­ge­hen wür­de. Bis­lang konn­te ich ihn mir je­den­falls kaum in der Va­ter­rol­le vorstellen.

„Siehst du, hier bin ich un­ge­fähr vier Jah­re alt. Und da, schau mal, da wa­ren wir im Zoo.“ Mitt­ler­wei­le wa­ren wir wie­der zu­hau­se und Ju­an hat­te hau­fen­wei­se Kin­der­fo­tos von sich her­vor­ge­kramt. Völ­lig auf­ge­regt zeig­te er mir Bil­der von Aus­flü­gen mit sei­nen El­tern, Bil­der mit sei­nen Ge­schwis­tern und sein En­thu­si­as­mus war ansteckend.

„Hier kom­men Bil­der aus mei­ner Par­ty­zeit. Da war ich viel­leicht so An­fang zwanzig.“

Er trug sei­nen Haus­an­zug, wirk­te aber nicht entspannt

Von dem Bild lä­chel­te mir ein gut­aus­se­hen­der, jun­ger, blon­der Mann mit vol­lem Haar und grü­nen Au­gen zu. In der ei­nen Hand hielt er ei­ne Bier­fla­sche, der an­de­re Arm war läs­sig um ei­nen sei­ner Kum­pel ge­legt. Er sah wirk­lich gut aus. So gut, dass ich mei­nen Blick kaum noch von dem Bild ab­wen­den wollte.

„War­um noch­mal ha­be ich dich nicht da­mals ken­nen­ge­lernt? Ich hät­te dich auf der Stel­le ver­nascht“, sag­te ich und wand­te ihm end­lich wie­der mei­nen Blick zu.

Es dau­er­te ei­nen Mo­ment, bis er mir die Tür öff­ne­te. Ju­an trug ein T‑Shirt und ei­ne Jog­ging­ho­se, doch ei­nen be­son­ders ent­spann­ten Ein­druck mach­te er nicht ge­ra­de. Ir­gend­wie kam er mir eher auf­ge­kratzt vor. Ich frag­te mich, was wohl pas­siert war.

„Komm rein, schau, ich muss dir was zei­gen“, sag­te er, wäh­rend er mich mit ei­nem Arm halb an sich drück­te und mich wäh­rend­des­sen schon ins Haus zog.

Auf den ers­ten Blick je­doch wirk­te al­les wie im­mer und ich konn­te mir den Grund der Auf­re­gung noch nicht di­rekt erklären.

„Bleib ge­nau hier ste­hen. Be­weg dich nicht. Es ist ei­ne ech­te Über­ra­schung“, be­gann er und er­ei­fer­te sich dann, nach et­was zu su­chen. Er ver­ließ das Wohn­zim­mer, in dem er mich ste­hen ge­las­sen hat­te und ver­schwand in die Küche.

„Wahn­sinn, oder? Was sagst du da­zu? Ich ha­be neu­es Ge­schirr!“ Er hielt mir ei­nen Tel­ler und ei­ne Tas­se un­ter die Na­se. „Komm mit in die Kü­che, ich muss dir un­be­dingt auch den Rest zeigen.“

Er hat­te be­reits et­was, konn­te sich aber nicht erinnern

Er zog mich mit sich, auch wenn ich sei­ne Eu­pho­rie nicht wirk­lich nach­füh­len konn­te. Doch sei­ne gu­te Lau­ne er­hei­ter­te auch mich und ich freu­te mich für ihn.

Das Ge­schirr fand ich al­ler­dings furcht­bar. Er hat­te drei Kis­ten in der Kü­che plat­ziert und über­all Tas­sen, Tel­ler und Schüs­seln aus­ge­brei­tet. Sie ge­fie­len mir nicht, wa­ren für mei­nen Ge­schmack zu alt­mo­disch, doch es muss­te ja auch ihm zu­sa­gen. Au­ßer­dem durch­zuck­te mich der Ge­dan­ke, dass ich nach En­de die­ses Mo­nats sein Ge­schirr so­wie­so nicht mehr be­nut­zen wür­de. Ir­gend­wie fühl­te es sich merk­wür­dig an und ich war mir un­si­cher, ob mich die­se Aus­sicht freu­te oder trau­rig stimmte.

„Wo­her hast du das?“, frag­te ich ihn. „Ich ha­be auf­ge­räumt“, er­klär­te er mir stolz. „Hab‘s in der Ab­stell­kam­mer ge­fun­den, ganz un­ten un­ter dem an­de­ren Kram. Neu­es Be­steck ha­be ich auch. Na, wie fin­dest du das?“

„Su­per“, gab ich zu­rück. Das war schon wie­der so ty­pisch für ihn. Da will er ei­gent­lich schon seit län­ge­rem neu­es Ge­schirr ha­ben und weiß nicht da­von, dass er ei­gent­lich wel­ches da hat. „Der Mann ist so plan­los.“ Doch ich riss mich zu­sam­men und sag­te nichts wei­ter da­zu. Ich wuss­te gut ge­nug, wie das en­den würde.

„Ja, nicht wahr? Jetzt ha­be ich ganz neu­es Ge­schirr, so­gar oh­ne mir wel­ches ge­kauft zu ha­ben. Das ist so klasse!“

Ich nahm mir Zeit für ihn – er mach­te Hausarbeit

„Er freut sich echt wie ein klei­nes Kind“, dach­te ich. „Als ob ihm gar nicht mehr klar ist, dass er die­ses Zeug na­tür­lich ir­gend­wann mal ge­kauft hat. Er hat es bloß vergessen.“

Ju­an beug­te sich über ei­ne Kis­te, hol­te noch mehr Tel­ler her­vor und woll­te sie ge­ra­de in sei­ne Spül­ma­schi­ne ein­räu­men, als ihm auf­fiel, dass sie schein­bar noch voll war. Er stell­te die Tel­ler auf der An­rich­te ab und be­gann das sau­be­re Ge­schirr in den Schrank zu räumen.

Mir fiel ein Topf auf, den ich bei mei­nem letz­ten Be­such ein­ge­räumt hat­te und ich wuss­te, dass er mal wie­der seit­dem nicht auf­ge­räumt hat­te. Nein, ich wür­de nichts da­zu sa­gen, dies war sei­ne Wohnung.

„Es stört dich doch nicht, wenn ich das mit dem Ge­schirr eben er­le­di­ge? Weißt du, es hat so lan­ge ge­dau­ert, die gan­ze Ab­stell­kam­mer auf­zu­räu­men, dass ich es nicht mehr ge­schafft ha­be, das zu ma­chen, be­vor du kamst.“

„Nein, kein Pro­blem“, ant­wor­te­te ich und ver­such­te da­bei ein Seuf­zen zu un­ter­drü­cken. Dann hät­te ich ja auch mei­nen Lap­top mit­brin­gen und ar­bei­ten kön­nen. Aber ich hat­te mir ex­tra Zeit für ihn genommen.

Ju­an pfiff ger­ne und er pfiff fröhlich

Ein we­nig miss­mu­tig setz­te ich mich schließ­lich vor den Fern­se­her und schal­te­te ge­lang­weilt ei­ne spa­ni­sche Sen­dung ein, um die Zeit we­nigs­tens noch pro­duk­tiv zu nut­zen. Es är­ger­te mich, dass er mir nicht mehr die­sel­be Auf­merk­sam­keit zu­teil­wer­den ließ wie frü­her. „Da hat er sich noch ge­freut, wenn ich her­ge­kom­men bin“, sin­nier­te ich. „Jetzt hat er Wich­ti­ge­res zu tun als mich zu se­hen. Da­mals konn­te ich ihm gar nicht lan­ge ge­nug hier sein und er konn­te nicht ge­nug mei­ner Zeit ha­ben. Jetzt lässt er mich hier so sit­zen.“ Ich ver­such­te, mei­ne ne­ga­ti­ven Ge­dan­ken zu ver­scheu­chen und kon­zen­trier­te mich auf die Se­rie. Sie war gut und nach ei­ner Zeit hat­te sie mich so sehr ge­packt, dass ich auch Ju­ans fröh­li­ches Pfei­fen aus der Kü­che kaum noch wahrnahm.

„Hast du Lust, was es­sen zu ge­hen?“, frag­te Ju­an mich, als er knapp an­dert­halb Stun­den spä­ter aus der Kü­che zu mir kam. „Ich bin fer­tig und hab ei­nen fürch­ter­li­chen Hun­ger. Wie wä­re es mit un­se­rem Lieblingsjapaner?“

In die­sem Mo­ment er­blick­te Jack ihn, der bis da­hin in sei­nem Körb­chen vor sich hin­ge­schlum­mert hat­te und rann­te schwanz­we­delnd und kläf­fend auf Ju­an zu.

