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Pornodarsteller: Traumjob oder Alptraum?
Die Szenerie ist in rustikalem Holz gehalten und hat einen Hauch von Wild-West-Romantik. Es füllt sich langsam. Was heute in der Reinickendorfer Diskothek "Halli Galli" stattfindet, ist im Online-Kalender nicht verzeichnet. Die Produktionsfirma "Eronite" castet Männernachwuchs für Animationsfilme über menschliches Paarungsverhalten. Gerade ist Fotoshooting, erst in Boxer-Shorts, dann ohne. Jeder Mann, der hier erschienen ist, möchte Geld verdienen als Pornodarsteller in der Erotikbranche.
Es fallen lange Mähnen, Drei-Tage-Bärte und ein Pferdeschwanz ins Auge. „Eigentlich meldet sich der Querschnitt der Bevölkerung, Gärtner, Studenten, Koch, Akademiker, hatten wir alles schon“ weiß Eronite-Chefin Hera Delgado zu berichten.
Sieben Herren haben fürs Mitmachen bezahlt
Sie sind gut gebaut und machen einen die dinglichen Herausforderungen bei den Hörnern packenden Eindruck. Es herrscht Gepflegtheitszwang. „Wenn jemand mit Eigengeruch kommt, den kann er gleich wieder mitnehmen. Da haben die Mädels das letzte Wort“. Die meisten hier wollen einmal Geld verdienen als Erotikdarsteller. Hera mag klare Ansagen. Ihre roten Haare fallen auch im fernsten Gangwinkel noch auf. Sie hat viel zu besprechen. Ein Kameramann ist krank und die Musik passt nicht. Eine neue MP3-Liste muss her. Das riesige Luftbett auf der Tanzfläche konnte gerade noch rechtzeitig geflickt werden.
Neben mir sitzt ein schüchtern wirkender junger Mann. Wir schauen eine Zeit lang dem Fotoshooting zu. Dann spricht er mich an. Er heißt Matthias „Ich suche den Einstieg in das Pornobusiness. Ich möchte Darsteller werden. Haben Sie Kontakte?“ Ich fühle mich geehrt. Natürlich habe ich keine, aber den guten Rat, es zu versuchen, denn er sieht gut aus und wirkt auch sympathisch. Als hätte er von mir die Erlaubnis seines Lebens erhalten, hastet er zu dem Männer-Spalier herüber und pellt aus seinem Jogging-Anzug einen athletischen Körper heraus, gut gebräunt und gut bestückt. Er hat einen Aushilfsjob im Fitness-Studio. Er lächelt sich um, weiß er doch, dass er optisch führt.
Von nun an sollen Kim, eine asiatische Tattoo-Schönheit und die noch exklusivvertragsfrische Joyce Cockster den Nachwuchs fördern und fordern. Es gibt ein letztes kurzes Briefing durch Regisseur Basti. Nicht zu früh kommen und nicht zu spät. Wer seine Sache nicht gut macht, der wird durch Schulterklopfen raus gewinkt, auf geht's". Schließlich möchte hier fast jeder Teilnehmer Geld verdienen.
Die beiden Mädels legen reihum los
Die Girls sorgen oral für verkantete Gesichtszüge und für Wachstum. Ein Teilnehmer kommt zu früh, bei zweien tut sich gar nichts, die restlichen Schwellkörper liegen im Plan. Matthias macht sich gut. Zielsicher schlängelt er sich zwischen Waden und Schenkeln hindurch. Weil er dabei stets fair bleibt, reagiert er doch nur auf die Mehranteile an weiblicher Zuwendung, finden sich die anderen bald mit seiner Führungsrolle ab. Matratzenkollegial überlassen sie ihm Vortritt und Terrain. Es blitzt, Kameras kreisen auf Berg- und Talbahnen und ihre Blickfelder wabern auf zappelnden Backen herum. Auch Joyce ist in noch unverbrauchter Form. Ihre Rhythmusfreude wirkt echt. Der Regisseur quittiert den abschließenden Ejakulationsreigen mit „Schöön“, „Booaah“ und anderen Lebensbejahungen.
Die 3 Ausscheider schauen dem hechelnden Treiben hinter der Tanzflächenumrandung zu
Still und bescheiden legen sie Hand an sich. Weil sie eben Männer sind, wollen sie auch über ihre Enttäuschungen nicht so recht reden. „Kein Problem, beim nächsten Mal klappt´s“, mehr ist partout nicht heraus zu bekommen. Der Regisseur schlägt eine Reload-Phase vor und kündigt eine Lesbo-Show an. Joyce, die Blondine aus dem Schwäbischen, entspannt sich in der Drehpause am Tresen. Sie bedauert das Rauchverbot. Ab jetzt ist sie hauptberuflich vor der Kamera unterwegs, verdient so ihr Geld. Drehtage und Webcam-Gagen sollen es richten. Sie trägt viel Tarn-Make-Up. „Ich habe mir den Schritt mit meinem Schritt lange überlegt und auch wen ich darüber einweihe. Meine Familie weiß von nichts. Diejenigen die Bescheid wissen, stehen zu mir und worauf ich mich einlasse. Ich habe schon immer besondere Lust verspürt, wenn ich beim Sex beobachtet werde. Anonyme Blicke kitzeln und Kameralinsen tun es auch. Ich hab Kameras gern, gerade weil ich weiß, dass am Ende viele da hindurchschauen.