„Da ist ja Pa­pas Lieb­ling! Wie geht’s mei­nem sü­ßen Jack?“ Ju­an tät­schel­te sei­nem Hund den Kopf und Jack brumm­te glück­lich vor sich hin.

Jack, Jack und noch­mal Jack: der Über-Hund

„Klingt gut“, ant­wor­te­te ich. „Ich ho­le nur eben mei­ne Schu­he“, sag­te ich mit ei­nem Blick auf ihn, der be­reits fer­tig an­ge­zo­gen war und schal­te­te den Fern­se­her aus.

Als ich zu­rück ins Wohn­zim­mer kam, hielt ich ver­dutzt ei­nen Mo­ment in­ne. Hat­te ich den Fern­se­her nicht ge­ra­de aus­ge­schal­tet? Dann sah ich, wie Ju­an herumhantierte.

„Hast du den Fern­se­her wie­der ein­ge­schal­tet?“, frag­te ich, ob­wohl mir im sel­ben Mo­ment be­wusst wur­de, dass mei­ne Fra­ge kom­plet­ter Un­sinn war. „Na, wer denn sonst?“, schalt ich mich selbst.

„Ja. Weißt du, wenn Jack die gan­ze Zeit al­lei­ne ist, dann strea­me ich ihm ei­nen Film über mei­nen Com­pu­ter. Dann kann er den auf dem Fern­se­her gu­cken und muss sich nicht die gan­ze Zeit lang­wei­len. Mach hops aufs So­fa, Jack!“ Er klopf­te mit sei­ner lin­ken Hand auf die Stel­le ne­ben ihm und Jack sprang freu­dig zu ihm hin­auf. Au­gen­ver­dre­hend ging ich zur Tür hinaus.

Wir hat­ten ei­nen schö­nen Abend beim Ja­pa­ner und mit vol­len Bäu­chen ka­men wir nach Hau­se zu­rück. Als Ju­an den Schlüs­sel im Schloss dreh­te, hör­ten wir von drin­nen be­reits Jack auf die Tür zu­lau­fen. Das üb­li­che Ge­bell begann.

Ju­an be­grüß­te sei­nen Hund und ging in die Woh­nung, wäh­rend ich noch ei­nen Mo­ment war­te­te, bis der Tru­bel an der Tür sich ge­legt hat­te. Ich ver­mied den Kon­takt mit dem Hund, wenn sich mir die Mög­lich­keit bot.

Oh je, der ar­me Hund Jack war gelangweilt

„Oh nein!“, hör­te ich Ju­an von drin­nen ru­fen. „Ach herr­je! Oh nein, oh nein, oh nein!“

„Was ist denn los?“, frag­te ich, wäh­rend ich ein­trat und die Woh­nungs­tür hin­ter mir schloss.

„Das Pro­gramm ist ab­ge­stürzt. Schon nach zehn Mi­nu­ten. Der ar­me Jack muss sich ganz fürch­ter­lich ge­lang­weilt haben“

„Was, wirk­lich?“

„Ja.“ Ju­an wirk­te ernst­haft bedrückt.

„Oh je, der ar­me, ar­me Jack“, sag­te ich und muss­te mir wirk­lich Mü­he ge­ben, den Lach­an­fall, der sich in mir auf­bau­te, zu­rück­zu­hal­ten. „Wie furcht­bar er sich ge­lang­weilt ha­ben muss. Das tut mir schreck­lich leid für ihn.“

„Komm her, Jack!“, rief Ju­an sei­nen Hund, der so­gleich an­ge­lau­fen kam und von sei­nem Herr­chen aus­gie­big ge­strei­chelt und um­sorgt wur­de. „Das tut Pa­pa so leid, mein Kleiner.“

„Ich ge­be Jack jetzt ein Le­cker­chen. Als Ent­schä­di­gung. Das hat er sich heu­te wirk­lich ver­dient. Ja, komm!“

Ju­an ver­schwand mit sei­nem Hund in der Kü­che und wäh­rend ich hör­te, wie er die Ver­pa­ckung des Hun­de­fut­ters auf­riss und der Hund kurz dar­auf in ein lau­tes, zu­frie­de­nes Schmat­zen aus­brach, ge­stat­te­te ich mir end­lich ein lan­ges und brei­tes Lächeln.

Er schäm­te sich, woll­te mich nicht anschauen

Mi­guel hol­te mich von zu­hau­se ab. Wir hat­ten ei­ni­ges ge­plant für heu­te: doch zu­al­ler­erst brauch­te ich ei­nen neu­en Tauch­an­zug. Und so fuh­ren wir shoppen.

Der La­den hat­te ei­ne statt­li­che Aus­wahl schö­ner Neo­pren­an­zü­ge in den ver­schie­dens­ten Far­ben, doch selbst­ver­ständ­lich schau­te ich mich nach ei­nem schwar­zen um. Di­rekt fand ich ein schö­nes Mo­dell und Mi­guel folg­te mir – wie ge­wohnt et­was schüch­tern – zur An­pro­be. Der An­zug saß per­fekt, das Neo­pren schmieg­te sich eng an mei­nen Kör­per und ich be­kam di­rekt Lust, da­mit tau­chen zu gehen.

Ich zog den Vor­hang der Um­klei­de­ka­bi­ne zur Sei­te, um Mi­guel mei­ne neue Tauch­klei­dung vor­zu­füh­ren. Er mus­ter­te mich ein­dring­lich von Kopf bis Fuß, schau­te ein we­nig ver­un­si­chert zur Sei­te und mur­mel­te et­was da­von, dass er schein­bar pass­te und mir sehr gut stand. „Er schämt sich, mich an­zu­se­hen“, dach­te ich mit ei­ner Mi­schung aus Er­stau­nen und Be­lus­ti­gung. Zu ger­ne hät­te ich ge­wusst, was in die­sem Mo­ment in sei­nem Kopf vor­ging. Mir war je­doch klar, dass ihn da­nach zu fra­gen ein aus­sichts­lo­ses Un­ter­fan­gen ge­we­sen wäre.

Ich ent­schied mich für den An­zug. Mi­guel hat­te Recht ge­habt, denn er schmei­chel­te mir wirk­lich. Au­ßer­dem war er von gu­ter Qua­li­tät und auch ich ge­fiel mir sehr dar­in. Als wir schließ­lich an der Kas­se zum Be­zah­len stan­den, hat­te sich noch ei­ni­ges mehr an­ge­sam­melt, das ich mit­neh­men woll­te: ein paar Füß­lin­ge, Un­ter­zie­her, Hand­schu­he… Ir­gend­was brauch­te man eben immer.

Mei­ne bei­den Män­ner wa­ren sich ziem­lich ähnlich

„Was hältst du von der hier?“, frag­te Mi­guel und hielt mir ei­ne Schnor­chel­mas­ke hin. „Sie sieht ir­gend­wie sehr prak­tisch aus und ich glau­be, für mich wä­re die ei­ne sehr gu­te Op­ti­on, weil der Schnor­chel schon dran ist. Ich at­me nicht so ger­ne durch den Mund. Du als Pro­fi kennst dich doch da si­cher­lich aus.“ Es war die glei­che Mas­ke, nach der Ju­an mich im Som­mer schon ge­fragt hat­te und wie­der ein­mal stand mir klar vor Au­gen, wie ähn­lich sich die­se bei­den Män­ner im Grun­de wa­ren. Mit ei­ni­ger Schwie­rig­keit un­ter­drück­te ich ein Ki­chern, doch ich spür­te wie sich ein klei­nes, be­lus­tig­tes Schmun­zeln in mei­ne Mund­win­kel schlich. „Ich ha­be ge­hört, die sol­len sehr gut sein“, ant­wor­te­te ich wahrheitsgemäß.

Ne­ben­ein­an­der und be­packt mit Tü­ten schlen­der­ten wir schließ­lich zum Au­to zu­rück. Es war noch früh, ge­ra­de ein­mal sechs Uhr und wir woll­ten in die Ki­no­vor­stel­lung um acht. Trotz­dem ent­schie­den wir uns, schon ein­mal zum Ein­kaufs­zen­trum, in dem sich das Ki­no be­fand, zu fah­ren und dann dort vor Ort zu ent­schei­den, wie wir uns die rest­li­che Zeit ver­trei­ben wür­den. An­ge­bo­te gab es dort im­mer­hin reichlich.

Kif­fen im Au­to in Spa­ni­en ist kei­ne so gu­te Idee

Mi­guel mach­te ei­nen ner­vö­sen Ein­druck, wäh­rend wir im Au­to sa­ßen, nes­tel­te an sei­nem Haar oder sei­nen Ho­sen­ta­schen her­um oder rieb sich das Ohr­läpp­chen. Schließ­lich griff er nach sei­ner Ja­cke, die hin­ter ihm im Au­to lag und hol­te aus ei­ner der Ta­schen et­was her­aus. Als ich er­kann­te, was es war, blieb mir für ei­nen Mo­ment die Luft weg vor lau­ter Unglauben.

„Das ist doch jetzt nicht dein Ernst!“, rief ich be­stürzt aus. Schuld­be­wusst sah Mi­guel zur Sei­te, fuhr je­doch un­be­irrt fort und nun war mir schließ­lich klar, wo­nach er such­te: nach ei­nem Feuerzeug.

„Steck den Joint weg, ver­dammt noch mal! Du kannst doch nicht ernst­haft beim Au­to­fah­ren kif­fen wol­len.“ So lang­sam wur­de ich wirk­lich sau­er. Zwar war ich von den Spa­ni­ern mitt­ler­wei­le ei­ni­ges ge­wohnt, was Dro­gen­kon­sum an­ging und wuss­te auch, dass das ein oder an­de­re hier et­was lo­cke­rer ge­se­hen wur­de, aber das war ein­fach zu viel des Guten.

Ver­schämt nahm er den Joint aus dem Mund und steck­te ihn zu­rück in sei­ne Ja­cke. Den Rest des We­ges war er ziem­lich schweig­sam und ich eben­so. Sein Ver­hal­ten stieß mich ab und ich war un­si­cher, ob und wie ich da­mit um­ge­hen woll­te. Es gab Din­ge, die ich gut über­se­hen konn­te und an­de­re, bei de­nen das nicht so oh­ne wei­te­res mög­lich war: zwang­haf­ter Dro­gen­kon­sum ge­hör­te de­fi­ni­tiv zu letz­te­rer Sorte.

Man­che Ker­le ha­ben Pro­ble­me, Ent­schei­dun­gen zu treffen

Im Ein­kaufs­zen­trum an­ge­kom­men ent­schie­den wir uns zu­nächst ein­mal da­für, in ei­ner ru­hi­gen Ecke ei­nen Kaf­fee zu ge­nie­ßen und zo­gen uns in ei­ne klei­ne Bar zurück.

„Wo wol­len wir sit­zen?“, frag­te ich Mi­guel und ver­harr­te ei­ne Schritt­län­ge hin­ter ihm. „Oh ich, ähm, al­so wo möch­test du denn sit­zen?“ „Ir­gend­wo. Such dir ei­nen Platz aus“, gab ich zu­rück. Un­fass­bar, was für Pro­ble­me man­che Män­ner mit so ein­fa­chen Ent­schei­dun­gen ha­ben konn­ten. Und er war da im­mer­hin nicht der Ein­zi­ge, der mir auf An­hieb ein­fiel. Nach­dem er sich ei­ni­ge Au­gen­bli­cke spä­ter noch im­mer nicht ge­rührt hat­te, son­dern nur fie­ber­haft mit sei­nen Au­gen den Raum ab­such­te, ging ich mit ei­nem Seuf­zen an ihm vor­bei und steu­er­te ge­ra­de­wegs auf ei­nen Tisch zu. „Siehst du, so schwer ist das doch gar nicht“, dach­te ich mir, als ich merk­te, dass er mir kurz dar­auf folg­te, wenn auch noch im­mer et­was zögerlich.

Je­der hat­te ei­ne zwei­te Chan­ce ver­dient – auch Miguel

Als wir uns schließ­lich auf den Weg zum Kar­ten­schal­ter mach­ten, hat­te die Stim­mung sich ge­lo­ckert und Mi­guel war wie­der gu­ter Din­ge. Er plap­per­te fröh­lich und ich ge­noss die Zeit mit ihm. Ei­ni­ge Me­ter vor der Kas­se hiel­ten wir schließ­lich an. Wir hat­ten uns noch nicht für ei­nen Film ent­schie­den und in­ter­es­siert be­trach­te­te ich die Plakate.

„Was für ei­nen Film soll­te ich wohl am bes­ten mit ihm ge­mein­sam se­hen?“, frag­te ich mich ge­ra­de und ent­schied, ihm ei­ne zwei­te Chan­ce zu ge­ben und ihn noch ein­mal nach sei­ner Mei­nung zu fra­gen. Viel­leicht wür­de er sich die­ses Mal ein we­nig ent­schlos­se­ner geben.

„Was magst du se­hen?“ „Hm, al­so ich weiß nicht so recht. Ent­schei­de du“, gab er wie auch da­vor schon zu­rück und ich be­gann mich ernst­haft zu fra­gen, war­um ich mir das nächs­te Bürsch­chen ge­sucht hat­te. Auch Ju­an war bis­wei­len nicht wirk­lich ent­schei­dungs­freu­dig ge­we­sen, wo­bei Ent­schei­dungs­freu­dig­keit ei­ne Ei­gen­schaft ist, die mir am männ­li­chen Ge­schlecht nor­ma­ler­wei­se be­son­ders zu­sagt. Viel­leicht auch ge­ra­de, weil ein so ekla­tan­ter Man­gel dar­an herrsch­te, dass es ge­ra­de­zu her­aus­stach, wenn sich ein Ex­em­plar fand, das des­sen mäch­tig war.

Er ka­pier­te das ein­fachs­te weib­li­che Si­gnal nicht

„Komm, wir ho­len Kar­ten für Star Trek“, ent­schied ich al­so. Es war das, wo­nach mir ge­ra­de am ehes­ten zu­mu­te war.

Der Ki­no­saal dun­kel­te sich lang­sam ab, die Lein­wand be­gann zu flim­mern und der Ge­ruch von Pop­corn um­hüll­te uns. „Ach, die­ses Knis­tern, das auf­kommt, so­bald man das ers­te Mal mit­ein­an­der ins Ki­no geht“, dach­te ich. Ob er wohl mei­ne Hand neh­men würde?

Ge­spannt war­te­te ich ab. Der Film ver­strich zu­se­hends und Mi­guel ließ sei­ne Ge­le­gen­heit un­ge­nutzt. „Nun mach doch end­lich mal was!“, ging es mir durch den Kopf. Als nach der Hälf­te des Films im­mer noch nichts ge­sche­hen war, lehn­te ich mei­nen Kopf an sei­ne Schul­ter und spür­te kurz dar­auf, wie er sei­nen Kopf auf mei­nen leg­te. Ich ge­noss das Ge­fühl sei­ner Nä­he für ei­ne Wei­le, rich­te­te mich je­doch wie­der auf, als mein Na­cken schmerz­haft zu zie­hen be­gann und sein Kopf an­fing, ei­nen un­an­ge­neh­men Druck auf mich aus­zu­üben. Nun wä­re es an ihm, die In­itia­ti­ve zu er­grei­fen. Ich mach­te es ihm leicht und ließ mei­ne Hand auf der Leh­ne lie­gen. Es wä­re so einfach.

Mi­guel lä­chel­te mich schüch­tern an – hat­te er Angst?

Durch die Sitz­rei­hen mach­ten wir uns auf den Weg zum Aus­gang, stie­gen über auf dem Bo­den lie­gen­des Pop­corn und Ge­trän­ke­be­häl­ter. Der Film hat­te uns bei­den ge­fal­len und gu­ter Lau­ne mach­ten wir uns auf den Heim­weg. Mi­guel wür­de mich zu­hau­se ab­set­zen, be­vor auch er heim­kehr­te. Wi­der mei­nes Er­war­tens hat­te er die Ge­le­gen­heit nicht ge­nutzt und wäh­rend des ge­sam­ten Films kei­ne wei­te­re Nä­he zu mir ge­sucht. Zwar war mir be­wusst, dass er schüch­tern war, aber ein so ein­deu­ti­ges Zei­chen nicht zu er­ken­nen oder sich trotz al­lem nicht zu trau­en, blieb mir un­vor­stell­bar. Auf­ge­regt er­war­te­te ich, wie er sich wohl von mir ver­ab­schie­den würde.