Chefin Hera kommt hinzu. Sie ist entspannt. Eine Beleuchtung fiel aus und so mussten aus 2 Drehorten einer werden. Jetzt aber hat sich alles eingespielt. Ein jeder weiß, was er zu tun hat. Mit den Darstellern ist sie zufrieden. „Da werden es einige in unsere Kartei schaffen“. Die Auswahl überlässt sie dem Regisseur, der hat dafür den richtigen Blick. Wie würde sie mit den Jungs am Set umgehen als Regisseurin? „Mit der Stoppuhr. Ich lasse schon zu Beginn mit der Stoppuhr anblasen und filtere so aus. Das klingt jetzt hart, aber wer in der Branche was werden will, muss da einfach durch.“ Nun, Frauen führen ja bekanntlich anders. Sie war Finanzwirtin bevor sie über einen Freund, der bereits bei dem Label arbeitete, den Sprung in die Porno-Branche schaffte. Es war der typische Quereinstieg mit Vitamin B, so wie es halt läuft. „In dem Business werden Stellen nicht ausgeschrieben“.
Auf der Matratze unterstreichen zwei Mädchen in 69er Position ihre Zeigefreudigkeit
Hat Hera den Sehnsuchtsjob, den viele vermuten? „Ich werde schon beneidet und wie, aber da ist viel Unkenntnis dabei. Irgendwann wird auch der schönste Hintern zur Routine, das ist wie in einer Eisdiele zu arbeiten, da verwandelt sich der Genuss in Arbeit“. Sie sieht sich um. Sie braucht noch eine Fotostrecke für die beiden Mädels. Wie bewertet sie das was sie tut? Hat sie nicht auch viel Macht über andere Menschen? „Klar, hat das was mit Macht zu tun, wenn vor der Kamera die Hüllen fallen und Anordnungen umgesetzt werden, das ist schon so.“ Ansonsten bewertet sie ihre Tätigkeit aber mehr nach den Zahlen, und die stimmen wohl einigermaßen, trotz der Gratis-Bude Internet. „Was Psychologen und Feministinnen sonst noch so meinen zu müssen, ist mir relativ egal“. Dann krallt sie sich sanft einen Fotografen.
Ich beobachte die beiden Mädels bei ihrem zungenfertigen Tun
Von einer heraschen Routinesituation kann bei mir eher keine Rede sein. Die beiden zwinkern mir zu, nicht mit den Augen, sondern mit ihren Tabuzonen und gerade das macht es so persönlich, so liebevoll. Auf einmal tollt ein Quasimodo-Knirps mit herabhängender Unterlippe um die beiden herum. Er hat es irgendwie auf die Gästeliste geschafft. Ganz nah darf er seinen Augenblicksidolen sein, seine Mobilcam mit aufgeklapptem Monitor überall hinhalten. Ganz klar, was hier abläuft ist eine erotische Armenspeisung, ein Ausgleich für die ganz alltägliche Aussichtslosigkeit und Ohnmacht. Die vor der Kamera geben von sich ab, und die dahinter sind mächtiger als die Chefin glaubt, sie schaffen ein Stück Verteilungsgerechtigkeit. Sie sind barmherzige Kümmerer. Schöne Körper haben ihre geheimen Schatzvorkommen und die werden hier gehoben und der Allgemeinheit zugänglich gemacht. Matthias kommt an meinem Tisch vorbei. Er ist splitternackt und gut drauf, „ich mag Sex und ich mag Frauen“. Es war nicht zu übersehen. Ich beglückwünsche ihn zu seinem Auftritt und finde es schön, ein so viel versprechendes Talent mit auf den Weg gecoacht zu haben…
Text: Michael Lösch / "Mit Sex Geld verdienen – Traumjob oder Albtraum?"
Der Journalist Michael Lösch begleitete Hera Delgado mehrere Tage in ihrem Job, um einen Einblick in das tägliche Brot der Produktionsleiterin zu bekommen. Vom Pornocasting im Halli Galli Berlin berichtet der Reporter zum Thema "Mit Sex Geld verdienen" und sprach mit mehreren Protagonisten des öffentlichen Castings.