Er hielt vor mei­nem Haus. Ich öff­ne­te die Tür und stieg aus. Von der an­de­ren Sei­te des Au­tos her hör­te ich Mi­guels Tür zu­schla­gen und kurz dar­auf er­schien er ne­ben mir. Schüch­tern lä­chel­te er mich an. Un­will­kür­lich brei­te­te ich die Ar­me aus, zog ihn an mich und hielt ihn so ei­ne gan­ze Wei­le fest. Wir bei­de ge­nos­sen die­se Nä­he mit­ein­an­der und ei­ne Wo­ge woh­li­gen Schwei­gens kam über uns, wäh­rend ich die Ru­he und Un­ge­stört­heit des Mo­ments in mich aufnahm.

Ich fühl­te mich ge­hal­ten und sehr, sehr wohl bei ihm. Lang­sam lös­te ich mich ein Stück von ihm, um ihm bes­ser ins Ge­sicht und die schö­nen, blau­en Au­gen se­hen zu kön­nen. Wür­de er mich nun küs­sen? Es war der per­fek­te Zeit­punkt. Ei­nen Au­gen­blick lang harr­te ich aus, wohl­wis­send dass die­ser Schritt von ihm kom­men muss­te, egal wie sehr ich ihn mir her­bei­sehn­te. „Komm schon, wir wol­len es doch bei­de!“ Ich schürz­te die Lip­pen, nur ganz we­nig, doch ge­nug als dass er es ge­merkt ha­ben muss­te und war­te­te noch ei­nen Mo­ment. Er je­doch zö­ger­te und die Ge­le­gen­heit verstrich.

Er küss­te mich wi­der Er­war­ten zärt­lich auf den Mund

„Gu­te Nacht“, flüs­ter­te ich ihm zu, dreh­te mich um und ver­schwand ei­ni­ge Mi­nu­ten spä­ter hin­ter der Tür mei­nes Hau­ses. Er hat­te mir noch et­was sa­gen, mich noch nicht ge­hen las­sen wol­len, das hat­te ich an sei­nem Ge­sicht ge­se­hen, je­doch war der Zeit­punkt da ge­we­sen. Ich nahm es ihm nicht übel, schließ­lich hat­te ich noch im­mer ein Lä­cheln auf den Lip­pen, die Er­in­ne­rung an das tie­fe Blau sei­ner Au­gen und die Wär­me sei­ner Um­ar­mung an mei­nem Kör­per. „Trau dich“, schrieb ich ihm schließ­lich. Die Nach­richt war ein­deu­tig und viel­leicht brauch­te er tat­säch­lich ei­ne kla­re An­sa­ge. „Das wer­de ich“, kam kurz dar­auf sei­ne Ant­wort. Ich lächelte.

Es war die 42. von 50 Näch­ten. Ei­ne wei­te­re Spa­ni­sch­lek­ti­on und ich hat­te kei­ne Lust zu Ju­an zu fah­ren. Ich hat­te ge­nug. Als er mich an der Haus­tür emp­fing, hielt ich ihm die Wan­ge zur Be­grü­ßung hin, er je­doch nahm mein Ge­sicht zwi­schen sei­ne Hän­de und gab mir ei­nen zärt­li­chen Kuss auf den Mund.

„Hal­lo, komm rein. Wor­auf hast du Lust heu­te?“ Er schlang sei­nen Arm um mich und drück­te mich an sich, dann gab er mir noch ei­nen Kuss auf die Wan­ge. Was war denn heu­te los mit ihm? So lie­be­voll war er in den letz­ten Ta­gen nie gewesen.

„Ehr­lich ge­sagt ist mir gar nicht so be­son­ders da­nach, ir­gend­was zu tun. Wol­len wir uns ein­fach ei­nen ge­müt­li­chen Abend ma­chen? Ei­nen le­cke­ren Wein, Scho­ko­la­de, ein biss­chen fau­len­zen und auf dem So­fa kuscheln?“

„Klar, klingt gut. Gehst du in der Kü­che mal nach Scho­ko­la­de su­chen? Ich be­rei­te hier al­les vor. Wo der Wein steht, weißt du ja.“

Woll­te Ju­an nur fern­se­hen bis ans En­de der Beziehung?

Ei­ni­ge Au­gen­bli­cke spä­ter kehr­te ich mit ei­ner Fla­sche Weiß­wein und Ha­sel­nuss­scho­ko­la­de ins Wohn­zim­mer zu­rück. Er hat­te das Licht ge­dimmt, das So­fa aus­ge­zo­gen und ei­ne De­cke aus dem Schlaf­zim­mer ge­holt. Dies wür­de ein ku­sche­li­ger Abend wer­den. Wäh­rend ich ge­ra­de zwei Wein­glä­ser aus dem Schrank nahm, um uns bei­den ein­zu­gie­ßen, frag­te Ju­an plötz­lich: „Was hältst du da­von, wenn wir ei­nen Se­ri­en­ma­ra­thon ma­chen? Ei­nen rich­tig lan­gen? Al­le Fol­gen How I met your mo­ther bis zum En­de un­se­rer Be­zie­hung?“ „Du weißt, dass uns nur noch we­ni­ge Näch­te blei­ben, oder?“ Un­gläu­big sah ich in an, be­gann aber fast im sel­ben Mo­ment wie er zu grin­sen. „Aber in Ord­nung, stel­len wir uns der Herausforderung!“

Ich lüm­mel­te mich ne­ben ihn aufs So­fa und schon spiel­te er die ers­te Fol­ge ab. Es folg­ten die­ser noch vie­le wei­te­re an die­sem Abend, Ju­an hat­te be­reits zu­vor Be­kannt­schaft mit mei­nem Ehr­geiz und mei­ner Dick­köp­fig­keit gemacht.

Sein Groß­el­tern auf Kom­man­do begrüßen?

Wir mach­ten ge­ra­de ei­ne Pau­se. Das Ge­spräch dreh­te sich – nach­dem Jack mehr­mals sein ei­ge­nes Stand­bild, das als Bild­schirm­scho­ner auf Ju­ans Bild­schirm auf­ge­taucht war, trotz wie­der­hol­ter, ver­geb­li­cher Ver­su­che Ju­ans, ihn da­von ab­zu­hal­ten, an­ge­leckt hat­te – nur noch um Hundeerziehung.

In der Ver­gan­gen­heit hat­te ich Ju­an wohl­wis­send, dass es stimm­te, schon oft vor­ge­wor­fen, er ha­be sei­nen Hund nicht im Griff und er hat­te sei­ner­seits nun dar­auf er­wi­dert, dass Jack so­gar auf be­stimm­te Wor­te re­agie­ren kön­ne. Das ver­such­te er mir nun an­hand aus­ge­wähl­ter Bei­spie­le zu de­mons­trie­ren, wäh­rend sein Hund be­reits wie­der zur Stel­le war.

„Pass auf, wenn ich sa­ge „ab­ue­li­tos“ rennt er zur Tür, um sei­ne Groß­el­tern zu be­grü­ßen.“ „Groß­el­tern? Der Mann sieht den Hund tat­säch­lich als sein Kind an“, dach­te ich resigniert.

„Jack!“, rief er sei­nen Hund. „Ab­ue­li­tos!“ Wie vom Blitz ge­trof­fen ras­te Jack auf die Tür zu, schlug ei­nen Ha­ken, rutsch­te bei­na­he aus und sprang schwanz­we­delnd auf sei­nen Lieb­lings­ses­sel, wo er bel­lend hin und her trippelte.

Jack soll­te jetzt kei­nen Schin­ken mehr bekommen

„Das klappt ja wun­der­bar“, lach­te ich laut los. Im­mer­hin war dies mitt­ler­wei­le sein sechs­ter Ver­such ge­we­sen. Stand­haft wei­ger­te er sich trotz al­lem zu glau­ben, dass sein Hund ein­fach nicht gut er­zo­gen war. Jack da­ge­gen schien das Spiel zu ge­nie­ßen. Fröh­lich hops­te er auf sei­nem Ses­sel her­um, lief Ju­an zwi­schen die Fü­ße oder schnup­per­te auf­ge­regt an sei­ner Wes­te. Ich ver­dreh­te die Au­gen, so­bald ich an die mit Sams Na­men ver­se­he­ne Wes­te dach­te. „Ein wirk­lich al­ler­letz­ter Ver­such“, be­gann Ju­an. „Ich schwö­re, das funk­tio­niert im­mer! Du wirst se­hen, gleich rennt Jack in die Kü­che und war­tet vor dem Kühlschrank.“

„Jack, Schin­ken!“ Wie­der ras­te der Hund los, rann­te quer durch die Woh­nung aufs Fens­ter zu und blick­te Ju­an er­war­tungs­voll an. Der ließ ent­mu­tigt die Schul­tern sin­ken. „Komm, lass uns wei­ter­schau­en“, sag­te ich zu ihm und drück­te ihn an mich. Ein tri­um­phie­ren­des Grin­sen konn­te ich mir al­ler­dings nicht verkneifen.

Ge­ra­de als Ju­an die Fern­be­die­nung zur Hand nahm, kam Jack an­ge­lau­fen, bell­te und lief schwanz­we­delnd in Rich­tung Küche.

„Glaub mir, jetzt be­kommst du auch kei­nen Schin­ken mehr!“, rief Ju­an ihm nach und bei­de fin­gen wir an zu lachen.

Das Sham­poo mit dem ganz be­son­de­ren Duft

Un­se­re letz­te Wo­che brach an und wir tra­fen uns zu un­se­rem letz­ten Frei­tags­ein­kauf im Car­re­four. Als wir durch die Gän­ge schlen­der­ten, die üb­li­chen Sa­chen in den Ein­kaufs­wa­gen pack­ten und ziem­lich in un­se­rem All­tags­trott ver­sun­ken wa­ren, steu­er­te Ju­an plötz­lich auf ei­ne Rei­he von An­ti­haar­aus­fall-Sham­poos zu, die ge­ra­de of­fen­sicht­lich im An­ge­bot waren.

„Wel­cher Ge­ruch ge­fällt dir am bes­ten? Min­ze, Ap­fel oder Zi­tro­ne?“, frag­te er. „Zi­tro­ne.“ Mit ei­nem Lä­cheln sah ich, wie das Sham­poo mit Zi­tro­nen­duft von sei­ner Hand in den Ein­kaufs­wa­gen glitt und frag­te mich gleich­zei­tig, war­um er trotz nur noch ei­ner ver­blei­ben­den Wo­che nun mich nach mei­ner Mei­nung frag­te und nicht kauf­te, was ihm gefiel.

„Du bist süch­tig nach mir. Kein Wun­der.“ Ju­an roll­te sich auf den Rü­cken und be­trach­te­te selbst­ge­fäl­lig sei­ne Schlaf­zim­mer­de­cke. „Wie ar­ro­gant von ihm“, dach­te ich. „Er ist echt der ein­zi­ge Mann, den ich ken­ne, der denkt, ich könn­te so­wie­so nicht an­ders, als ver­rückt nach ihm zu sein. So­wie­so ist er der Al­ler­bes­te im Bett.“ Ich ver­dreh­te die Au­gen. Ei­gent­lich war er ja der Al­ler­bes­te in allem.

„Es ist ja auch nicht dei­ne Schuld“, ver­such­te er mich of­fen­bar zu trös­ten. „Spa­ni­er sind ein­fach gut im Bett.“

„Mit „Spa­ni­er“ meinst du dich oder?“, frag­te ich zwei­felnd nach.

Al­le Spa­ni­er sind von Hau­se aus gut im Bett?

„Nein. Spa­ni­er grund­sätz­lich. Al­le Spa­ni­er sind gut im Bett. Je­der. Da gibt’s so­gar Sta­tis­ti­ken drü­ber.“ Tri­um­phie­rend hielt er mir sein Te­le­fon hin. Er hat­te ei­ne spa­ni­sche Web­sei­te auf­ge­ru­fen, bei der die Spa­ni­er die Top 10 der welt­bes­ten Män­ner im Sex an­führ­ten. Ich zück­te mein Han­dy, in der Ge­wiss­heit, dass auf ei­ner deut­schen Web­sei­te das Er­geb­nis ganz an­ders aus­fal­len wür­de. Doch egal wo ich such­te, über­all schie­nen die Spa­ni­er tat­säch­lich die Füh­rungs­po­si­ti­on in­ne­zu­ha­ben. Re­si­gniert leg­te ich mein Han­dy zur Sei­te. Er grins­te mich breit an. „Glaub mir, ich kann dir noch viel mehr über Män­ner bei­brin­gen. Zum Bei­spiel, wor­an man er­kennt, ob ein Mann ei­nen gro­ßen Pe­nis hat. Al­le Frau­en ste­hen näm­lich auf gro­ße Penisse.“

Un­gläu­big blin­zelnd sah ich ihn an. „Meinst du das ernst?“ „Na­tür­lich. Glau­be mir, ich ha­be da wirk­lich Ah­nung. Auf je­den Fall ist das bei al­len Spa­nie­rin­nen so. Ich weiß, was Frau­en wollen.“

„Ju­an, du goo­gelst Sät­ze, die Frau­en sa­gen, um her­aus­zu­fin­den, was sie bedeuten!“

Er hat­te tat­säch­lich den An­stand, we­nigs­tens ein­mal zu Bo­den zu bli­cken und sich des­sen, was ich ge­sagt hat­te, be­wusst zu wer­den, be­vor er fort­fuhr. „Ja, aber das ist et­was ganz an­de­res. Glaub mir, ich weiß das wirk­lich. Und ob ein Mann ei­nen gro­ßen Pe­nis hat, er­kennst du an der Kör­per­grö­ße. Ob er auch noch dick ist kann man üb­ri­gens an den Fin­gern sehen.“

En­de Ok­to­ber wür­de al­les en­den – leider

Ich be­gann zu la­chen. „Ich hab in mei­nem Le­ben si­cher schon mehr Schwän­ze ge­se­hen als du, ich brau­che da jetzt kei­ne wei­te­ren Lek­tio­nen. Das ist doch so­wie­so al­les Quatsch!“

Er sah mich scho­ckiert an, aber je­den­falls hat­te ich nun mei­ne Ru­he. Wie so oft sa­ßen wir ge­mein­sam beim Früh­stück in un­se­rer Bar. Ge­ra­de hat­ten wir dar­über ge­spro­chen, was der je­weils an­de­re den gan­zen Win­ter über tun wür­de und dar­über, dass vie­le Din­ge im Ok­to­ber en­den wür­den. Es war ei­ne sehr in­di­rek­te Un­ter­hal­tung und doch merk­ten wir bei­de ir­gend­wie, wor­um es ei­gent­lich ging.

„Wir ha­ben noch vier Staf­feln How I met your mo­ther vor uns“, sag­te Ju­an. „Meinst du, wir schaf­fen das in ei­ner Wo­che noch?“

„Auf je­den Fall wer­den wir uns ran­hal­ten müs­sen.“ Ei­ne merk­wür­di­ge Stil­le hing zwi­schen uns. Die Pau­se, die schließ­lich ent­stand, war schon fast un­an­ge­nehm. Nach ei­ner Wei­le sag­te ich: „Hör mal, lass uns nicht über das Da­nach nach­den­ken, ja? Lass uns die­se letz­te Wo­che mit­ein­an­der noch er­le­ben, so als wä­re nichts pas­siert. Als ob das En­de noch nicht be­vor­ste­hen würde.“

Vor un­se­rem nächs­ten Tref­fen wur­de ich krank. Fie­bernd lag ich auf dem So­fa, wäh­rend auf dem Bild­schirm un­se­re Se­rie lief. Ju­an wech­sel­te heu­te die Bett­wä­sche, da es mir merk­lich im­mer schlech­ter ging. Ei­nes von 50 Mal, das mir er­spart blieb. Spä­ter kroch er zu mir un­ter die vie­len De­cken, un­ter de­nen ich lag und fror, wärm­te und um­arm­te mich, bis wir schließ­lich früh im Bett verschwanden.

Der Hund ku­schel­te sich ein­fach mit uns ins Bett

„Se­hen wir uns mor­gen? Uns fehlt noch ei­ne Nacht, be­vor der Mo­nat ab­läuft.“ Die letz­ten Ta­ge hat­te ich bei­na­he völ­lig ver­schla­fen und im­mer noch fühl­te ich mich un­wohl und lag im Bett, je­doch ging es mir schon viel bes­ser, als noch ein paar Ta­ge zu­vor. „Nur, wenn es dir gut geht und du ge­sund bist. Aber glaub mir, der schlimms­te Tag steht dir mor­gen erst be­vor. Ich bin ein rich­ti­ger Er­käl­tungs­exper­te.“ Da al­ler­dings muss­te ich ihm aus­nahms­wei­se – oh­ne auch nur dar­über nach­zu­den­ken – zu­stim­men: nie­mand sonst, den ich kann­te, hat­te in ver­gleich­ba­rer Zeit so vie­le Er­käl­tun­gen hin­ter sich gebracht.

Tat­säch­lich ging es mir am nächs­ten Tag al­ler­dings viel bes­ser. Ich mach­te mich al­so auf den Weg zu Ju­an – auf den Weg zu un­se­rer vor­letz­ten ge­mein­sa­men Nacht. Ein selt­sa­mer Ge­dan­ke, der mich ir­gend­wie auch mit Freu­de erfüllte.

Ju­an küss­te mich, als ich an­kam und wir ver­schwan­den re­la­tiv schnell im Schlaf­zim­mer. Fast ma­nisch wa­ren wir da­von be­ses­sen, un­se­re Se­rie noch ge­mein­sam zu En­de zu se­hen. Das Bett be­zog ich heu­te nicht mehr neu. Ich hat­te ge­nug da­von. Aber auch an­de­re Bräu­che ver­flo­gen zu­se­hends: wir hat­ten es uns ge­ra­de be­quem ge­macht – ich lag in Ju­ans Arm – als Jack durch die of­fe­ne Tür spa­ziert kam und sich an Ju­ans an­de­re Sei­te ku­schel­te. Ver­flucht, jetzt war mitt­ler­wei­le so­gar der Hund im Bett!

Sein Hund ge­hör­te für ihn wirk­lich zur en­ge­ren Familie

„Wie schön, jetzt ist die gan­ze Fa­mi­lie bei­sam­men!“, sag­te Ju­an beschwingt.

Ich sag­te nichts da­zu. In der vor­letz­ten Nacht noch Streit zu ris­kie­ren, war ein­fach nicht mei­ne Art.

Am nächs­ten Mor­gen wach­te ich aus­ge­ruht auf und hat­te so gut ge­schla­fen wie noch nie zu­vor wäh­rend der ver­gan­ge­nen 48 Näch­te. Selbst die Tat­sa­che, dass Jack, der wäh­rend der Nacht dann doch noch aus dem Bett ver­bannt wor­den war, wie­der ein­mal ei­nen Hau­fen in die Kü­che ge­macht hat­te, konn­te an die­sem Mor­gen mei­ne Lau­ne nicht trü­ben. Ich stand al­so di­rekt beim We­cker­klin­geln mit Ju­an auf, et­was, das ich nor­ma­ler­wei­se vor lau­ter Mü­dig­keit nie ge­tan hat­te. Sei­ne Ver­wir­rung war ihm an­zu­se­hen und mein Ver­hal­ten schien ihm nicht son­der­lich zu be­ha­gen. „Leg dich ru­hig noch­mal hin“, sag­te er schließ­lich. „Du weißt, nun ja, ich ste­he im­mer früh auf, aber du musst des­we­gen nicht auch di­rekt aus dem Bett kommen.“

Be­reit­wil­lig ging ich ins Bett zu­rück und roll­te mich un­ter der De­cke zu­sam­men. Doch es ge­lang mir nicht so rich­tig noch ein we­nig wei­ter­zu­schlum­mern und so stand ich nach meh­re­ren ver­geb­li­chen Ver­su­chen auf und ent­schied, mir ei­nen Kaf­fee zu ma­chen. Auf dem Weg in die Kü­che hör­te ich Mu­sik aus dem Bad. Ju­an hör­te nie Musik…

49 Näch­te – nur noch ei­ne fehl­te uns zur Vollendung

Und da plötz­lich däm­mer­te es mir: er stand ex­tra früh auf, da­mit ich mor­gens nicht mit­be­kam, wie er auf die Toi­let­te ging. Ob­wohl wir be­reits 49 Näch­te mit­ein­an­der ver­bracht hat­ten und vie­le Hem­mun­gen in die­ser Zeit ge­fal­len wa­ren, schäm­te er sich für die­ses nun­mehr doch mehr als na­tür­li­che Be­dürf­nis. Im­mer­hin war er nun schon mehr als zwan­zig Mi­nu­ten im Bad. Un­schlüs­sig, ob ich sein Ver­hal­ten nur un­reif oder zu­min­dest noch lus­tig fand, mach­te ich mich auf den Weg zur Kaf­fee­ma­schi­ne. Un­se­re letz­te Nacht war ge­kom­men, es war die fünf­zigs­te. Die Nacht, vor der wir uns ge­fürch­tet, nach der wir uns ge­sehnt und die uns vor al­lem nie ganz los­ge­las­sen hatte.

Von An­fang an hat­te sie nach uns ge­grif­fen und war un­auf­halt­sam nä­her ge­rückt. Ich blick­te zu­rück auf das ver­gan­ge­ne hal­be Jahr: ge­mein­sam hat­ten wir das gan­ze Spek­trum der Ge­fühls­welt er­lebt – Freu­de, Wut, Ent­täu­schung, Leid, Lie­be, Trau­er und Lust. Nicht im­mer war es ein­fach ge­we­sen und oft ge­nug schwe­rer, als ich es mir hät­te vor­stel­len können.

In den letz­ten Mo­na­ten war ich oft ge­nug na­he dar­an ge­we­sen auf­zu­ge­ben. Doch heu­te an die­sem al­les ent­schei­den­den Tag, sah ich, dass es gut ge­we­sen war zu war­ten, dass es al­les Er­leb­te zer­stört hät­te, in Wut ge­trenn­te We­ge zu ge­hen. Ver­mut­lich hat­te un­ser Ver­trag so­gar un­se­re Be­zie­hung ge­ret­tet – wir wür­den uns oh­ne Streit heu­te tren­nen kön­nen, frei von Wut, Ent­täu­schung und Vorwürfen.

Die­sen letz­ten Tag wür­den wir ge­nie­ßen und ich woll­te all die Miss­ver­ständ­nis­se und Strei­tig­kei­ten der vor­an­ge­gan­ge­nen Mo­na­te end­gül­tig hin­ter mir las­sen. Wir wür­den un­se­re Lie­be mit die­sem letz­ten Tag und un­se­rer Tren­nung nicht be­schmut­zen, son­dern sie fei­ern, sie so fei­ern wie wir es das letz­te hal­be Jahr ge­tan hat­ten. Und des­we­gen war ich bereit.

Ju­an gab sei­ne Ver­feh­lung un­um­wun­den zu

So gut mei­ne Vor­sät­ze auch ge­we­sen wa­ren, lan­ge hiel­ten sie je­doch nicht an. Ju­an und ich wa­ren bei ei­nem neu­en Ja­pa­ner zum Es­sen ver­ab­re­det, doch als ich am ver­ein­bar­ten Treff­punkt auf­tauch­te, war von ihm kei­ne Spur. Als er kurz dar­auf – und das war für ihn ver­dammt pünkt­lich – auf mei­ne Nach­richt re­agier­te, er­klär­te er mir in sei­ner all­zu selbst­ge­fäl­li­gen Art, dass ich mich – na­tür­lich – am fal­schen Ort be­fand. Ich re­agier­te nicht und spür­te ei­ne un­glaub­li­che Wut in mir hoch­stei­gen, weil er mich schon wie­der so un­ge­recht behandelte.

Ich war mir si­cher, ge­nau dort zu sein, wo wir ver­ab­re­det ge­we­sen wa­ren. Schon we­ni­ge Mi­nu­ten spä­ter er­reich­te mich ei­ne neue Nach­richt Ju­ans, in der er sei­ne Ver­feh­lung zu­gab und au­ßer­dem er­klär­te, er ha­be sich all­ge­mein im Ort ge­irrt. Ein neu­er Stand­ort kam di­rekt bei mir an, zu­sam­men mit dem An­ge­bot Ju­ans, mir ent­ge­gen zu kom­men. Als wir schließ­lich auf­ein­an­der­tra­fen, ent­schul­dig­te er sich er­neut und ob­wohl ich wuss­te, dass es un­nö­tig war, konn­te ich mich nicht zu­rück­hal­ten und sag­te: „Ach, du machst Fehler?“.

Auf die­se Ge­mein­heit folg­ten vie­le wei­te­re, ob­wohl ich mir fest vor­ge­nom­men hat­te, die­sen letz­ten Tag nicht zu rui­nie­ren, doch ich konn­te ein­fach nicht an­ders. Auch wäh­rend wir aßen, schaff­te ich es nicht, mich zusammenzureißen.

Ich woll­te ein­mal Ju­an zu Sex im Au­to überreden

„Ich weiß das, wirk­lich. Du kannst mir glau­ben.“ Er hat­te ge­ra­de ver­sucht, mir et­was zu er­klä­ren. Wie so oft, konn­te ich al­ler­dings nicht um­hin, mei­ne Zwei­fel dar­an zu ha­ben. Ich setz­te ein süf­fi­san­tes Grin­sen auf. „Aber na­tür­lich, du weißt doch al­les. Du bist ja auch ganz, ganz toll“, sag­te ich in An­spie­lung auf sei­ne Selbst­dar­stel­lung und Selbst­ver­liebt­heit, die mich in den letz­ten Mo­na­ten ei­ni­ge Ner­ven ge­kos­tet hatte.

„Aber ja. Ja, bin ich doch auch.“ Er wur­de im­mer klein­lau­ter und das un­aus­ge­spro­che­ne „Oder?“ hing in der Luft. In die­sem Mo­ment be­reu­te ich mein Ver­hal­ten schon wie­der. Das war nicht, was ich mir für un­se­ren letz­ten, ge­mein­sa­men Tag ge­wünscht hatte.

Lei­der war ich im­mer noch nicht fer­tig mit ihm. So­bald wir den Su­shi-La­den ver­las­sen hat­ten und zu sei­nem Au­to gin­gen, mach­te ich weiter.

„Oh schau mal, dein Au­to. Ein Vo­gel hat drauf­ge­kackt“, be­merk­te ich mit ge­spiel­tem Ent­set­zen. Ich er­in­ner­te mich nur all­zu leb­haft dar­an zu­rück, wie ich ein­mal ver­geb­lich ver­sucht hat­te, ihn zu Sex im Au­to zu über­re­den. Kein nor­ma­ler Mann hät­te die­ses An­ge­bot ab­ge­lehnt, für Ju­an je­doch kam es nicht in­fra­ge, sein Au­to der Ge­fahr aus­zu­set­zen, be­schmutzt und be­su­delt zu wer­den. Die Ver­göt­te­rung sei­nes wei­ßen Se­at kam bei­na­he der sei­nes Hun­des gleich.

Sein Lä­cheln ge­fiel mir – ich lieb­te es sehr

„Oh je!“, rief er aus. So mach­ten wir auf dem Weg nach Hau­se ei­nen Um­weg über die Wasch­an­la­ge und sein Au­to er­strahl­te un­ter­wegs wie­der in dem ge­wohn­ten Glanz. Auf der Fahrt plau­der­te er ver­gnügt, be­rich­te­te mir von sei­nen Plä­nen, die er ab Mon­tag hat­te und ich ver­kniff mir den Kom­men­tar, dass es mich ei­gent­lich nicht im Min­des­ten in­ter­es­sier­te, was er ab mor­gen tun würde.

„Was ist denn jetzt los? Ha­be ich et­was ver­passt?“ Ju­an blick­te mich er­schro­cken an, wäh­rend ich split­ter­fa­ser­nackt aus dem Bad kam. „Nein, wie­so?“, ent­geg­ne­te ich be­tont un­schul­dig und setz­te ein brei­tes Lä­cheln auf. „Ich ha­be nur ge­ra­de be­schlos­sen, den Rest des Ta­ges nackt zu verbringen.“

Ein Grin­sen stahl sich auf sein Ge­sicht. „Wie gut!“, strahl­te er. „Hältst du dich wirk­lich für so toll, wie du im­mer vor­gibst?“ Ich ver­such­te, ein klä­ren­des Ge­spräch mit ihm zu füh­ren, krampf­haft dar­um be­müht, mei­nen Frie­den mit ihm zu fin­den. Lang­sam hat­te ich ge­nug da­von, stän­dig zu sti­cheln und ihn zu ärgern.

„Na­tür­lich nicht“, ant­wor­te­te er ent­geis­tert. „Das ist doch nur so ei­ne Art zu re­den, nichts da­von war ernst ge­meint. Ich ma­che doch bloß Spaß. Ei­gent­lich dach­te ich, du weißt, dass mein Bild von mir nicht so gut ist und ich mich nicht für was Be­son­de­res oder Bes­se­res halte.“

Wir woll­ten ei­gent­lich nicht über das Da­nach sprechen

Ich schluck­te ein­mal kräf­tig und ver­fluch­te mein bis­he­ri­ges Ver­hal­ten. Er hielt mir die Hand hin und zog mich in sei­ne Ar­me, wäh­rend ich ihn eng um­schlang. „Mía“, flüs­ter­te er mir zu. Et­was, das er schon so lan­ge nicht mehr auf­rich­tig zu mir ge­sagt hat­te. Freu­dig stell­te ich fest, dass ich mich in die­sem Mann viel­leicht doch nicht so sehr ge­irrt hat­te, wie ich zwi­schen­durch schon glaub­te. Es war wie ein Auf­blit­zen frü­he­rer Ta­ge und die Er­in­ne­rung be­leb­te auch das Ge­fühl wie­der. Ich fühl­te mich end­lich aus­ge­gli­che­ner. „Lass uns un­se­re Se­rie wei­ter­gu­cken“, schlug ich ihm schließ­lich vor.

Ob­wohl wir uns fest vor­ge­nom­men hat­ten, nicht über das Da­nach zu spre­chen, kam mir der Ge­dan­ke doch im­mer wie­der hoch, oh­ne dass ich es un­ter­drü­cken konn­te. Fast un­will­kür­lich brach ich im­mer wie­der in Grü­be­lei aus. Ich fühl­te, dass die un­aus­ge­spro­che­ne Fra­ge, was pas­sie­ren wür­de, auch Ju­an be­schäf­tig­te: der Sex war viel zärt­li­cher als sonst und er mach­te oft ei­nen geis­tes­ab­we­sen­den und an­häng­li­chen Eindruck.

Mein Pro­jekt neig­te sich all­mäh­lich dem En­de zu

Ge­gen En­de des Abends rief ich mei­ne Ge­samt­sta­tis­tik über mei­ne Spa­nisch­stun­den auf. Ab mor­gen früh wür­de mein Pro­jekt of­fi­zi­ell als be­en­det gel­ten und ich hat­te die 1.000 Stun­den, die ich mir für die­sen Zeit­raum als Ziel ge­setzt hat­te, er­reicht – mein Spa­nisch war flie­ßend. Auch Ju­an war er­folg­reich ge­we­sen: mehr als fünf­zig Pro­zent die­ser Zeit hat­te ich durch ihn er­reicht, da­mit lag er auf Platz 1 mei­ner Sta­tis­tik. Wir bei­de konn­ten zu­frie­den sein.

„Was war ei­gent­lich dein schöns­ter Mo­ment in den letz­ten sechs Mo­na­ten?“, frag­te Ju­an mich, als wir im Bett la­gen. Ein letz­tes Mal hat­ten wir ge­mein­sam die Bett­la­ken ge­wech­selt und es war ein ech­ter Akt der Be­frei­ung ge­we­sen. „Oh, ich weiß nicht ge­nau“, ant­wor­te­te ich. „Ehr­lich ge­sagt ha­be ich mir dar­über noch gar kei­ne Ge­dan­ken ge­macht, und deiner?“

Ein ge­dan­ken­ver­sun­ke­nes Lä­cheln er­hell­te sein Ge­sicht. „Er­in­nerst du dich noch dar­an, als wir an mei­nem Ge­burts­tag am Strand ge­zel­tet ha­ben? Das Zelt im Sand, ein­zu­schla­fen zum Ge­räusch der Wel­len… das war mein schöns­ter Moment.“

Der Aus­zug aus Ju­ans Woh­nung stand bevor

Auch ich muss­te lä­cheln. „Ja, ich er­in­ne­re mich noch sehr gut. Die­sen Tag ha­be ich sehr ge­nos­sen, auch wenn es wie so oft et­was chao­tisch mit dir war.“ Wir ga­ben uns un­se­ren letz­ten Gute-Nacht-Kuss.

Es war Mit­tag. Am Mor­gen hat­te ich mei­ne letz­ten Sa­chen aus Ju­ans Woh­nung zu­sam­men­ge­packt. Bei­de hat­ten wir den gan­zen Mor­gen über ver­sucht, den Ge­dan­ken an die uns heu­te be­vor­ste­hen­de Tren­nung zu ver­mei­den. Wir woll­ten im Mo­ment le­ben, die Angst, vor dem, was uns be­vor­stand, noch nicht in un­se­re Her­zen las­sen, be­vor es über­haupt so weit war. Die Stim­mung war – ob­wohl bis­lang al­les ganz nor­mal ver­lief – un­ru­hig und an­ge­spannt und wir wuss­ten nicht recht, wie wir mit der Si­tua­ti­on nun am bes­ten um­ge­hen sollten.

Fürs Nach­hin­ein woll­ten wir die gu­ten Zei­ten bewahren

Ju­an hat­te auf dem Sei­ten­strei­fen ge­parkt; er war mit sei­nen El­tern zum Es­sen ver­ab­re­det und setz­te mich am Park ab, wo ich mich mit Tan­ja tref­fen wür­de. Der Mo­ment war ge­kom­men: wir wür­den uns ver­ab­schie­den und da­mit gleich­zei­tig un­se­re Tren­nung be­sie­geln. Es war der letz­te Mo­ment, um ihm die Din­ge, die mich be­schäf­tigt hat­ten, sa­gen zu kön­nen: wann und wie er mich ver­letzt hat­te, was er bei ei­ner neu­en Freun­din an­ders ma­chen sollte.

Doch statt­des­sen ent­schied ich, es un­ge­sagt zu las­sen, ihm die Vor­wür­fe zu er­spa­ren und dass er mir weh­ge­tan hat­te, ein­fach zu ver­ge­ben. Dar­um war es die gan­ze Zeit wäh­rend die­ses Pro­jek­tes ge­gan­gen: die schö­nen Sei­ten aus­zu­kos­ten und wenn man sich trennt, die Be­zie­hung eben nicht im Nach­hin­ein in schlech­tes Licht zu rü­cken. Ich woll­te nicht mehr für Schmerz und Leid sor­gen – er brauch­te all das nicht zu wissen.

Di­rekt zum deut­schen Traum

Be­vor wir uns ver­ab­schie­de­ten, gab es trotz­dem noch ei­ne letz­te Sa­che, die ich ihm sa­gen woll­te. „Ich weiß nun, was mein schöns­ter Mo­ment mit dir war.“

Über­rascht dreh­te er sich zu mir um. Er be­trach­te­te mich fra­gend. „Wel­cher?“

Ich woll­te Ju­an nicht ein­fach so ge­hen lassen

„Im Som­mer ha­ben wir ei­ne Wan­de­rung ge­macht und ei­nen Berg be­stie­gen. Den Gip­fel mit dir ge­mein­sam zu er­rei­chen, ob­wohl es an­stren­gend und müh­sam war und dort oben zu­sam­men die Aus­sicht zu ge­nie­ßen, das war mein schöns­ter Mo­ment.“ Ich lä­chel­te ihn viel­sa­gend an und er­blick­te Ver­ständ­nis in sei­nen Augen.

„Das wird nun al­so un­ser Adiós“, sag­te ich zu ihm. „Du Über­trei­be­rin“, gab er zu­rück, wäh­rend er mich fest an sich zog und wir uns an­ein­an­der drück­ten. Ich krall­te mei­ne Fin­ger in sei­ne Ja­cke und woll­te ihn für ei­nen Mo­ment nicht los­las­sen, denn ich war mir un­si­cher, ob ich ihn über­haupt je­mals ge­hen las­sen könnte.

„Dan­ke, Ju­an, dass du mir Spa­nisch bei­gebracht hast, es war nett mit dir. Tschüss.“ Ab­sicht­lich wähl­te ich ge­nau die­je­ni­gen Wor­te, die auch er da­mals zu mir sag­te, an dem Tag, als ich ihn of­fi­zi­ell zu mei­nem Freund mach­te. Und ich be­merk­te, dass er sich eben­falls noch all­zu gut dar­an erinnerte.

Er lä­chel­te mich an und gab mir ei­nen Kuss, doch kei­ner von uns konn­te sich über­win­den zu ge­hen, wäh­rend wir uns noch im­mer fest um­arm­ten. Ei­ne lan­ge Stil­le folg­te. Kei­ner von uns wuss­te, wie es nun wei­ter­ging, ob wir uns je­mals wie­der­se­hen und was aus uns wer­den wür­de. Die Un­si­cher­heit lähm­te mich und für ei­nen lan­gen Mo­ment konn­te ich den Ge­dan­ken ein­fach nicht län­ger er­tra­gen. Trotz­dem sprach kei­ner von uns da­von, wir stan­den nur da, lä­chel­ten uns an und schau­ten uns in die Augen.

Das letz­te Mal mit Ju­an tat ein­fach nur weh

„Hal­lo“, sag­te er, wie er es so oft ge­tan hat­te. Doch die­ses Mal ant­wor­te­te ich nicht mit Hal­lo. Mei­ne Ant­wort lau­te­te: „Tschüss.“ Wir küss­ten uns in­nig. Mein Lip­gloss kleb­te an sei­nen Lip­pen, als wir uns wie­der von­ein­an­der lös­ten und mit dem Hand­rü­cken wisch­te er sich über den Mund. Die fei­nen Glit­zer­par­ti­kel bra­chen das Licht und Ju­an seufz­te. „Das Zeug geht doch nie wie­der ab.“ „Stimmt“, grins­te ich. „Das bleibt jetzt für im­mer. Aber sei un­be­sorgt. Ich neh­me da­für je­de Men­ge Haa­re von dei­nem Hund mit.“

Nun grins­te er eben­falls. „Und auch die blei­ben wahr­schein­lich für im­mer.“ Er schwieg ei­ne Wei­le. „Wir hö­ren uns“, sag­te er. Ge­nau die Wor­te, die er bei un­se­rer al­ler­ers­ten Ver­ab­schie­dung auch ge­wählt hat­te – ei­ne Ver­ab­schie­dung, nach der wir uns ver­mut­lich nicht wie­der­ge­se­hen hät­ten, wenn das Le­ben es nicht an­ders vor­ge­se­hen und uns Pe­dro ge­schickt hätte.

Le­be im Au­gen­blick – und es war ein ziem­lich schwie­ri­ger just in die­sem Moment

„So wie beim ers­ten Mal?“, frag­te ich. „Ja“, ant­wor­te­te er. „Ge­nau so.“ Wir um­arm­ten uns ein letz­tes Mal, ga­ben uns ei­nen letz­ten Kuss, be­vor Ju­an in sein Au­to stieg und los­fuhr. Noch im­mer spür­te ich ein Lä­cheln auf mei­nen Lip­pen. Er hielt noch ein­mal kurz an der Bank, auf der ich saß, wir blick­ten uns noch ein­mal zu­ein­an­der um und wink­ten uns ein letz­tes Mal, be­vor ich ihm nach­sah, wie er davonfuhr.

Di­rekt zum deut­schen Traum

Ganz plötz­lich stie­gen Trä­nen in mei­ne Au­gen und roll­ten un­ge­hin­dert über mei­ne Wan­gen, als ich spür­te, wie je­mand die Hand auf mei­ne Schul­ter leg­te. Tan­ja nahm mich in den Arm und ich schluchz­te, frag­te mich, wo der plötz­li­che, hef­ti­ge Schmerz her­kam und ge­stand mir ein, dass ich ihn viel­leicht doch wirk­lich und auf­rich­tig ge­liebt hatte.

Es tat weh. Es tat sehr weh und es dau­er­te noch ei­ne gan­ze Wei­le, bis ich mich wie­der be­ru­hig­te. Die Din­ge wa­ren ge­kom­men, wie sie kom­men muss­ten und ich sah mit ihm auch kei­nen an­de­ren Weg. Ob­wohl der Schmerz mich über­rasch­te in der Hef­tig­keit wie er kam – trotz der Zeit, die ich hat­te, um mich dar­auf vor­zu­be­rei­ten – war ich über­zeugt da­von, dass wir rich­tig ge­han­delt hat­ten und dass, so das Le­ben es woll­te, wir uns auch die­ses Mal wie­der­fin­den würden.

   Hay que vi­vir el mo­men­to! – Le­be im Augenblick!

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Die Ver­öf­fent­li­chung die­ses Bu­ches er­folgt mit freund­li­cher Ge­neh­mi­gung der Au­torin Ny­na Mateo.

Das Buch er­schien 2007 im Ver­lag "BoD – Books on De­mand" (Nor­der­stedt) un­ter der ISBN 978−3−7431−2792−0 und ist u. a. bei Ama­zon erhältlich.

Al­le In­hal­te die­ses Bu­ches, ins­be­son­de­re Tex­te, Fo­to­gra­fien und Gra­fi­ken, sind ur­he­ber­recht­lich ge­schützt. Bit­te frag uns ger­ne, falls du Aus­zü­ge die­ses Bu­ches ver­wen­den möchtest.

Wer ge­gen das Ur­he­ber­recht ver­stößt (z.B. Bil­der oder Tex­te un­er­laubt ko­piert), macht sich gem. §§ 106 ff UrhG straf­bar, wird zu­dem kos­ten­pflich­tig ab­ge­mahnt und muss Scha­dens­er­satz leis­ten (§ 97 UrhG).

Ein be­son­de­rer Dank geht an den Au­tor Ste­phan Serin.

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